Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich von seiner Ehefrau getrennt. Diese Meldung schwappte am Montagmorgen als "Breaking News" samt Push-Benachrichtigungen durch den deutschen Mainstream. Nur Stunden später veröffentlichte das Springerblatt Bild einen Folgeartikel von Chefreporter Peter Tiede, dessen Kernbotschaft lautete, dass mit der Trennung nun der Weg für einen Wechsel Özdemirs nach Stuttgart frei sei. Dort könnte er den greisen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann beerben.
Özdemir ist seit 2003 mit der aus Argentinien stammenden Pia Maria Castro verheiratet. Gemeinsam haben die beiden zwei Kinder. Castro ist Journalistin beim bundesdeutschen Staatssender Deutsche Welle. Erst vor wenigen Monaten wurde bekannt, dass sie für Moderationsaufträge auch Zahlungen vom Auswärtigen Amt erhielt, über deren Höhe sich die Bundesregierung ausschweigt. Laut Bild stand die Argentinierin bislang einem beruflichen Wechsel des Grünen-Politikers nach Stuttgart im Wege.
Das Blatt schreibt beinahe genüsslich, dass Castro die baden-württembergische Landeshauptstadt zu "popelig" gewesen sei, und lässt auch andere Reibungspunkte zwischen ihr und Özdemir erkennen:
"Der lebenslustigen, fleischverputzenden Weltenbürgerin an der Seite des Vegetariers und Ex-Bierbotschafters war Stuttgart zu popelig, berichten Vertraute. Sie: Die in Argentinien geborene Tochter italienischer Eltern lässt sich gern durch Salons und die Kulturszene der Weltstadt treiben (seit geraumer Zeit ohne ihn)."
Seit Jahren hätten diverse Parteifreunde Özdemir "auf Knien" angefleht, nach Stuttgart zu wechseln, um dort die Nachfolge Kretschmanns anzutreten – und den Posten des Ministerpräsidenten im Ländle für die Grünen zu behaupten. Dieser betont zwar immer wieder, nicht amtsmüde zu sein, wirkt mit seinen 75 Jahren allerdings zunehmend verbraucht. Die nächste Landtagswahl in Baden-Württemberg soll erst 2026 stattfinden. Damit bliebe genügend Zeit für einen geordneten Übergang deutlich vor der Wahl.
Dass Özdemir Interesse am Posten des Landeschefs in Baden-Württemberg hat, ist kein Geheimnis und wird auch im Artikel noch einmal betont. Der Politiker wurde als Sohn türkischer Gastarbeiter 1965 im schwäbischen Urach geboren. Die deutsche Staatsbürgerschaft beantragte er 1981 – auch, um der Wehrpflicht in der Türkei zu entgehen. Spannender als das Regierungsamt in Stuttgart wäre für ihn wohl nur der unerreichbare Posten des Außenministers. Özdemir ist in Baden-Württemberg durchaus beliebt. Bei der Bundestagswahl 2021 errang er im Wahlkreis Stuttgart I mit 40 Prozent der Erststimmen ein Direktmandat.
Der Bild-Artikel lässt auch durchblicken, dass Özdemir im Politikbetrieb alles andere als der verschmitzte und tiefenentspannte "anatolische Schwabe" ist. Tiede beschreibt, wie sich Özdemir bei der Regierungsbildung Ende 2021, als ein Wechsel nach Stuttgart aus familiären Gründen noch nicht möglich war, mit rabiaten Methoden einen Regierungsposten sicherte:
"Statt also im Ländle langsam Landespolitik zu lernen, grätschte Gatte Cem sich lieber Ende November 2021 rabiat in letzter Sekunde in die Bundesregierung: mit einem brutalen Doppelfoul! Robert Habeck habe ihm einen Ministerposten zugesagt, ließ er streuen. Und dann habe Habeck nicht liefern können, weil er allen Flügeln alles versprochen hatte."
Özdemir habe erst seinen als Biologen eigentlich besser qualifizierten Parteifreund Anton Hofreiter "aus dem Kabinett getreten" und "mit seiner Blutgrätsche" auch einen Ministerposten für Katrin Göring-Eckardt verhindert. Hofreiter könnte bei einem Wechsel Özdemirs nach Stuttgart doch noch zum Zuge kommen.
Bild-Autor Tiede, der durchscheinen lässt, dass die Trennung Özdemirs im politischen Berlin kein Geheimnis war, erklärt zwar, dass der Politiker noch keine Entscheidung über einen Wechsel getroffen habe. Allerdings könnte der Artikel selbst als Testballon dienen und den Abgang des Grünen aus Berlin vorbereiten.
Özdemirs politische Karriere hat wiederholt scharfe Wendungen genommen. Vor gut 20 Jahren schien sie schon einmal beendet. Nach einem Skandal um Flugmeilen und ein Privatdarlehen von einem Lobbyisten gab er sein Mandat im Bundestag auf. Die transatlantische Lobbyorganisation German Marshall Fund fing ihn damals auf und ermöglichte ihm einen politischen Neustart. Diese Investition dürfte sich gelohnt haben. Selbst Bild bezeichnet Özdemir als einen "ausgesprochenen US-Liebhaber".
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