Im politisch-medialen Mainstream ist die Sorge vor einem weiteren Erstarken der AfD in den Umfragen deutlich zu spüren. Ein Grund für deren – wenigstens demoskopischen – Erfolge sind die steigenden Asylbewerberzahlen. Die Länder, insbesondere die Kommunen, sehen sich immer häufiger nicht mehr in der Lage, weitere Flüchtlinge unterzubringen.
Steuerungsversuche
In dieser Lage werden im bürgerlichen Lager, in den beiden Unionsparteien sowie in der FDP immer wieder Forderungen laut, die Zuwanderung nach Deutschland weniger attraktiv zu gestalten. Zu diesem Zweck solle zum Beispiel ein Großteil der Unterstützung für Asylbewerber auf Sachleistungen statt Bargeld umgestellt werden. Die Gewährung von Bargeld wird als sogenannter "Pull-Faktor" angesehen, der dafür verantwortlich sei, dass überdurchschnittlich viele Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland kommen wollen. Die Welt hat sich des Themas nun ebenfalls angenommen und dazu eine Reportage aus einer brandenburgischen Erstaufnahmeeinrichtung veröffentlicht.
Der Besuch der Springerzeitung in Eisenhüttenstadt, wo sich das Ankunftszentrum für Brandenburg befindet, ist kein Zufall. Denn wie das Blatt schreibt, setzt das Bundesland in seinen Erstaufnahmeeinrichtungen verstärkt auf Sachleistungen. Im Gespräch mit Olaf Jansen, dem Leiter der Zentralen Ausländerbehörde Brandenburgs, die dort ebenfalls ihren Sitz hat, wird das Konzept der Sachleistungen näher erläutert. Unterschieden wird zwischen dem "notwendigen" und dem "persönlichen Bedarf" eines Asylbewerbers. Zum notwendigen Bedarf zählen die Unterbringung, drei Mahlzeiten am Tag in einer Kantine, Hygieneartikel, Bekleidung sowie ärztliche Betreuung. Neben diesem durch Sachleistungen abgedeckten notwendigen Bedarf erhalten Flüchtlinge und Migranten in Brandenburg nur für ihren persönlichen Bedarf etwas Bargeld. Behördenleiter Jansen sieht diese Praxis kritisch.
Für einen, wie es heißt, "alleinreisenden" Asylbewerber liege der Regelsatz in der Erstaufnahme bei 410 Euro. Für den notwendigen Bedarf werden 288 Euro veranschlagt, die in Brandenburg überwiegend als Sachleistungen gewährt würden. Hinzu kommt ein Taschengeld von 182 Euro, das in der Regel bar ausgezahlt werde. Nach anderthalb Jahren steigen die Sätze etwa auf die Höhe der Sozialhilfe. Asylbewerber, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, erhalten überwiegend Bargeld ausgezahlt.
Kritik der Bundesländer – und ein Ausweg?
Wie eine Umfrage der Welt am Sonntag ergab, halten die meisten Bundesländer eine Umstellung auf Sachleistungen für nicht praktikabel. Die Folge wäre eine hoffnungslose Überforderung der Verwaltung. Denn in den Aufnahmeeinrichtungen müssten große Mengen an Bekleidung vorrätig gehalten werden, dazu Gutscheinsysteme für Dienstleistungen wie das Haareschneiden eingeführt und erheblich mehr Personal für die Kantinen eingestellt werden. Insbesondere für dezentrale Unterkünfte würde das Sachleistungssystem einen Mehraufwand bedeuten, den die Kommunen schlicht nicht erbringen können.
Als Ausweg aus dem Dilemma werde in den meisten Bundesländern eine bundeseinheitliche "Bezahlkarte" gesehen, die an die Stelle der Bargeldauszahlungen treten soll. Für diese Lösung machen sich die CDU/CSU-geführten Länder wie Bayern, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt stark. Selbst der rot-grüne Hamburger Senat habe sich "positiv" gegenüber diesem Modell geäußert. Allerdings müsste dazu zunächst auf Bundesebene das Asylbewerberleistungsgesetz entsprechend geändert werden.
Die Bezahlkarten sollen als Guthabenkarten konzipiert sein, was bedeutet, dass eine Überziehung des Guthabenkontos ebenso unmöglich ist wie eine Überweisung ins Ausland. Entsprechende Pilotversuche mit solchen Karten würden in Bayern und Hamburg laufen.
"Transparenz" und Überwachung
In Bayern soll die Bezahlkarte nur in dem vom Asylgesetz beziehungsweise Aufenthaltsgesetz bestimmten, erlaubten Aufenthaltsgebiet funktionieren. Nur ein kleiner Betrag des Guthabens soll in bar abgehoben werden können – etwa für das Bezahlen in Geschäften ohne die notwendige elektronische Ausstattung.
Die SPD-geführten Bundesländer Bremen und Rheinland-Pfalz stünden, so die Welt, dem Vorhaben skeptisch gegenüber. In Mainz befürchtet man, dass die Umstellung auf eine Bezahlkarte die gesellschaftliche "Integration perspektivisch massiv erschweren" könnte. In Bremen sehe man in den neuen Bezahlkarten sogar "diskriminierende Maßnahmen", wenn das Abheben von Bargeld unmöglich sei.
Die Vertreter von Kommunen und Landkreisen sehen in der Bezahlkarte eine Möglichkeit, die Zuwandererzahlen zu steuern und zu reduzieren. Reinhard Sager, der Präsident des Deutschen Landkreistages, sagte gegenüber der Welt am Sonntag:
"Wir brauchen dringend eine Begrenzung und bessere Steuerung der Flüchtlingsströme sowie eine Beseitigung von Pull-Faktoren."
Die Bezahlkarte könne dazu dienen, "bürokratische Aufwände" zu verringern.
Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, glaubt dagegen nicht daran, dass von der Einführung einer Bezahlkarte die Migration wesentlich beeinflusst werden könnte. Aber auch Landsberg möchte einen "digitalen Flüchtlingsausweis" einführen, der mit einer "aktivierbaren Bezahlfunktion" ausgestattet ist.
Olaf Jansen, der brandenburgische Behördenleiter, sieht in der Bezahlkarte auch praktische Vorteile. So müssten die Aufnahmeeinrichtungen nicht mehr wie bisher große Bestände an Bargeld bereithalten und benötigten kein Sicherheitspersonal mehr – wie gegenwärtig noch an den Zahltagen, zweimal im Monat. Zudem könnte die Verwaltung die monatlichen Ausgaben überwachen und möglichen Missbrauch leichter entdecken.
Einen weiteren Vorteil sieht der Behördenchef darin, dass Sozialleistungen weniger leicht zweckentfremdet werden könnten:
"Die Asylbewerber wechseln spätestens nach 18 Monaten ins System der Sozialhilfe, bekommen Wohngeld und andere Leistungen. Da kommen teilweise hohe Summen zusammen."
Überweisungen an Verwandte oder Schleuser im Ausland würden erschwert. Jansen halte eine Bezahlkarte "mit voller Transparenz" für "besonders zielführend".
Ein möglicher Nebeneffekt der Bezahlkarte: Mit ihrer Erprobung bei Asylbewerbern und Migranten könnte die allgemeine Einführung eines verbindlichen digitalen Zahlungsmittels in der Praxis getestet werden – beobachtet an einer klar definierten sozialen Gruppe, die zudem keine Möglichkeit hätte, ihre Teilnahme an dem Versuch zu verweigern. Was der deutschen Mehrheitsgesellschaft als notwendige Maßnahme in der Migrationskrise erscheinen mag, könnte sich jedoch als weiterer Schritt zur Perfektionierung einer lückenlosen Überwachung erweisen.
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