Landtagsabgeordnete in ganz Deutschland haben vermeintliche Praktikumsanfragen per Mail erhalten, jeweils mit deutschen und ausländischen Nachnamen versehen. Das berichtet das Nachrichtenportal Nius. Das Ziel sei es gewesen, bewusste "Ungleichbehandlungen" bei Zu- bzw. Absagen zu belegen. Finanziert worden sei die Aktion vom Bundesinnenministerium.
Im Nius-Artikel werden die der Redaktion vorliegenden Unterlagen als "riesiger Überwachungsskandal" bezeichnet, über den "hunderte Abgeordnete mit Geheimdienstmethoden ausgeforscht" wurden. Ausgang der "Gesinnungsabfrage" war dabei ein Forschungsinstitut der Universität Bielefeld mit dem Schwerpunkt "interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung".
Das Institut versendete demnach vorgetäuschte Bewerbungsmails, um im Anschluss mit Verzögerung die kontaktierten Abgeordneten darüber aufzuklären, dass sie Bestandteil eines "im Rahmen vom Bundesministerium des Innern und für Heimat geförderten Forschungsprojekts" waren. Das Thema sei die manipulative Klärung "prosozialer Handlungen".
Laut Nius-Recherche erhielten "Landtagsabgeordnete in ganz Deutschland in den letzten Wochen Bewerbungen von jungen Menschen, die um ein Praktikum baten". Dabei nutzte die eingerichtete Arbeitsgruppe der Universität Bielefeld als vermeintlich echte Kontaktdaten drei deutsche und vier ausländische Namen (Nius verweist auf vier deutsche Namen). Diese lauteten laut dem Artikel:
"Achim Günther, Julia Günther, Alexander Dahnhoff und Ahmet Güler, Akeem Gumbwa, Hüliya Güler und Alexej Danowitsch."
Der vollständige Text der manipulativen und nicht authentischen Bewerbungsmail lautete, wie im Artikel anhand eines Beispiels zitiert:
"Sehr geehrte Frau XXX,
mein Name ist Akeem Gumbwa. Nicht zuletzt aufgrund Ihrer Expertise zu Europa und Internationalem sowie Mobilität möchte ich Sie fragen, ob es prinzipiell möglich ist, dass ich bei Ihnen im Rahmen meines Studiums der Politikwissenschaften ein sechswöchiges Pflichtpraktikum (unbezahlt) machen könnte.
Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören!
Mit freundlichen Grüßen
Akeem Gumbwa"
Anscheinend durch einen Hinweis und Informationen eines oder mehrerer betroffener Abgeordneter stellte sich nun heraus, dass die "fingierten Bewerbungen" von einem "Dr. Jens Hellmann und Forschungsteam an der Universität Bielefeld, Institute for Interdisciplinary Research on Conflict and Violence" stammen. Die Nius-Redaktion fasst die Tragweite des Ereignisses wie folgt zusammen:
"Ein Institut für Gewalt und Konflikte, das mit gefälschten Mails, verdeckten Ermittlungsmethoden und einer gewaltigen Überwachungsoperation die Gesinnung aller Abgeordneten in deutschen Landtagen ausforscht, beauftragt von dem Ministerium, dem auch der deutsche Inlandsgeheimdienst unterstellt ist."
Die nachweisliche Bestätigung einer zuvor erfolgten BMI-Finanzierung der Arbeitsgruppe ergab sich aus der Tatsache, dass die kontaktierten Abgeordneten vor wenigen Tagen eine "Aufklärungsmail" des Instituts erhielten. So werden die Angeschriebenen an die zugesandte Mail und der Tatsache erinnert, dass die Absender "entweder auf eine deutsche oder eine nicht-deutsche Herkunft schließen ließ". Die freundlich formulierte Erklärung oder auch Auflösung der Täuschung lautete im Wortlaut:
"Wenn Sie ein Mitglied eines vergleichsweise großen Landtags sind bzw. waren, haben Sie eventuell zusätzlich die Information erhalten, dass es sich bei der Senderin bzw. dem Sender der Anfrage um einen deutschen Staatsangehörigen handelt. In Wirklichkeit existieren diese Personen so nicht."
Die "Untersuchung", je nach Blickwinkel auch als "Überprüfung" zu bezeichnen, wurde laut der klärenden Institutsmail "im Rahmen eines vom Bundesministerium des Innern und für Heimat geförderten Forschungsprojekts" durchgeführt. Zur Verteidigung oder Erläuterung heißt es in der Mail wörtlich:
"Es ging uns also um das Erheben von Hilfeleistungen bzw. sogenannter prosozialer Handlungen. Hierbei könnte es zu möglichen Ungleichbehandlungen aufgrund einer (vermuteten) Herkunft des Absenders der E-Mail kommen. Wir sind aber explizit offen dafür, dass es keine Ungleichbehandlungen gibt, vor allem, weil wir prinzipiell positives Verhalten als Untersuchungsziel ausgegeben haben."
Eine diesbezügliche Nius-Anfrage bei dem betreuenden Institutsangestellten Hellmann bestätigte laut dem Artikel die Echtheit der vorliegenden Mailkorrespondenz mit deutschen Abgeordneten. Eine Nius-Anfrage beim finanzierenden und neugierigen Faeser-Ministerium erfolgte dabei anscheinend nicht.
Mehr als aufschlussreich: Als erneute Bestätigung jüngster enger wissenschaftlich-politischer Kooperation ist zudem über den im Artikel abgebildeten Screenshot der Institutsmail zu erfahren:
"Die Studie wurde von der Ethikkommssion der Universität Bielefeld begutachtet und als unbedenklich (sic) bewertet."
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