Von Bernhard Leyon
Die SPD-Politikerin Bärbel Bas ist seit Oktober 2021 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Am 14. Oktober durfte sie sich in dieser Funktion im Rahmen eines Gastbeitrags für die Wochenzeitung Die Zeit ausführlich zu ihren subjektiven Wahrnehmungen äußern. Bas erkenne demnach eine akute Gefährdung der parlamentarischen Demokratie. Ausgehend von dieser "Sorge" präsentiert die Bundestagspräsidentin in ihrem Beitrag einen vermeintlich notwendigen, von ihr selbst in Auftrag gegebenen "Gesetzentwurf für ein eigenes Bundestagspolizeigesetz".
Bas erläutert zu Beginn ihres Beitrags, dass die Besucherkuppel des Architekten Sir Norman Foster auf dem Gebäude des Reichstags in Berlin "unseren Anspruch auf Bürgernähe und Transparenz" symbolisiere. Sie stellt zudem fest, dass aktuell "das gesellschaftliche Klima rauer wird und das Vertrauen in die politischen Institutionen schwindet". Als Erkenntnis der Stunde schlägt Bas daher vor:
"Die Antwort darauf kann nur sein: Wir als Politik müssen noch mehr den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen. Die Bundestagsabgeordneten arbeiten sehr engagiert in ihren Wahlkreisen."
Eine Suche wird aber immer nur dann notwendig, wenn zuvor etwas verloren gegangen ist. Das betrifft auch die lebensfernen Wahrnehmungen aus dem individuellen Elfenbeinturm. Das eigentliche Anliegen, die Notwendigkeit ihres Gastbeitrags, folgt dann umgehend im nächsten Absatz und der dort dargelegten politischen Analyse:
"Klar ist aber auch: Wir sind nicht naiv und erkennen die akuten Bedrohungen für unser Parlament. Demokratiefeinde versuchen, unsere Offenheit und Transparenz zu missbrauchen. Sie machen das Parlament verächtlich und greifen es an. Sie haben nur ein Ziel: die Schwächung unserer Demokratie."
Zur Untermauerung präsentiert Bas dann zwei auf sehr dünnen Argumentationsbeinchen stehende Ereignisse der jüngsten Vergangenheit: die sogenannte "Reichstagserstürmung" im Jahr 2020 unter begleitender und wenig beeindruckter Beobachtung der Hauptstadtpolizei und der Geheimdienste; sowie die aktuell medial im Fokus stehenden "Umsturzpläne für unsere parlamentarische Demokratie", ausgehend von sogenannten, meist im Seniorenalter befindlichen, "Reichsbürgern".
Wenig überraschend wird von Bas sodann angemahnt, dass "wir die Augen nicht davor verschließen, dass aus dem Ausland zunehmend Versuche zur Infiltration des Deutschen Bundestages unternommen werden". Für mehr als bedenklich, nämlich als potenzielle Gefahr und Störung für die qualitative Arbeit der aktuellen Bundestagsabgeordneten, beschreibt Bas folgende inakzeptable Ereignisse:
"Wir können nicht tolerieren, wenn sich Rechtsextreme in sozialen Medien feiern, wie sie verfassungsfeindliche Symbole und Handzeichen in Parlamenten zeigen. Auch Störaktionen wie Fehlalarme nehmen wir nicht hin."
Googelt man den Begriff "Fehlalarm" in Bezug auf den Reichstag, findet sich ein Vorfall aus dem Jahr 2001 wegen eines ausgelaufenen Reinigungsmittels und aus dem Jahr 2006, als "ein heimlicher Raucher einen Gasalarm auslöste".
Jüngere Vorfälle mutwillig ausgelöster Fehlalarme im Bundestag erfolgten im Jahr 2022 durch Aktivisten der "Letzten Generation". Als ein Beispiel für "verfassungsfeindliche Symbole und Handzeichen in Parlamenten" könnte die investigative Recherche der Tageszeitung TAZ gemeint sein, wonach im Jahr 2021 "ein Beamter im Pausenraum der Bundestagspolizei den Hitlergruß gezeigt haben soll". Zur Beruhigung der Zeit-Leser stellt Bas jedoch klar:
"Bisher konnten wir alle Angriffe auf den Deutschen Bundestag abwenden."
"Die akute Gefährdung" verdeutliche jedoch: "Wenn wir ein offenes und bürgernahes Haus bleiben wollen, müssen wir noch mehr Standhaftigkeit zeigen und die Sicherheit des Parlaments stärken". Daher müsse eine "zwingend verbundene Transparenz mit den erkennbar höher gewordenen Sicherheitsanforderungen in die richtige Balance" gebracht werden. Allerdings schränkt Bas ein:
"Dies aber ohne uns dem Vorwurf der Naivität einerseits oder der Abschottung und Verbarrikadierung andererseits auszusetzen."
Im Jahr 2020 titelte die Berliner Morgenpost entgegen der aktuellen Wahrnehmung der Bundestagspräsidentin:
"Schutzgraben vor dem Reichstag wird größer als gedacht. Der Graben soll das Parlamentsgebäude schützen."
Drei Jahre später heißt es auf der Webseite Entwicklungsstadt.de:
"Bau des Sicherheitsgrabens startet 2025. Der Graben soll rund zweieinhalb Meter tief werden. Zusätzlich werden daran angrenzend zwei jeweils 55 Meter lange, zweieinhalb Meter hohe Zäune aus vertikalen Metallstäben errichtet, die das Gebäude seitlich abgrenzen sollen."
Daher lässt sich nur mutmaßen, ob die Bundestagspräsidentin erst angesichts dieser Tatsachen die in dem Artikel geschilderten Notwendigkeiten als besonders dringlich ansieht. Bas schreibt weiter:
"Ich habe einen Gesetzentwurf für ein eigenes Bundestagspolizeigesetz erarbeiten lassen, der in diesen Tagen den Fraktionen vorgestellt wird."
Dieses Gesetz würde zukünftig "die enge Zusammenarbeit mit den Polizeien des Bundes sowie der Länder sichern", denn:
"Wir schaffen damit auch mehr Rechtssicherheit für unsere Polizistinnen und Polizisten. Das sind wir ihnen schuldig: Sie schützen unser Parlament jeden Tag rund um die Uhr."
Bas möchte zudem die vollständige Deutungs- und Definitionshoheit über die künftig erlaubte "Nutzung aller Räumlichkeiten und Einrichtungen" im Bundestag. Im Hinblick auf diese Pläne heißt es:
"Ich lasse zurzeit rechtlich prüfen, wie wir den Deutschen Bundestag besser vor extremistischen Einflüssen und Aktionen schützen sowie die Sanktionsmöglichkeiten verschärfen können."
Mit anderen Worten: Bas und das Bundestagspräsidium könnten zukünftig darüber bestimmen, welche Veranstaltungen einer jeweiligen Partei erwünscht sind und welche nicht. Oder ob oppositionelle Fraktionen massiv in ihrer Arbeit eingeschränkt werden, abhängig von subjektiv definierten "Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen"-Vorgaben. Politisch formschön dargelegt über die Ankündigung:
"Dabei betrachten wir auch die Arbeitsverhältnisse der im Deutschen Bundestag Beschäftigten und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von externen Dienstleistern."
Bas versichert dabei vor dem Hintergrund eines beinahe realsatirisch wirkenden Demokratieverständnisses:
"Es geht nicht darum, eine Gesinnungsprüfung einzuführen."
Sie werde daher dafür "werben, dass die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages noch in dieser Wahlperiode umfassend modernisiert und diese Reform möglichst von allen Fraktionen getragen wird". Weiter beklagt sie eine ihrer Auffassung nach "dramatisch verschlechterte Debattenkultur" im Bundestag:
"In der Geschäftsordnung brauchen wir daher auch eine Verschärfung des Ordnungsrechts – bis hin zu effektiveren Möglichkeiten, Obstruktion zu verhindern."
Unter Obstruktion versteht man die "Blockierung der Beschlussfassung eines Parlaments durch lange Reden und zahlreiche Anträge". Bas beklagt in ihrem Gastbeitrag:
"Reden verkommen zu Inszenierungen für die sozialen Medien, in denen Debatten auf die einfache Pointe verkürzt werden."
Sie erinnert in diesem Zusammenhang daran:
"Wir Bundestagsabgeordneten sollten uns immer wieder bewusst machen: Jede und jeder Abgeordnete hat eine Vorbildfunktion und sollte die Würde des Hauses wahren."
Bei diesen Worten kommen mir umgehend in den Sinn: der SPD-Abgeordnete Helge Lindh, der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach, der Grünen-Politiker Markus 'Tessa' Ganserer oder die Grünen-Politikerin Emilia Fester sowie diverse leitende Minister der amtierenden Bundesregierung, einschließlich des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD).
Bundestagspräsidentin Bas schließt ihren Beitrag mit der Forderung, dass "unsere Demokratie" ein Parlament brauche, "dem die Menschen die richtigen Antworten und die besten Lösungen zutrauen". Leider hat die Zeit-Redaktion versäumt, den Artikel als Satire zu kennzeichnen.
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