Von Susan Bonath
Inflation und Ampel-Politik treiben die Armut in Deutschland weiter in die Höhe. Auch immer mehr Senioren müssen ihre mageren Renten mit der sogenannten Grundsicherung im Alter, der Sozialhilfe, aufstocken. Deren Regelsätze entsprechen denen des Bürgergeldes, ehemals Hartz IV. Seit Jahren steigt die Zahl bedürftiger Senioren, seit dem Frühjahr vergangenen Jahres ist sie geradezu explodiert.
17 Prozent mehr aufstockende Senioren
Das geht aus neuen Daten hervor, welche die Linksfraktion im Bundestag vom Statistischen Bundesamt angefordert und nun veröffentlicht hat. Demnach erhielten im Juni dieses Jahres 1,22 Millionen Senioren und Erwerbsunfähige aufstockende Sozialhilfe. Das waren insgesamt knapp 100.000, fast zehn Prozent, mehr als ein gutes Jahr zuvor.
Die konkreten Daten weisen aus, dass von diesem gravierenden Anstieg ausnahmslos Senioren betroffenen waren. Während die Zahl der aufstockenden Erwerbsunfähigen (EU-Rentner) mit rund 530.000 nahezu gleich blieb, schnellte die Zahl bedürftiger Altersrentner seit März 2022 von rund 594.000 auf 692.000 rauf. Das ist ein Anstieg um fast 17 Prozent binnen 15 Monaten, ein Ende dieses Trends ist nicht in Sicht.
Hohe Dunkelziffer vermutet
Das tatsächliche Ausmaß der Altersarmut geht daraus aber noch nicht hervor. Denn die bürokratischen Hürden, die mit einem Antrag auf aufstockende Sozialhilfe verbunden sind, sind hoch. Außerdem müssen Sozialhilfe- wie auch Bürgergeld-Bezieher permanent jeden Euro, der ihnen zufließt, gegenüber der Behörde offenlegen. Die Vermutung der Linke-Fraktion liegt daher nahe:
"Die Dunkelziffer dürfte dabei noch höher sein, denn viele Menschen nehmen ihr Recht auf ergänzende Grundsicherung nicht wahr."
Dafür sprechen allein die Statistiken zur Rentenhöhe. Bereits vor einem Jahr berichteten die Medien, darunter die Tagesschau, dass von knapp 18 Millionen Altersrentnern in Deutschland im Jahr 2021 fast 5 Millionen Menschen weniger als 1.000 Euro pro Monat erhielten. Das waren rund 28 Prozent, also mehr als ein Viertel aller Rentner.
Altersarmut trifft vor allem Frauen
Nach wie vor sind vor allem Frauen von niedrigen Altersbezügen betroffen. Aufgrund von Schwangerschaften und Kindererziehung müssen sie häufiger in Teilzeit arbeiten. Allerdings sind auch viele Berufe, in denen vor allem Frauen beschäftigt sind, schlechter bezahlt als typische Männerberufe. Dazu gehören beispielsweise der soziale Bereich, der Einzelhandel oder das Friseurhandwerk.
Wie die Linke im Bundestag zu Jahresbeginn erfragt hatte, arbeiteten zu diesem Zeitpunkt etwa 2,7 von 7,1 Millionen vollzeitbeschäftigten Frauen zu Löhnen, die selbst nach 40 Berufsjahren nach heutigem Stand eine Rente von weniger als 1.000 Euro bedingen würden. Mehr als die Hälfte der weiblichen Beschäftigten verdiente demnach zu wenig, um nach 40 Jahren eine Rente über 1.200 Euro zu bekommen. Darüber berichtete unter anderem das ZDF.
Demnach müssten Lohnabhängige derzeit vier Jahrzehnte lang durchgehend knapp 2.850 Euro brutto pro Monat verdienen, um im Alter Anspruch auf 1.000 Euro zu haben. Für eine Rente von 1.200 Euro wäre sogar ein Bruttoverdienst von mehr als 3.400 Euro über 40 Jahre hinweg nötig. Vor allem in Ostdeutschland, wo der Niedriglohnsektor besonders groß ist, können davon viele Menschen nur träumen.
Frauen können der Altersarmut oft nur durch langjährige Bindung an eine Ehe entgehen, insbesondere wenn ihre Lohnerwerbstätigkeit durch Kindererziehung beeinträchtigt war. Eine beträchtliche Zahl von Seniorinnen dürfte derzeit der Sozialhilfe nur wegen der höheren Rente ihres Ehemannes oder einer entsprechenden Witwenrente entgehen.
Folge des neoliberalen Sozialabbaus
Die wachsende Altersarmut ist eine der Folgen der neoliberalen Politik in Deutschland seit dem Anschluss der DDR an die BRD. Bereits 1992 hob die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) das Renteneintrittsalter an, was tatsächlich eine Rentenkürzung bedeutete. Frauen durften danach statt mit 60 erst mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen, andernfalls gab es deftige Abschläge.
Im Jahr 1997 folgte der nächste Schlag: Die Politik drehte der beruflichen Rehabilitation den Geldhahn zu. Das hatte zur Folge, dass Kranke mehr als doppelt so viel im Fall einer beruflichen Wiedereingliederung zuzahlen mussten, als zuvor. Dies senkte die Chancen für viele, genug Versicherungsjahre für eine erträgliche Rente zusammenzubekommen. Die wenig später im Jahr 2001 beschlossene Riester-Rente – eine private Altersvorsorge mit staatlicher Teilförderung – ebnete den Weg für weitere Rentenkürzungen.
Nach dem nächsten, 2007 im Zuge der Agenda 2010 verabschiedeten Kürzungspaket trat schließlich 2012 ein weiteres Armutsbeschleunigungsprogramm in Kraft: Schrittweise wird seither die Altersgrenze für den Renteneintritt auf 67 Jahre angehoben. Wer früher nicht mehr arbeiten kann, etwa wegen langjähriger, körperlich anstrengender Tätigkeiten, muss Abschläge in Kauf nehmen.
Leichte Schritte des politischen Zurückruderns milderten die Folgen indes kaum ab. So dürfen beispielsweise seit 2014 langjährig Versicherte mit 63 Jahren in den Ruhestand gehen – abschlagsfrei allerdings nur dann, wenn sie 45 Jahre ununterbrochen eingezahlt haben. Auf dem prekärer werdenden Arbeitsmarkt ist das immer seltener zu schaffen.
Auch der 2020 beschlossene Grundrenten-Zuschlag hilft den meisten von Altersarmut Betroffenen nicht weiter. Einerseits sorgt das hoch komplizierte Modell lediglich für eine geringe Aufstockung, meist nicht einmal über dem Sozialhilfeniveau. Vollen Anspruch darauf hat ferner nur, wer mindestens 35 Jahre in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt hat. Bereits eine längere Zeit der Arbeitslosigkeit mit Hartz-IV-Bezug (heute Bürgergeld) kann dem einen Strich durch die Rechnung machen.
Die Politik sieht zu
Die Linke glaubt, ein Rentenmodell nach österreichischem Vorbild könne die Verarmung im Alter zumindest abmildern. Seit Jahren plädiert sie vergeblich dafür. Danach müssten alle, auch Beamte, Unternehmer und Politiker, in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Im Nachbarland bekämen Senioren deshalb im Durchschnitt 800 Euro mehr pro Monat.
In der aktuellen Pressemitteilung kritisiert der Linksfraktionsführer im Bundestag, Dietmar Bartsch, die Untätigkeit der Ampel-Regierung scharf, zumal ihre Politik die Preisexplosion für Güter des Grundbedarfs mit verantworte. Bartsch mahnte:
"Die aktuelle Bundesregierung tut gegen Altersarmut noch weniger als die Vorgängerregierung. Die Ampel treibt mit ihrer Politik faktisch die Preise, weshalb viele Menschen abrutschen. Die Altersarmut in unserem Land jagt von Rekord zu Rekord."
Bartsch zufolge wäre dringend "eine armutsfeste Mindestrente von 1.200 Euro" nötig. Fraglich ist allerdings, ob dieser Betrag aktuell noch ein sorgenfreies Alter absichern könnte. In einer Großstadt wie München, Hamburg oder Berlin dürfte das angesichts explodierender Mieten und Nebenkosten längst nicht mehr möglich sein, auf dem Lande ebenfalls zunehmend weniger.
Doch selbst ein derart schwaches Zugeständnis der Politik an die Würde von Millionen verarmten Senioren in Deutschland, wie es die Linksfraktion fordert, ist aktuell nicht in Sicht. Dies sähe vielleicht anders aus, wenn die Lohnabhängigen sich zusammenschlössen, um gemeinsam für soziale Verbesserungen zu kämpfen, nicht nur bezüglich des Rentenniveaus. Bekanntlich wurden einst alle sozialen Zugeständnisse der Herrschenden an die Arbeitenden hart erkämpft.
Mehr zum Thema - Jeder dritte Deutsche: "Mein Leben hat sich verschlechtert"