Die russisch-aserbaidschanische Schriftstellerin Olga Grjasnowa gilt als Vertreterin einer Generation, die keine Grenzen kennt, aber auch keine Heimat hat. Ihr Debütroman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" machte sie im Jahr 2012 zum jungen Star der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur.
Damals war die Autorin 27 Jahre alt und zu diesem Zeitpunkt schon in Berlin ansässig. In Berlin spielte auch die Handlung ihres nächsten Romans "Die juristische Unschärfe einer Ehe" (2014), der von drei jungen Menschen handelt, die neu anfangen wollen. Sie sagte, dass die Geschichte nur in Berlin möglich sei, weil die Stadt diese besondere Ausstrahlung habe, sie liberal, international und verhältnismäßig günstig sei.
Nun ist Grjasnowa mit ihren fünf erschienenen Romanen etablierte Schriftstellerin und Literaturprofessorin für Sprachkunst, sie hat zwei Kinder und einen Mann. Aber sie ist keine Musterberlinerin aus Neukölln mehr. Die Stadt hat sie kurz vor Beginn des Wintersemesters verlassen, denn sie muss in Wien unterrichten.
Aber die Ferne des neuen Arbeitsortes ist nicht der einzige Grund für den Umzug (oder Auswanderung?). Die Stadt habe sich zum Schlechteren gewandelt, erklärte sie in einem Interview in der Berliner Zeitung (BZ). Es sei kein schöner Abschied gewesen, stellte die Literatin latent genervt im Gespräch klar. Sie sei an der Wohnungssuche verzweifelt, als sie eine größere Wohnung mieten wollte.
Zwar seien sie und ihr Mann, ein Schauspieler aus Syrien, nicht prekär aufgestellt. "Aber ehrlich gesagt, scheint es in Berlin in keinem Segment außer "'Luxus' etwas zu geben", beschwerte sie sich. Auf ihre zahlreichen Anfragen habe sie von den Maklern in der Regel nicht mal eine Antwort bekommen. Und fügte hinzu:
"Und die Fäkalien in der S-Bahn waren irgendwann auch genug."
Die BZ-Redakteurin fragte verwundert nach, Grjasnowa bekräftigt: "Ständig, klar. Menschliche." Noch vor zehn Jahren, als sie ihr Berlin-Roman geschrieben habe, sei die Stadt halbwegs bezahlbar gewesen.
"Aber jetzt kann man sich Berlin nur noch leisten, wenn man einen alten Mietvertrag hat oder ein Erbe im Rücken. Ein großes Erbe, um hier entspannt leben zu können."
Die Redakteurin fragte immer wieder nach, suchte nach Positivem, doch das Urteil der ehemaligen Berlinerin wurde nicht milder:
"Vieles war möglich, das sehe ich heute nicht mehr. Die alteingesessene Bevölkerung wird verdrängt, zum Teil mit fast kriminellen Methoden. Und das hat die Stimmung in der Stadt verändert. Berlin ist viel aggressiver geworden. Es gibt kein entspanntes Zusammenleben mehr, so wie es mal war oder zumindest den Anschein hatte zu sein. Man sieht viel mehr Armut, Sucht und Obdachlosigkeit in den Straßen.
Dabei habe sie gerne in Berlin gelebt, dies sei die Stadt, in der sie nach so vielen Stationen in ihrem Leben "bleiben wollte". Nun aber habe man in Berlin die einfachen sozialen Regeln des Zusammenlebens verlernt. Sie betonte, dass jugendliche Migranten, die die Verhaltensregeln verletzen, in Berlin ausgewachsen seien, "aber in den Freibädern wird nach Nachnamen gefragt". Da laufe das ganze System schief. Kürzungen der sozialen Ausgaben, die ausgerechnet für Problemviertel wie Neukölln beschlossen seien, machten die Situation noch angespannter.
Grjasnowa befürchtet, dass in Berlin wie auch anderswo in Deutschland bald US-amerikanische Verhältnisse herrschen würden."Es kommt darauf an, wie sich die Sozialpolitik in Deutschland entwickelt, ob das in Richtung USA und Großbritannien geht." Sicher, dass Deutschland diesen Weg nicht einschlage, sei sie nicht. Wie weit die Entwicklung geht, wird die preisgekrönte Schriftstellerin jetzt aus Wien beobachten.
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