Von Bernhard Loyen
Im Fachjargon nennt man beabsichtigte Abläufe und Umsetzungen auch weiterhin jemanden oder etwas "positiv in Szene oder Bild zu setzen". Es wäre daher interessant, ab welchem Zeitpunkt, ausgehend von den Datumsangaben im Sendematerial, erste Gespräche zwischen dem Regisseur und Produzenten Stephan Lamby, der ARD und dem Kanzleramt stattfanden. Bei dem Sendematerial handelt es sich um einen dreiteiligen Filmbeitrag des Südwestrundfunk (SWR) mit dem beeindruckenden Gesamttitel: "Ernstfall – Regieren am Limit". Matthias Deiß, stellvertretender Studioleiter des ARD-Hauptstadtstudios, wusste schon vor der Veröffentlichung am persönlichen Limit wahrnehmend zu behaupten:
"Diesen Film muss man gesehen haben … Bester Journalismus zur Primetime!"
Bescheidenheit, die gute alte ARD-Tugend. Der offizielle Text der ARD-Mediathek gibt den beabsichtigten inhaltlichen roten Faden bekannt:
"Seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine steht die Bundesregierung unter gewaltigem Druck. Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner müssen Entscheidungen von enormer Tragweite treffen. Die Doku-Serie begleitet sie durch die dramatischen Monate historischer Ereignisse."
Hautnah und professionell durfte dabei Stephan Lamby die auserkorenen Spitzenakteure der Gegenwart begleiten. Dessen Vater, Werner Lamby, gehörte demnach "in den 1960/1970er-Jahren zu den Spitzenbeamten" der überschaubaren und gut vernetzten alten Bonner Republik. Zudem war er "von 1993 bis 1999 Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik". Dass er als dienlicher Türöffner agierte, als sein Sohn im Jahre 1997 die "ECO Media TV-Produktion" gründete, die "vor allem Dokumentationen zu Politik, Wirtschaft, Geschichte, Kultur und Wissenschaft produziert", sollte als Tatsache betrachtet werden. Es folgten annähernd jährlich Produktionen rund um das politische Berlin. Nun also der Hochglanz-Dreiteiler für den SWR.
Jeder der drei Teile ist rund dreißig Minuten lang. Ich habe mir bis dato nur Teil 1 angesehen, um einen ersten Eindruck gewinnen zu können, warum es dieser Filmdokumentation seitens der ARD und dem Kanzleramt für die Zuschauer vermeintlich bedarf. Was in dieser Folge sehr interessant ist, ist die erlaubte Anwesenheit der Kamera in den Arbeitsräumlichkeiten der vier Hauptprotagonisten, wie auch die Begleitung bei Außenterminen, auch außerhalb Deutschlands. Alle vier geben sich in Interviewpassagen bemüht locker, Herr Habeck auch lässig. Kanzler Scholz gewohnt steif und bräsig, Christian Lindner und Annalena Baerbock angespannt und zu offensichtlich bemüht in ihren Formulierungen.
"Es war einmal eine neue Regierung mit guten Vorsätzen", lautet der erste Satz von Teil 1: "Der Angriff". Frau Baerbock, als frisch gekürte Außenministerin, darf dann gleich im Dezember 2021 folgenden Politik-Poesiealbumstext in die Kamera sprechen:
"Jede neue Regierungszeit ist ein neuer Anfang und bekanntermaßen hat jeder Anfang einen Zauber inne."
Man hätte schon gerne gewusst, ob da noch mehr schlau-schöne Sätze folgten, aber es erfolgte der fließende Wechsel zu dem aalglatten Christian Lindner. Der bestätigte auch gleich sein biegsames Dasein mit dem Strebersatz:
"Ich war zunächst vorsichtig, denn das ist eine große Verantwortung."
So ist er, immer schön den Blick auf potenzielle Hintertürchen, um bei Stress schnell abzuhauen. Es folgte der Kinderbuchautor Robert Habeck, auch gefürchtet für seine freigesprochenen Weisheiten:
"Das war eine wilde Entschlossenheit, jetzt auch den Aufbruch zu organisieren."
Dass er dabei eigentlich von organisiertem Abbruch spricht, wollte weder Produzent Lamby bestätigt bekommen, noch realisierte Habeck die Kraft seines Satzes. Der Irrsinn, dies alles passiert in den ersten 36 Sekunden von Folge 1. Herr Scholz brauchte oder sollte noch nichts kommentieren, im Hintergrund begleitet die ganze Zeit Solo-Pianomusik. Die Off-Stimme kündigt dramaturgisch förderlich und bedienend an – Zeit für Popcorn:
"Doch dann, dann kam alles ganz anders."
Und wer könnte dies den ARD-Zuschauern nicht besser erklären, also wieso und weshalb, als erneut Annalena Baerbock, die am 24. Februar 2022 von ihren Redenschreibern im Auswärtigen Amt ausgedruckt, folgenden Satz wörtlich mitteilte:
"Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger, wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht. Nach Monaten der Vorbereitung, von Lügen und Propaganda hat Präsident Putin heute Nacht entschieden, seinen Drohungen schreckliche Taten folgen zu lassen."
Niemand der deutschen Bürger konnte ja erahnen, dass man sich rund 19 Monate später wirklich fühlt, wie in einer anderen Parallelwelt des alltäglichen Irrsinns. Der Produzent lässt zudem beim Satzabschnitt "hat Präsident Putin" akustisch und optisch reingeschnitten, russische Kampfflugzeuge in das verträumte Blickfeld von Kanzler Scholz fliegen, der zuvor von hinten aufgenommen, ganz konzentriert aus dem riesigen Panoramafenster hinausblickte. Hollywood, made in Germany, at its best. Dann Schnitt zu einem Scholz Auftritt beim Europafest der SPD im Juni 2022. Der kleine Mann brüllt den Gegendemonstranten erregt zu: "Kriegstreiber, Kriegstreiber ist Putin".
So könnte man Minute für Minute die Sequenzen und filmische Vorgehensweise sezieren. Zitate, Off-Kommentare, Bild und Ton-Zuschnitte. Ein beeindruckendes, manipulatives und sehr professionelles Machwerk.
Das Produzententeam darf mit in den Regierungsflieger "zum Antrittsbesuch von Scholz in Washington" am 6. Februar 2022. Der Kameramann läuft durch die Maschine. Interviewt werden, welch Berechenbarkeit, von den mitreisenden Journalisten, zwei Kolleginnen. Eine vom SPD-nahen Redaktionsnetzwerk Deutschland und Tina Hassel vom ARD-Hauptstadtstudio. Diese wusste als Vollblutjournalistin mitzuteilen, bei den Ereignissen in der Ukraine geht es um die "möglicherweise gesamte, im Moment, um die europäische Nachkriegsordnung". Punkt, Schnitt ins weiße Haus. Den ARD-Zuschauer darauf hinzuweisen, dass Frau Hassel da etwas Elementares aus den 1990ern verdrängt hat, Stichwort Jugoslawienkrieg, schien nicht wirklich erwähnenswert für Herrn Lamby.
Es folgt die berühmte Szene der Pressekonferenz von US-Präsident Biden und Olaf Scholz. Der ARD-Zuschauer bekommt den Originalmoment der Ankündigung Bidens, dass, wenn Russland die Ukraine militärisch attackiert, die Ostsee-Pipeline obsolet ist: "Wir werden dem ein Ende setzen". Weiterhin anscheinend kein Skandal für die Beteiligten. Vielleicht auch nur eine schlichte Absprache zwischen Lamby, ARD und dem Kanzleramt: "Mach danach einfach einen Schnitt, Themenwechsel. Keine Fragen an Scholz". Zu diesem Thema, beim Rückflug nach Berlin. Lamby lieferte die gewünschte und vergütete Umsetzung und wollte daher lieber wissen: "Was will Putin?". Scholz: "Es ist schwer zu sagen, was die eigentliche Perspektive Putins ist …". Danach ging es nach einem weiteren Schnitt zur Mitbegründerin der Klima-Apokalyptiker der "Letzten Generation".
Es folgen regelmäßige dramaturgische Einblendungen:
- 15 Tage vor Kriegsbeginn
- 9 Tage vor Kriegsbeginn
- 2 Tage vor Kriegsbeginn
So könnte weiter minutiös zitiert und dargestellt werden. So die bizarre Situation, bei Vorstellung des Bundesministers für besondere Aufgaben/Chef des Bundeskanzleramtes, Wolfgang Schmidt, der mit Maske aus dem Kanzleramt in den Innenhof schlendert, um dann drei Bundeswehrsoldaten, ebenfalls alle mit Maske, kurz zuzuschauen, wie sie im Freien, also draußen, für einen potenziellen Gastempfang üben. Die nachfolgenden Szenen vermitteln noch einmal die gigantischen räumlichen Ausmaße des Kanzleramts.
Scholz darf seinen Besuch bei Putin kommentieren, Causa langer Tisch, um mit sicherem Abstand kesse Lippe zu spielen: "Es haben Welche, ich zum Beispiel, ihm gesagt, dass er falsch liegt". Nach der Krisensitzung des Sicherheitskabinetts vom 24. Februar 2022 darf Christian Lindner bedeutungsschwanger in die Kamera raunen:
"Das sind Entscheidungen von großem Gewicht, die getroffen werden müssen, schwere Entscheidungen."
Frau Baerbock hatte zu diesem Zeitpunkt ein ganz eigenes Gefühl, weil sich "die Welt für uns, durch eine Nacht komplett für uns in Europa geändert hat". Es folgt dann gegen Mitte des Films die in den sozialen Medien am häufigsten belächelt gestellte Szene. Sie wirkt für sich vollkommen allein in der Betrachtung. Vier ungelernte und überforderte Menschen, sollen vermeintlich in Gedanken versunken, aus vier individuellen Fenstern blicken. Propaganda mit Klaviermusik, in Form klassischer manipulativer Bildsprache. So geht es je nach Nervenkostüm die kompletten 33:58 Minuten bis zum Ende von Teil 1. Die TAZ resümiert nach geladener Premieren Anwesenheit in einem Berlin Kino, nach Betrachtung des ganzen Films: "Mal blicken sie ratlos, mal souverän, mal einfach nur müde". Dem ist nichts hinzuzufügen. Produzent Lamby gab der TAZ zu Protokoll, dass er "nicht embedded" war, es gab demnach "keine Bedingungen".
Er sei sich zudem sehr sicher, dass so ein Film in anderen Ländern, auch den USA, nicht möglich wäre. Mag es an der Naivität der Hauptprotagonisten liegen, die in Teil 1 wiederholt mehr als unvorteilhaft in Szene gesetzt wurden? Der Hamburger Spiegel fasst nach Gesamtbetrachtung zusammen: "Lamby zeigt Politiker in Regierungsverantwortung, die ohne Netz agieren müssen. Und genau in dem Moment, in dem sie dies tun, geben sie ihm Auskunft." Der Zeit-Artikel stellt fest: "Wenn geredet wird im Ernstfall, dann ist das erstaunlich selten interessant". Ja und Nein, aber die Aussagen sind zumindest mehr als entlarvend. Zudem, die Tatsache, welche Fragen – unbewusst oder abgesprochen – nicht gestellt wurden.
Folge 2 trägt den Titel: "Angst", die abschließende Folge: "Streit". Zusammenfassend eine mehr als aufschlussreiche Auftragsarbeit auf Netflix-Niveau, mit dem Charakter einer schlichten Propaganda-Auftragsarbeit. In der kritischen Betrachtung mehr als verräterisch, hinsichtlich des erschreckenden "Nicht-Niveaus", der sich immer mehr abzeichnenden Unfähigkeit der leitenden aktuellen Bundesregierung und ihrer Darsteller. All das wurde auf Kosten von Millionen Bürgern, eines ganzen Landes umgesetzt. Wenig überraschend kommt auch ein Buch zum Film auf den Markt.
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