Nach dem Rückzug von Co-Vorsitzenden der Linken-Fraktion im Deutschen Bundestag Amira Mohamed Ali streitet die Linke weiter über die künftige Ausrichtung und den Umgang mit Sahra Wagenknecht.
Am vergangenen Sonntag hatte Mohamed Ali erklärt, nicht erneut für den Fraktionsvorsitz kandidieren zu wollen. Neben anderen Gründen wie der zahmen Kritik an der Bundesregierung und der Haltung zum Ukraine-Krieg begründete die Co-Vorsitzende diesen Schritt vor allem mit dem Umgang der Partei mit Sahra Wagenknecht. Im Juni hatte der Parteivorstand die populäre Politikerin zur Niederlegung ihres Bundestagsmandats aufgefordert und erklärt, die Zukunft der Linken sei eine "Zukunft ohne Wagenknecht". Mohamed Ali erklärte bereits damals dazu, sie könne dies nicht mittragen. Nun hat sie in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung einen Austritt aus der Partei nicht mehr ausgeschlossen.
Wörtlich schrieb die Fraktionsvorsitzende in ihrer am 6. August veröffentlichten Erklärung:
"In der Parteiführung und unter einer Mehrheit von Funktionären hat sich ein Kurs durchgesetzt, der meinen politischen Überzeugungen an vielen Stellen deutlich widerspricht und der die Linke zunehmend in die politische Bedeutungslosigkeit treibt. So beschränkt sich zum Beispiel die Kritik an der Ampelregierung weitgehend auf die Forderung nach einem etwas stärkeren sozialen Ausgleich für die Missstände, die durch die Politik der Ampelregierung und ihrer Vorgänger ausgelöst oder verschärft wurden. Es wird bewusst kein klares und grundsätzliches Nein zum falschen Kurs der Ampelkoalition formuliert, der den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet und damit massiv Wohlstand und Arbeitsplätze bedroht."
Zur Causa Wagenknecht formulierte Mohamed Ali damals:
"Den letzten Ausschlag für meine Entscheidung hat der einstimmige Beschluss des Parteivorstandes vom 10. Juni 2023 gegeben und der Umstand, dass sich die große Mehrheit der Landesvorstände diesen Beschluss zu eigen gemacht hat. Darin wird gesagt, Sahra Wagenknecht habe in der Linken keine Zukunft mehr und solle zusammen mit anderen Abgeordneten ihr Mandat niederlegen. Dies zeigt in bis dahin noch nicht gekannter Deutlichkeit den Wunsch und das Ziel, einen Teil der Mitgliedschaft aus der Partei zu drängen. Es ist der Teil, der deutliche Kritik am Kurs der Parteiführung äußert."
Sahra Wagenknecht ihrerseits hat sich in einem Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio zum Rückzug von Mohamed Ali geäußert. Sie sagte, Mohamed Ali habe immer "für Ausgleich, Kompromiss und Verständigung" gestanden. Zum Zustand ihrer Partei sagte sie, in der Linken gebe es immer weniger Raum für vernünftige Politik.
Unter den bekannteren Linken-Politikern haben sich unter anderem Sevim Dağdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Żaklin Nastic und Christian Leye auf die Seite von Wagenknecht und Mohammed Ali geschlagen. Aber auch andere Abgeordnete kritisierten die Parteiführung.
Die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Jessica Tatti schrieb:
"Wer den eigenen Genossen permanent die Tür zeigt, braucht sich nicht wundern, wenn sie irgendwann durchgehen."
Der Parteivorstand lasse sich im Umgang mit Wagenknecht und Mohamed Ali durch nichts irritieren. Die Ausrichtung der Partei werde "immer abstruser".
Die Berliner Zeitung sieht in ihrer Freitagsausgabe die Linkspartei bereits an ihrem Ende angekommen. Die Zeitung prophezeit:
"Nach der Sommerpause dürften sich die Wege trennen. Auch wenn die Akteure im Lager von Sahra Wagenknecht bis September Stillschweigen vereinbart haben, verdichtet sich das Bild: Die Geheimoperation Parteineugründung ist in vollem Gange."
Die Hinweise auf eine bevorstehende Trennung würden sich verdichten, so die Recherchen der Berliner Zeitung. "Große Neuigkeiten" werde es nach der Sommerpause geben, heißt es in Gesprächen mit Akteuren aus dem Umfeld Wagenknechts. Die Gründung einer eigenen Partei noch in diesem Jahr muss das aber nicht unbedingt bedeuten.
Im Gespräch sei ein Vereinsmodell. Die Abgeordneten des Wagenknecht-Lagers könnten noch in diesem Jahr einen solchen Verband gründen und damit eine erste Struktur für eine neue linke Partei schaffen. Das käme einer Kaderpartei am nächsten: einer geschlossenen, zunächst auf Gefolgsleute beschränkten Struktur, die so lange bestehen könnte, wie es das Parteiengesetz erlaubt.
Einen Rettungsversuch hat derweil der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann unternommen. Für den aus einer Politikerdynastie stammenden und bei Kritikern als nur an Wahlergebnissen interessierten Karrieristen verrufenen Abgeordneten kommt trotz seiner Nähe zu Wagenknecht ein Austritt aus der Linkspartei nicht in Frage. "Meine politische Heimat ist die Linke", sagt Pellmann. Wenn Wagenknecht eine neue Partei gründen würde, schätzt er, dass ein Drittel der Mitglieder mitgehen würde. Dadurch sieht er die Aussichten bei künftigen Wahlen gefährdet.
Pellmann schlägt einen Sonderkonvent vor, auf dem die aktuellen Probleme geklärt werden sollen. Außerdem solle Wagenknecht statt der Flüchtlingshelferin Carola Rackete zur Spitzenkandidatin der Linken bei den anstehenden Europawahlen nominiert werden.
Aus dem Parteivorstand heißt es zu Pellmanns Vorschlag, man prüfe diesen. Dass sich der Vorstand jedoch brüskieren lässt und einen Rückzug hinsichtlich der bereits verkündeten Spitzenkandidaturen von Rackete und des Parteivorsitzenden Martin Schirdewan antreten wird, gilt als unwahrscheinlich.
Vom Büro Wagenknecht hieß es auf Anfrage dazu, es gäbe nichts zu kommentieren.
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