Als Mitte letzten Jahres kein Gas mehr aus Russland geflossen war und die Bundesregierung in Erwartung eines womöglich kalten Winters nach Wegen aus der selbst verschuldeten Krise gesucht hatte, hatten zwei Geschäftspartner offenbar die Chance ihres Lebens gewittert. Obwohl bis dato völlig unbekannt im Energiesektor, hatten der Steuerberater Stephan Knabe und sein Kompagnon Ingo Wagner, ein Immobilienmanager, kurzerhand die Deutsche ReGas GmbH & Co. KGaA gegründet. Der Plan schien tatsächlich aufzugehen: Im Januar dieses Jahres wurde ein erstes LNG-Terminal in Lubmin eröffnet, ein weiteres, ebenfalls auf der Insel Rügen, ist bereits in Planung. So weit, so erstaunlich.
Nun wurde ein seltsames Detail bekannt. So hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Neu-Unternehmer Knabe (und vielleicht auch Wagner) am 15. September 2022 in seinem Potsdamer Bundestagswahlkreis getroffen, wie unter anderem der Business Insider berichtet. Dass der Kanzler persönlich zu Knabe gefahren war, begründet Letzterer gegenüber der Süddeutschen Zeitung damit, dass Scholz habe überprüfen wollen, ob man diesem Typen trauen könne. Nun, dass ein Bundeskanzler quasi persönlich den Qualitäts- und Sicherheitscheck eines Zwei-Mann-Projektes durchführt, ist – gelinde gesagt – bereits ein ausgesprochen bemerkenswerter Vorgang. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Fabio De Masi kommentiert dies gegenüber dem Business Insider so:
"Der Kanzler wäre größenwahnsinnig, wenn er die Zuverlässigkeit zweier Glücksritter auf dem Gas-Markt persönlich überprüfen wollte. Das ist die Aufgabe von Sicherheitsbehörden."
Doch es kommt noch seltsamer. Mitglieder der Bundesregierung sind, anders als Abgeordnete, dazu verpflichtet, ihre Termine offenzulegen – doch dieser Termin findet sich nicht im Kalender des Kanzlers, Scholz hielt ihn also "geheim". Er habe den Termin in seiner Funktion als Abgeordneter wahrgenommen und nicht als Kanzler, so die Begründung des SPD-Politikers. Doch bei diesem Treffen ging es um ein großes Regierungsprojekt. De Masi, der sich einst sowohl im Wirecard-Untersuchungsausschuss als auch im Finanzausschuss des Bundestages zu Cum-Ex mit Scholz' Rolle vor dem Hintergrund großer Finanzskandale befasst hatte, bezeichnet dies als einen "Trick". Dem Business Insider sagte er:
"Wie in der Cum-Ex/Warburg-Affäre versucht Scholz, dubiose Termine der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Er nutzt hier den Trick, dass er den Termin als Abgeordneter und nicht als Kanzler wahrgenommen habe und der Termin somit nicht veröffentlicht werden müsse."
Schon im Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Warburg-Bank hatte die Kölner Staatsanwaltschaft den Verdacht geäußert, dass es im Terminkalender von Scholz aus seiner Zeit als Erster Bürgermeister in Hamburg gezielte Löschungen gegeben habe. Im Übrigen gibt es eigentlich auch Anweisungen für ein transparentes Verhalten von Regierungsvertretern. So sollen gemäß einer "Orientierungshilfe" des Bundesinnenministeriums vom Dezember 2021 Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretäre darauf achten, dass "der Umgang mit Interessenvertretungen im Sinne des Lobbyregistergesetzes (LobbyRG) im Einklang mit den Grundsätzen integren Verhaltens geführt wird". Die Deutsche ReGas wird als Unternehmen im Lobbyregister des Bundestags geführt.
Nach Auskunft seines Abgeordnetenbüros nimmt Scholz übrigens ungefähr viermal pro Monat Termine in seinem Wahlkreis wahr. Eine Sprecherin erklärte dazu Folgendes:
"Als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter besucht Olaf Scholz regelmäßig Einrichtungen in seinem Wahlkreis, lädt die Bürger zu Wahlkreisgesprächen ein und nimmt an Veranstaltungen im Wahlkreis teil. Diese werden aus dem MdB-Büro heraus organisiert und begleitet."
Aus dieser Stellungnahme geht allerdings nicht hervor, ob alle Abgeordneten-Termine und auch, worum es dabei ging, im Kalender vermerkt sind. Ohnehin sei eine solche Trennung zwischen Abgeordneten- und Kanzlerterminen nicht glaubhaft, wie der Business Insider unter Berufung auf ehemalige Kanzleramtsmitarbeiter, die anonym bleiben möchten, weiter zu berichten weiß. Vielmehr sei es sogar "unwahrscheinlich", dass Scholz' Termine als Abgeordneter nicht mit dem Kanzleramt synchronisiert worden sind – allein schon, um Terminkonflikte zu verhindern.
Die Deutsche ReGas steht im Übrigen mittlerweile wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Geldwäsche in der Kritik, auch haben die Firmengründer laut Medienberichten bislang nicht öffentlich glaubhaft machen können, woher ihr Startkapital in Höhe von 100 Millionen Euro stammt. Das Unternehmen verweist darauf, dass es sich bei der Summe um Eigenkapital und um Gelder von Investoren handele, die Geldwäsche-Vorwürfe weise man übrigens zurück. Diese dienten lediglich einer "öffentlichen Diskreditierung", und es handele sich um eine reine "Verdachtskampagne".
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