Von Dagmar Henn
Nun beschloss also der Bundesvorstand der Linken, Sahra Wagenknecht zur Rückgabe ihres Bundestagsmandats aufzufordern. Und anscheinend beschäftigen sich nun (fast) alle mit der Frage, ob sie das tun solle, tun wird oder nicht, anstatt wenigstens wahrzunehmen, welch eigenartige Auffassung von Demokratie und Satzung dieser Parteivorstand an den Tag legt.
Es ist schließlich so, dass die Satzung jeder Partei Vorkehrungen enthält, wie man Mitglieder notfalls auch wieder loswerden kann. Das nennt sich dann Parteiausschluss. Das Problem, das der Parteivorstand der Linkspartei mit einem Ausschlussverfahren hat, ist vermutlich, dass man in einem solchen Verfahren tatsächlich nachweisen muss, dass das betroffene Mitglied gegen Satzung oder Programm der Partei verstoßen hat. Das ist nicht ganz so einfach.
Der Bundesvorstand wäre selbstverständlich berechtigt, einen entsprechenden Antrag zu stellen; allerdings käme es dann erst einmal zu einem Verfahren vor der Landesschiedskommission und anschließend vor der Bundesschiedskommission, und zumindest in letzterer sitzen Juristen, die ein klein wenig auch auf ihren eigenen Ruf achten müssen. Das heißt dann, ihre Möglichkeiten, Urteile nach Vorstandsvorlieben zu fällen, sind umso begrenzter, je höher die Aufmerksamkeit für ein solches Verfahren ist. Es gibt also keine Garantie dafür, dass ein solches Verfahren nach Gusto des jeweiligen Parteivorstands endet.
Nun hätte man Wagenknecht auch zum Austritt auffordern können. Das allerdings hätte dann womöglich in einer Erklärung von Wagenknecht enden können, die – falls sie jetzt von plötzlichem Mut befallen wäre und tatsächlich austreten würde – für Die Linke als Partei katastrophal werden könnte. Schließlich ist eine Debatte um Inhalte gefährlich, insbesondere für Geistesgrößen wie Janine Wissler oder andere Persönlichkeiten, die nach dem Schema der Trotzkistengruppe Marx 21 vor allem nach ihrer physischen Attraktivität in Positionen gehievt wurden.
Natürlich muss Die Linke, will sie endlich völlig mit der Großen Koalition der Kriegsparteien verschmelzen, Störfaktoren wie Wagenknecht loswerden, selbst wenn diese immer noch brav vom "unbegründeten russischen Angriffskrieg" spricht. Die neueste Variante aber, die letztendlich gewählt wurde, zeigt nun vollends, dass man dort einige Punkte in der Demokratie nicht so richtig begriffen hat, sondern vollständig in dem Irrglauben aufgegangen ist, Bundestagsmandate wären im Besitzstand der jeweiligen Partei.
Das sind sie nämlich gewiss nicht. Wenn es für diesen Besitzstand jemanden geben könnte – also wenn wir in einer Republik lebten, in der das imperative Mandat gilt –, dann wären diejenigen, die ein Mandat geben und wieder nehmen können, immer noch die Wähler. Nicht etwa diese oder jene Partei und auch nicht deren Bundesvorstand, dessen Mitglieder mit Sicherheit selbst unter den Nordrhein-Westfälischen Mitgliedern "ihrer" Partei nicht unbedingt viele Wähler finden dürften.
In früheren Jahren hätten die großen Parteien diesen Moment sofort genutzt, um die Linke der Demokratiefeindlichkeit zu bezichtigen. Dass sie es heute nicht tun, zeigt, wie erwünscht mittlerweile die zahnlose und verzwergte Identitätslinke ist. Nun ist sie fast schon angekommen in der "demokratischen Mitte".
Derweil steht das Wählervolk, sofern es der Kriegsgeilheit abhold ist und auch nicht mit ukrainischen Nazis sympathisieren will, ratlos in der Landschaft und bereitet sich innerlich darauf vor, mit zusammengebissenen Zähnen notgedrungen die AfD zu wählen.
Mehr zum Thema - Linkspartei gespalten über Angriff des Parteivorstands auf Sahra Wagenknecht