Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck (CDU) hat in der ARD-Gesprächsrunde Maischberger den 2015 verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) als "kindisch" bezeichnet. Mit dieser Äußerung reagierte Gauck auf den Ausschnitt eines Interviews mit Helmut Schmidt aus dem Jahre 2015, in dem der Altkanzler das verlorene Vertrauen Russlands in den Westen beurteilt hatte:
"Das Vertrauen ist zerstört worden durch die idiotischen Angebote und Absichten, die dahinter steckten, seitens der Europäischen Union. Der Versuch, die Europäische Union auszudehnen auf die Ukraine, gleichzeitig auf Georgien, am liebsten noch auf Armenien, das ist ein ziemlicher Blödsinn. Das ist geopolitische Kinderei."
Schmidts Kritik quittierte Gauck mit dem Satz:
"Tja. So werden einst kluge Menschen dann im Alter manchmal kindisch."
In seiner Begründung führte Gauck weiter aus, Machtmenschen, wie Helmut Schmidt einer gewesen sei, bewunderten manchmal auch Größe und Macht in einer Weise, die er nicht nachvollziehen wolle – womit er wohl auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin anspielte. Den Völkern, die im Vorfeld der Großmächte lebten, müssten hingegen dieselben Rechte zugestanden werden, die Großmächte für sich beanspruchten, so Gauck.
Es gehe nicht an, dass man kleinen Ländern die "freie Selbstbestimmung" aus Rücksicht auf eine Großmacht verweigere, "die in ihrem imperialen Denken ein Vorfeld hat." Die Forderung, Russlands Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen, wies Gauck als Wunschdenken zurück. Er selbst sei gegen eine Politik, die mit guter Absicht einem "bösartigen" Menschen begegne.
Geopolitische Kinderei oder Strategie?
Weder Schmidt noch Gauck wollten in ihren Äußerungen offenbar berücksichtigen, dass sich die geopolitische "Kinderei" – also die Staaten- und Militärbündnisse des Westens – in eine größere geopolitische Strategie einfügt. Nach der NATO- und EU-Osterweiterung in mehreren Etappen ab 1999 bzw. 2004 stellte die Aufnahme der Ukraine in die westlichen Staaten- und Militärbündnisse den nächsten Schritt der US-amerikanischen Eurasien-Strategie dar, wie sie der polnisch-amerikanische Politikwissenschaftler Zbigniew Brzeziński vorgeschlagen hatte.
In seinem Buch "Die einzige Weltmacht" von 1999 beschrieb Brzeziński die Rolle der EU treffend als US-amerikanischen Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent. Die Ausdehnung der EU und der NATO werden von dem Politikwissenschaftler als gleichbedeutend mit der Vergrößerung der globalen Vormachtstellung der USA gesehen. Der Vorstellung von einem Machtgleichgewicht erteilte Brzezinski hingegen explizit eine Absage. Stattdessen müssten die USA den Aufstieg möglicher Herausforderer in Eurasien, insbesondere Russlands, in jedem Fall verhindern.
Die Ukraine beschrieb Breziński in seinem Szenario als bedeutenden geopolitischen Hebel, da sie, einmal dem Einflussbereich Moskaus entzogen, Russland aus Mangel an Alternativen nötigen werde, sich der EU zu unterwerfen.
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