Deutschlands Bundesregierung setzt trotz unüberhörbarer Warnungen aus der Wirtschaft den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie fort. So titelte am 15. April etwa die Tagesschau "Ende der Atomkraft-Ära in Deutschland – Die letzten Meiler gehen vom Netz".
Wirklich alle Atomkraftwerke? Nein, ein von einem unbeugsamen Ministerpräsidenten regiertes Bundesland, nämlich der Freistaat Bayern hört nicht auf, der "großen Politik" in Berlin Widerstand zu leisten. Markus Söder (CSU) kündigte mit entsprechendem medialem Getöse an, das bayerische Kernkraftwerk Isar 2 in Regie des Freistaates weiterzubetreiben. Damit konterkariert dieser machtbewusste Landespolitiker – wenige Monate vor den im Oktober anstehenden Landtagswahlen in Bayern – ganz nebenbei seine eigene Haltung noch im Jahr 2021. In einem Video teilte er vor zwei Jahren seinen Bürgern mit:
"Vor 10 Jahren Reaktorkatastrophe in Japan: Fukushima ändert alles. Neben dem Atomausstieg brauchen wir mehr erneuerbare Energien. Bayern stärkt Photovoltaik und Re-Powering bei Windanlagen. Insgesamt ist eine moderne Strategie in der Energiepolitik nötig. Darin liegt die Zukunft."
Im Wahljahr nun fordert Söder vom Bund die Änderung des sogenannten Atomgesetzes zum Zwecke der Umsetzung seiner jüngsten Pläne. Der Bild am Sonntag (BamS) teilte er mit, dass "eine eigene Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb der Kernkraft" nur durch die Gesetzesänderung möglich sei. Weiter heißt es in dem BamS-Artikel zu den Plänen Söders:
"Bayern will jetzt ein eigenes Atomkraftwerk betreiben sowie einen eigenen Forschungsreaktor bauen."
Söder erklärt nun also – im Jahr 2023 – zum Thema Atomenergie:
"Solange die Krise nicht beendet und der Übergang zu den Erneuerbaren nicht gelungen ist, müssen wir bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen. Bayern ist bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen."
Katharina Schulze, die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in Bayern, kommentierte die Pläne Söders auf Twitter mit den Worten:
"Energiepolitisch ist in Bayern so viel zu tun: Windräder aufstellen, Solaranlagen auf die Dächer packen, Stromleitungen ausbauen, Geothermie überall wo möglich – da sollte der Ministerpräsident mal anpacken, anstatt ein totes Pferd zu reiten."
Auch ihre Parteivorsitzende Ricarda Lang stelle am Vortag fest: "In den letzten Jahren wurde viel über Ausstiege geredet, es gab aber kaum eine Regierung, die mal ernsthaft auch darüber gesprochen hat, wie die Energieversorgung in Zukunft bezahlbar und sicher bleibt. Das verändern wir jetzt."
Sein Umdenken sieht Söder gegenüber der BamS-Redaktion völlig gerechtfertigt, weil "es nicht sein kann, dass ein Land der Ingenieure wie Deutschland jeden Anspruch auf die Zukunftsgestaltung und internationale Wettbewerbsfähigkeit aufgibt". Die FDP sei laut dem Ministerpräsidenten "wieder einmal zu schwach, diesen historischen Fehler zu verhindern". Weiter heißt es in dem Artikel:
"Unsere Kernkraftwerke sind keine Museen, sondern unverzichtbarer Teil einer bezahlbaren Energieversorgung. Ganz Europa setzt auf klimaschutzfreundliche Kernkraft. Nur die deutschen Grünen leisten sich den Luxus eines energiepolitischen Blindflugs – sie schaden damit dem Klimaschutz, unserer Wirtschaft und gefährden unseren Wohlstand."
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz wie auch der Bundesminister Habeck persönlich kommentieren aktuell weder diesen historischen "Tag des Atomausstiegs" noch die jüngsten Ankündigungen des bayerischen Ministerpräsidenten. Wenige Tage zuvor versicherte Habeck aber den Zeitungen der Funke Mediengruppe, dass "auch ohne die drei Meiler die Energieversorgung in Deutschland sicher" sei und fügte dem selbstsicher hinzu: "Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland wurde in diesem schwierigen Winter gewährleistet und wird auch weiter gewährleistet sein."
Laut Söder dagegen sei die Bundesregierung nun vielmehr gefordert, "umgehend einen Notfallplan für die Sofort-Reaktivierung der drei Kernkraftwerke vorzulegen". Abschließend zitiert die BamS den durchaus besorgt klingenden Bayern mit der eindringlichen Warnung:
"Wer wie die Ampel darauf hofft, dass der kommende Winter wieder so mild wird wie der letzte, handelt für eine Industrienation wie Deutschland höchst naiv und fahrlässig. Selbst die Bundesnetzagentur warnt davor, dass die Energieversorgung erst im nächsten Winter zur wahren Herausforderung wird. Deshalb muss der Bund jetzt Vorsorge dafür treffen, dass wir die Kernkraft im Notfall sofort reaktivieren können."
Ohnehin brauche Deutschland für die Problematik der Atommüll-Endlagerung "dringend eine nationale Forschungsstrategie für eine Nutzbarkeit des Atommülls" und "innovative Pläne für eine verantwortungsvolle und technologische Lösung zu entwickeln", mahnt Söder.
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