Der Koalitionsausschuss der "Ampel"-Koalition hat nach zweitägiger Debatte seine Ergebnisse vorgestellt. Bereits am Dienstagabend gaben die Koalitionsvorsitzenden Lars Klingbeil (SPD), Christian Lindner (FDP) und Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) vorab einige Ergebnisse vor Pressevertretern bekannt. Seit Montag hatte der Bundeskanzler mit seinen Bundesministern über diverse Streitfragen bei den Themen Klima- und Naturschutz, Verkehr und Ausbau erneuerbarer Energien diskutiert und sie konnten sich schließlich wieder auf einen gemeinsamen Kurs einigen.
Nur 16 Seiten umfasst das Beschlusspapier, das nach 30 Stunden Verhandlungen als Einigung vorzeigbar wurde. Festgelegt wurden eine allgemeine Planungsbeschleunigung, mehr Geld für den Ausbau des Schienenverkehrs, aber auch der Autobahnausbau und die Entschärfung des bereits sehr kontrovers diskutierten Verbots von Öl- und Gasheizungen. Berücksichtigt man die Diskussionen im Vorfeld dieses Koalitionsausschusses, insbesondere um die Person des Bundesverkehrsministers Volker Wissing (FDP), scheinen Die Grünen bei einigen ihrer Forderungen das Nachsehen gegenüber der FDP gehabt zu haben.
Spekulationen über mögliche Risse in der Regierungskoalition, die während des zweifellos ungewöhnlich langen Gipfeltreffens geäußert wurden, wiesen danach die Koalitionsvorsitzenden hingegen einhellig zurück. Ricarda Lang sagte dazu in ihrer Stellungnahme:
"Das waren auf gar keinen Fall einfache Verhandlungen, und es war ein Ringen an sehr vielen Stellen."
In den letzten Jahren sei in Deutschland vieles an nötigen Reformen liegengeblieben. Da die Koalition aus SPD, FDP und Grünen angetreten sei, das Land zu modernisieren, habe es viele notwendige Diskussionen gegeben. Bei der Frage, wie die Strukturreformen in Deutschland anzugehen seien, bildeten die Koalitionsparteien die verschiedenen Standpunkte in der Gesellschaft ab, so meinte Lang. Der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck äußerte sich in der Talkrunde bei "Markus Lanz" am Dienstagabend im ZDF ähnlich. Er nannte den Reformstau, den die "Ampel" zu bewältigen habe, einen "Fluch" seiner Amtszeit.
Beschleunigung und Dekarbonisierung
Drei große Ziele hat sich die "Ampel"-Koalition nun in ihrem neuesten Beschlusspapier vorgenommen: die Bekämpfung des "menschengemachten Klimawandels", die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur und die Sicherung der Energieversorgung. Um Gesetze schneller umzusetzen, sollen künftig Planungs- und Genehmigungsprozesse "deutlich schneller, effektiver und digitaler" werden. Die Rede ist sogar von einem "neuen Deutschlandtempo", an dem man arbeite. Diese "Beschleunigung" solle dann der "Dekarbonisierung" des Verkehrssektors zugutekommen. Um die Fortschritte zu überwachen, soll ein jährliches Monitoring eingeführt werden. Zudem sollen alle Sektoren mit CO2-Ausstoß – etwa Stromerzeugung, Industrie, Verkehr, Bauen und Wohnen sowie Landwirtschaft – künftig nicht mehr einzeln sondern aggregiert bewertet werden.
Von der Beschleunigung sollen auch der Ausbau der Windenergieerzeugung, der Infrastruktur von Flüssiggas und die Digitalisierung profitieren. Genehmigungsverfahren für den Ausbau des Schienenbaus im sogenannten Kernnetz des Transeuropäischen Netzwerks der Bahn sollen spätestens nach vier Jahren abgeschlossen werden. Entlang von Autobahnen und Bahnstrecken sollen stufenweise Photovoltaikanlagen installiert werden.
Beim Thema Naturschutz soll die bisherige Regelung zur Kompensation von Eingriffen geändert werden. Bisher galt, dass ehemalige Nutzflächen vorrangig durch die Schaffung von Ersatzflächen kompensiert werden sollten. Künftig soll dem Modell die Kompensation durch Bezahlung gleichgestellt werden.
Zur Förderung des Schienenverkehrs heißt es, dass die Deutsche Bahn rund 45 Milliarden Euro zur Deckung ihres Investitionsbedarfs bis 2027 benötige. Im Zuge des Ausbaus solle der Güterverkehr auf der Schiene bis 2030 einen Marktanteil von 25 Prozent erreichen. Ein Großteil des benötigten Geldes soll aus der Lkw-Maut kommen, die erhöht und auf alle Nutzfahrzeuge über 3,5 Tonnen ausgeweitet werde. Außerdem setzte die FDP die Schaffung einer neuen Fahrzeugkategorie durch, die mit synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, betrieben werden.
Zum Ausbau der Elektromobilität heißt es in dem Papier, die Bundesregierung habe sich gemeinsam mit den Autoherstellern und Industriegewerkschaften das Ziel gesetzt, dass bis 2030 in Deutschland 15 Millionen vollelektrische "Fahrzeuge" zugelassen werden sollen. Um dies zu fördern, müsse künftig das Laden von Elektrofahrzeugen genauso leicht sein wie das Betanken. Die Infrastruktur von Ladestellen soll großflächig ausgebaut werden. Tankstellen und Parkplätze von Einzelhandel, Flughäfen und Bahnhöfen sollen verpflichtet werden, für entsprechende Angebote zu sorgen.
Die letzten zwei Punkte des Beschlusspapiers – der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien und das Umsteuern im Bereich der Gebäudewärme – gerieten am kürzesten, zeigen aber deutlich, dass insbesondere Die Grünen offenbar Kompromisse machen mussten. Zu dem auf 2024 vorgezogenen und bereits sehr kontrovers diskutierten Verbot von Öl- und Gasheizungen heißt es, dass der entsprechende Gesetzesentwurf im Kreise der Ressorts überarbeitet und "pragmatisch ausgestaltet" werde. Der letzte Satz klingt indes wie ein Mantra des Kanzlers: "Niemand wird im Stich gelassen."
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