Morgen wird die Deutsche Bahn AG ihre Bilanz vorstellen, die wieder einmal von vielen verspäteten Zügen und zunehmenden Problemen mit der Infrastruktur geprägt sein wird. Zur Erinnerung: In Deutschland sind nach wie vor nur 61 Prozent des Streckennetzes elektrifiziert. Das ist zwar immer noch besser als der europäische Schnitt, aber für ein derart dicht besiedeltes Land dennoch ein schlechter Wert. Seit dem Jahr 1995 hat sich die Menge der transportierten Güter um 83,4 Prozent erhöht, die Zahl der zurückgelegten Personenkilometer stieg um 43,7 Prozent, das Schienennetz allerdings wurde um 14,9 Prozent verringert.
Diese Bilanz wird die letzte sein, die die Deutsche Bahn in ihrer gegenwärtigen Form vorlegt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing plant, das Schienennetz ganz aus der Bahn AG zu lösen und in eine "gemeinwohlorientierte" Infrastrukturgesellschaft zu überführen, die den Namen InfraGO erhalten soll. Damit würde er ab dem 1. Januar kommenden Jahres einem Konzept folgen, das in Großbritannien schon seit dem Jahr 2002 umgesetzt wird – mit mäßigem Erfolg. Diese Gesellschaft soll ihre Einnahmen aus Trassengebühren vollständig in den Erhalt des Schienennetzes stecken, während die Nutzer dieser Trassen laut Koalitionsvertrag gewinnorientiert "im Wettbewerb" geführt werden.
Die Bahnkritiker des Bündnisses "Bahn für Alle" haben heute diese Entscheidung stark kritisiert. "Mit der InfraGo drohen uns britische Verhältnisse. Die Einheit von Rad und Schiene würde zerstört, der Fernverkehr der Privatisierung preisgegeben. Statt die Bahn zu spalten, muss die ganze Bahn gemeinnützig werden", erklärte der Sprecher des Bündnisses, Carl Waßmuth, auf der heutigen Pressekonferenz.
Die Investitionen in die Bahn-Infrastruktur liegen in Deutschland derzeit bereits unter jenen in Großbritannien, dort sind es pro Kopf und Jahr 158 Euro, in Deutschland nur 124 Euro. Die Schweiz, das bahntechnische Vorzeigeland, investiert ganze 413 Euro pro Kopf und Jahr.
Eine abgespaltene Infrastrukturgesellschaft müsste die zu bewältigenden Aufgaben aus Krediten finanzieren. In Großbritannien hat dies dazu geführt, dass diese Gesellschaft inzwischen einen höheren Anteil ihrer Einnahmen für Zinsen aufwendet, als tatsächlich verbaut wird. Ebendiese Entwicklung fürchtet das Bündnis "Bahn für Alle" nun auch in Deutschland.
"Nach einem Vierteljahrhundert Großversuch auf dem Rücken von Fahrgästen und Beschäftigten", so Jorinde Schulz, die auch die Berliner Initiative "Eine S-Bahn für Alle" vertritt, "sehen wir: Der sogenannte Wettbewerb auf Europas Schienennetzen ist gescheitert. Er hat das System Bahn nicht vorangebracht, sondern zurückgeworfen."
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