Studie: Westdeutschland ist der größte Wende-Gewinner

Einer Studie zufolge profitierte Westdeutschland deutlich stärker von der Wende als die ehemalige DDR. Doppelstrukturen wurden im Regelfall auf Kosten des Ostens beseitigt, außerdem wanderten zahlreiche ostdeutsche Forscher in den Westen ab.

Das, was der Erfahrung vieler Ostdeutscher entspricht, wurde nun durch eine Studie bestätigt: Demnach hat Westdeutschland deutlich stärker von der Eingliederung der DDR in die BRD profitiert als Ostdeutschland. Wie die Friedrich-Schiller-Universität Jena am Freitag mit Blick auf Untersuchungen von Wirtschaftswissenschaftlern mitteilte, lasse sich dies aus der Zahl der Patentanmeldungen ableiten. An den Untersuchungen waren auch Wissenschaftler der Universitäten Groningen und Utrecht beteiligt.

Die Analysen machen insbesondere deutlich, dass sich die Intensität der Innovationsaktivitäten im Westen seit Mitte der 1990er deutlich besser entwickelt als im Osten – und die ehemalige DDR im Innovationsbereich immer stärker zurückfiel. Die Wissenschaftler haben im Rahmen der Untersuchungen die Patentanmeldungen pro Kopf in Ost- und Westdeutschland zwischen 1877 und 2014 miteinander verglichen.

"Durch diese lange Zeitspanne konnten wir zum einen sichtbar machen, dass vor dem Zweiten Weltkrieg keine Ost-West-Unterschiede in der Intensität des Innovationsgeschehens vorlagen", sagte Michael Wyrwich von der Universität Groningen.

Im Osten sei es dann nach der Gründung der DDR und der Einführung der Planwirtschaft zu einer "Zäsur" gekommen. Nach der Wende sei ein Anstieg der Innovationsaktivitäten sowohl in West- als auch in Ostdeutschland erkennbar. Allerdings steige diese Kurve im Westen wesentlich steiler an als in den Gebieten der ehemaligen DDR. Die Schere zwischen Ost und West geht also deutlich auseinander. Innovationsaktivitäten in Ostdeutschland seien demnach vor allem in einzelnen Regionen wie Dresden oder Jena erkennbar.

Diese Entwicklung ist den Forschern zufolge vor allem auf zwei Ursachen zurückzuführen: Zum einen wurden Doppelstrukturen in Wissenschaft und Wirtschaft in der Regel auf Kosten des Ostens beseitigt und westdeutsche Forscher verdrängten ihre ostdeutschen Kollegen. Der "Flurbereinigungs-Effekt" sei auch deshalb relativ deutlich ausgeprägt, weil sich das technologische Profil beider deutschen Staaten sehr ähnelte. Sehr viele ostdeutsche Forscher und Entwickler wanderten außerdem ‒ oft aufgrund ökonomischer Sachzwänge ‒ in den Westen ab und brachten sich dort in innovative Prozesse ein.

Die Wissenschaftler wiesen auch deutlich darauf hin, dass bereits in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg viele innovative Firmen aus Ostdeutschland in den Westen abgewandert sind, um der Verstaatlichung zu entgehen. Dadurch wurde das Innovationssystem im Osten nachhaltig geschädigt. Auch massive politische Einflussnahme durch beispielsweise Förderprogramme und Investitionen konnten dies nicht komplett ausgleichen. Ohne die Fördermaßnahmen wäre die Entwicklung im Osten wahrscheinlich sehr viel negativer ausgefallen.

Den Forschern zufolge ist es nur schwer zu erklären, warum sich die Innovationslücke zwischen Ost und West nach wie vor vergrößert. Das Forscherteam vermutet, dass die oben genannten Effekte auch etablierte Netzwerkstrukturen zerstört haben. Zudem ist die Kooperationsneigung in Ostdeutschland höher ausgeprägt. Es liegt außerdem nahe, dass die positiven Effekte, die von Netzwerken ausgehen, geringer ausgeprägt sind als im Westen. Die Strukturen mussten neu aufgebaut werden und benötigen womöglich Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Es sei aber auch denkbar, dass die neuen Netzwerke schlechter organisiert sind und nur eingegangen wurden, da eine Vernetzung Voraussetzung für einen Fördermittelzugang gewesen ist. Dies sei jedoch der Gegenstand zukünftiger Untersuchungen, so die Forscher.

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