von Wladislaw Sankin
Bislang hat proukrainischer Aktivismus das Straßenbild in Berlin und anderen deutschen Städten klar dominiert. Neben dem staatlich verordneten Solidaritäts-Zwang, der sich unter anderem im Hissen von ukrainischen Fahnen auf Regierungsgebäuden und Bildungseinrichtungen äußert, finden regelmäßig Demos für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine statt, wie zuletzt am 24. Februar in Berlin. Auch durch angebliche "Performances" sollte das Russische gecancelt werden. Ein Beispiel für solche provokanten Aktionen geben etwa die symbolischen Beschlagnahmungen von Einrichtungen mit Russland-Bezug.
Die Krönung der antirussischen Propaganda sollte aber die Aufstellung eines zerstörten russischen Panzerwracks direkt vor der russischen Botschaft auf der Flaniermeile Unter den Linden werden. Nach monatelangen Verhandlungen war es am 24. Februar vormittags so weit: Der 44 Tonnen schwere, verrostete Koloss steht nun quer zum Fußweg, das Kanonenrohr auf das Botschaftsgebäude gerichtet.
Die beiden deutschen Initiatoren der Aktion, Wieland Giebel und Enno Lenze vom Museum Berlin Story Bunker, kletterten auf den Panzer, um von dort aus den Untergang Russlands als gegenwärtigem Wiedergänger des Dritten Reiches herbeizureden. "Dort sitzen Täter und Staatsterroristen", sagten sie über die russischen Diplomaten, die das Ganze aus ihren Fenstern sehen sollten. Der ukrainische Botschafter Alexei Makejew war bei der Einweihung des Mahnmals zugegen, laut dem Tagesspiegel kamen Journalisten aus ganz Europa, um über die Veranstaltung zu berichten.
Am nächsten Tag brachten dutzende Menschen Rosen und Nelken mit und umgaben den Panzer mit einem Blumenbett. Einige zündeten auch Kerzen an und legten Zettel dazu. Einer der Zettel erinnerte an die Kinder des Donbass, die durch die Angriffe der ukrainischen Armee seit 2014 ermordet wurden. "Make peace, not war" war auch zu lesen.
"Wir brachten 2.000 Rosen mit, um den Panzer zu beschmücken", sagte Alexander von Bismarck – der Großneffe des ersten deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck – als einer der Initiatoren der Gegen-Aktion in die Kamera, "damit unsere Regierung endlich mit den anderen verhandelt und nicht nur Waffen liefert, sondern dass sie auch mal diplomatisch Beziehungen hat und nicht alles nur kappt".
Der Aktivist strahlte. Er war sichtlich selbst von der Schönheit seiner Aktion angetan. Wie viele andere Teilnehmer war er schon etwas höheren Alters – im Unterschied zu anderen, die für Waffenlieferungen und Unterstützung der Ukraine demonstrieren. Im Hintergrund war eine Polizeisirene zu hören. An diesem Tag war viel los im Berliner Regierungsviertel. Gerade ging eine von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer organisierte Demonstration gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine mit vielen Tausend Teilnehmern zu Ende. Bismarck fuhr fort:
"Mann muss miteinander reden. Wir sind keine Feinde, weder [für] die Ukrainer noch die Russen. Wir sind Freunde. Das haben wir in dreißig Jahren aufgebaut".
Ein von RRN (Reliable Recent News) produziertes Video teilten viele russlandfreundliche Telegram-Kanäle. Auf einem anderen geposteten Video war zu sehen, wie ein Polizist eine russische Fahne von dem Panzer entfernt. Kurze Zeit später warf ein Demonstrant die ukrainische Fahne herunter. Die Tafel mit symbolischer Umbenennung des Aufstellungsplatzes in "Selenskij-Platz 1" blieb.
Die russische Botschaft reagierte dankend auf die Aktion der Berliner mit einem Beitrag auf sozialen Medien.
"Wir danken allen, einschließlich unserer Landsleute in Deutschland, die an dem russischen Panzer Blumen niederlegten. Von nun an steht dieser für den Kampf gegen den Neonazismus in der Ukraine."
Die russischen Diplomaten wiesen darauf hin, dass deutsche Bürger kein Verständnis für Provokationen dieser Art haben und unmissverständlich für eine friedliche Konfliktlösung in der Ukraine und gegen eine Eskalation eintreten.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ist mit 51 Prozent eine Mehrheit der Menschen in Deutschland der Auffassung, dass die deutschen Waffenlieferungen in die Ukraine eine direkte Kriegsbeteiligung bedeuten. 40 Prozent der Befragten meinen, es seien bereits zuviele Waffen aus Deutschland an die Ukraine geliefert worden. Dagegen halten nur 22 Prozent die militärische Unterstützung für zu gering, 23 Prozent finden sie angemessen.
Auf ihrer VK-Seite bekamen die russischen Diplomaten fast einstimmig Zuspruch. Ein Nutzer nannte die Panzer-Provokation "missglückt" und wies darauf hin, dass sie in Zusammenarbeit mit ukrainischen Militärorganen zustande gekommen war. Ein anderer schrieb:
"Als ich das gesehen habe, war ich mehr als entsetzt. Gut, dass es viele Menschen mit Anstand gibt, die es auch so sehen und Blumen abgelegt haben. Für mich wird es unerträglich, all dieser unberechtigte Hass auf Russland."
Einige Unterstützer der Ukraine reagierten auf die Umdeutung verärgert. Einer der bekanntesten unter ihnen, der Ex-Chef einer Niederlassung der Heinrich-Boell-Stiftung in Kiew, Sergei Sumlenny, nannte die Blumenleger "russische Nazis", die den angeblichen Genozid an Ukrainern unterstützen. Er rief seine Mitstreiter auf Twitter dazu auf, sich am Sonntag um 12 Uhr zu versammeln, um die Blumen in Müllsäcken zu entsorgen.
So kam es im Endeffekt – dem Widerstand gegen die Räumungsaktion und verbaler Auseinandersetzungen zum Trotz. Stellenweise kam es sogar zu Handgemengen, mehrere Menschen versuchten, die weggeworfenen Blumen wieder zwischen die Panzerräder zu stecken. Die ganze Szenerie wurde von der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti dokumentiert.
Die Polizisten haben sich laut RIA Nowosti der Räumungsaktion nicht in den Weg gestellt. Statt mit Blumen "beschmückten" proukrainische Teilnehmer das Tarnnetz um den Panzer nun mit eigenen Propaganda-Inhalten, darunter mit einem Bild des Befehlshabers der ukrainischen Armee, Waleri Saluschny, mit Victory-Zeichen.
Ein Zankapfel zwischen den verfeindeten Parteien wird der russische Panzer jedoch nicht mehr lange sein. Aufgrund sicherheitstechnischer und logistischer Probleme wird er am Montag früher als ursprünglich geplant wieder abgeholt. Dann steht ihm nach Angaben der Aktivisten eine lange Reise durch die Städte Europas bevor.
Mehr zum Thema - Stimmungsmache gegen Russisches Haus in Berlin: Es regt sich Widerstand gegen Russophobie