Ukraine-Demos in Berlin: Wenige Teilnehmer, noch weniger Argumente

Am Jahrestag des Ausbruchs des Ukrainekrieges fanden mehrere proukrainische Demonstrationen statt. Auf der Gegenseite hielt nur ein linkes Friedensbündnis mit einer Kundgebung am Brandenburger Tor die Stellung.

"Es ist der schlimmste Vernichtungskrieg seit dem Zweiten Weltkrieg", tönt es aus den Lautsprechern einer kleinen Bühne auf der Karl-Marx-Allee in Berlin, gegenüber vom Café Moskau. Es ist der 24. Februar 2023, der Jahrestag des Ausbruchs des Ukrainekrieges. Nicht nur für das deutsche Establishment ist heute wichtig, öffentlich zu versichern, dass man Kiew auch im zweiten Kriegsjahr bedingungslos unterstützen werde. Die ukrainische Diaspora geht ebenfalls demonstrieren.

Die markanten Worte auf der Karl-Marx-Allee stammen von Ralf Fücks. Fücks ist der Gründer und geschäftsführende Gesellschafter des Zentrums Liberale Moderne. Zusammen mit dem Verein Vitsche hat man die heutigen Veranstaltungen in Berlin auf die Beine gestellt. Vor der Bühne und auf dem Platz vor dem Café Moskau, das im Rahmen einer Kunstaktion vorübergehend in Café Kyiv umbenannt wurde, stehen bereits einige Hundert Personen.

Es sind vor allem ukrainische Frauen, die sich versammeln, ebenso die Redner auf der Bühne. Der Altersschnitt liegt sicher unter 30. Ukraine-Flaggen, NATO-Flaggen, eine NATO-Regenbogen-Flagge, selbst gebastelte Schilder mit antirussischen Parolen. Das Motto für den Tag: "full-scale freedom" – vollständige Freiheit. Es wird viel Russisch gesprochen. Doch auch einige Deutsche scheinen sich der Demo angeschlossen zu haben. Die Reden auf der Bühne dauern nicht allzu lange. Das Hauptprogramm ist für den Platz des 18. März am Brandenburger Tor geplant. Die Frauen auf der Bühne skandieren vor allem proukrainische Parolen und sorgen mit lauten Rufen für Stimmung.

Um 16:30 Uhr stoßen immer noch neue Teilnehmer zur Demo auf der Karl-Marx-Allee hinzu. Eine große Werbetafel an der Ecke Otto-Braun-Straße leuchtet in Blau und Gelb. "We still @standwithukraine". Auf dem Alexanderplatz ist es ein Tag wie jeder andere.

Erst Unter den Linden wird man erneut daran erinnert, dass ein Krieg in Europa tobt. Vor der russischen Botschaft findet die Mahnmache "bis zum Sieg" statt. Kuscheltiere, Fotografien, Zahlen. Aus einer Musikbox dudelt ein Schlager: "Ukraina se ja, Ukraina se ty, Ukraina se my." – Die Ukraine bin ich, die Ukraine bist du, die Ukraine sind wir.

Gerade findet ein Gottesdienst statt. Ein orthodoxer Priester ist anwesend. Doch was eigentlich ins Auge fällt, ist der zerstörte russische Panzer, der anlässlich des heutigen Tages nach Berlin geschafft wurde. Er soll zeigen: Den Krieg gibt es wirklich. Sein Rohr hat er auf die russische Botschaft gerichtet. Die anwesenden Journalisten sind beschäftigt.

Nur wenige 100 Meter weiter findet auf dem Pariser Platz, der Ostseite des Brandenburger Tors, eine Kundgebung statt, die gar nicht zur heutigen kriegerischen Festlichkeit passen will. Das Motto: "Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg". Über den Köpfen wehen Flaggen mit Friedenstauben, auf den Transparenten steht: "Die Ukraine braucht Frieden – keine Waffen! Verhandeln sofort!" und "Frieden, Heizung, Brot statt Waffen, Krieg und Tod!" Der Altersschnitt liegt über 50.

Die Redebeiträge drehen sich viel um Geschichte. Es geht um das Kosovo, Legalität und Ankündigung der NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine 2008, "ein innerlich tief gespaltenes Land direkt vor Russlands Türe", zitiert nach dem früheren US-Botschafter in der Sowjetunion Jack Foust Matlock jr.

"Wenn China anfangen würde, eine Militärallianz mit Kanada und Mexiko zu organisieren, würden die USA das nicht tolerieren. Wir würden uns auch nicht auf abstrakte Prinzipien von internationalem Recht beschränken lassen. Wir würden es verhindern, mit jedem Mittel, das wir haben."

Es brauche Verhandlungen, um des Weltfriedens und der Ukraine willen. Dafür gebe es bereits ernst zu nehmende Vorschläge, etwa vonseiten der UN-Studiengruppe Wissenschaft und Ethik des Glücks, mit Eckpunkten für einen Waffenstillstand und ein positives Friedensabkommen.

Gabriele Gysi, die Schwester des Linken-Politikers Gregor Gysi, hält die nächste Rede. Gysi fühlt sich durch manche Formulierung der westlichen Propaganda an die US-amerikanische Gründungsgeschichte erinnert.

"Die neuen Wilden, die neuen Indianer sind die Russen. Sie müssen besiegt, also vernichtet werden. Dann, nach dem Leben in Reservaten, nach der Umerziehung in unsere westliche Wertegemeinschaft, nach Abschwören ihrer eigenen Geschichte unter Führung durch vom Westen akzeptierten Gouverneuren dürfen die Überlebenden vielleicht wieder in unserer regelbasierten Ordnung mitspielen."

Gysi erinnert daran, dass der erste ukrainische Staat im Anschluss an den Ersten Weltkrieg von Deutschland gegründet wurde. Heute hingegen erscheinen die damalige Entente aus Frankreich, Großbritannien und den USA mit ihren damaligen Feinden Deutschland und Österreich als gemeinsames Bündnis in Form der NATO.

"Soll hier die Geschichte des Dramas des Ersten Weltkriegs im Kampf gegen Russland endgültig vollendet werden?"

Die Bühne der Friedensdemo liegt mitten auf dem Weg des Aufzugs. Die ersten mit Ukraine-Flaggen behangenen Demonstranten treffen ein. Ein junger ukrainischer Mann und ein älterer Deutscher diskutieren. Sie tauschen die bekannten Argumente aus. Zum Schluss fragt der ältere Herr, warum der junge Mann nicht an der Front ist, um gegen die russischen Besatzer zu kämpfen. Der junge Mann reagiert pikiert: "Was ist denn das für eine Frage? Haben Sie einen an der Waffel?" Auf der Bühne im Hintergrund steht gerade Diether Dehm und singt "Ami, go home".

Auf der Westseite des Brandenburger Tors geht schließlich die Abschlusskundgebung der Ukraine-Demos los. Zum wiederholten Mal spricht Fücks. Die Unterstützung für die Ukraine muss weitergehen. Die Ukraine muss gewinnen, damit kein neuer Präzedenzfall für einen erfolgreichen Krieg geschaffen wird. Die Ukraine verteidigt Europa. Die Deutschen liefern die Waffen, die Ukrainer den Mut. Aufrufe zur Solidarität und zur Aufopferung. An den Argumenten der Ukraine-Unterstützer hat sich seit einem Jahr nichts geändert, und auch in Zukunft werden sie sich vermutlich nicht ändern.

Was sich in einem Jahr geändert hat, ist die Teilnehmerzahl auf den Ukraine-Demos. Waren vor einem Jahr noch rund 100.000 Personen in Berlin für die Ukraine auf die Straße gegangen, waren es am Freitag laut Polizeiangaben nur 10.000. Beobachter gehen von 5.000 aus. Die angekündigten 12.500 wurden in jedem Fall verfehlt.

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