Die Urbane stellt sich in Berlin zur Wahl – Hiphop trifft auf Klassenkampf trifft auf Hayek?

Am 12. Februar findet die Wiederholungswahl für das Berliner Abgeordnetenhaus statt. Wem die Grünen zu weiß, die Linken zu elitär und die Sozialistische Gleichheitspartei zu theorielastig sind, der könnte mit einem Kreuz bei den Urbanen richtig liegen.

Was haben Hiphop und Intersektionalismus miteinander zu tun? Beides gehört zum Programm der Partei Die Urbane, die zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses am 12. Februar antritt. In ihrem Wahlspot fordert die Partei, die sich in der Hip-Hop-Kultur verankert sieht, den Stopp von "Racial Profiling und Abschiebungen", die "Dekolonisierung von Sport und Schule" und eine "bedingungslose Grundversorgung".

Weitere Schlagwörter – dekoloniale Erinnerungskultur, Kampf gegen weiße Vorherrschaft, Immobilienkonzerne enteignen – lassen keinen Zweifel am Fokus der Partei auf soziale Themen mit linksradikaler Ausprägung. In ihren Forderungen nach kostenlosem Nahverkehr, Wahlrecht ab 14 Jahren und Quoten für den Bundestag unterscheiden sich die Urbanen von den einschlägigen Vorfeldorganisationen nur in ihrer Festlegung auf einen bestimmten Typ Musik.

Authentisch dank Hiphop

Zunächst scheinen der Vorstand und die Direktkandidaten der Urbanen aber überwiegend aus der Bildungs- und Jugendarbeit zu kommen. In ihren Infotexten legen sie Wert darauf, ihre Migrationsgeschichte als Stärke, als Qualität hervorzuheben. Liest man ihre Lebensbeschreibung, versteht man, dass sie die Probleme, die sie beheben wollen – Diskriminierung, Armut, fehlende Teilhabe –, teils aus eigener Erfahrung kennen – und dass Hiphop für ihre Entwicklung einen Ankerpunkt bildete. 

Jamal Kamano, Vorstandsvorsitzender der Urbanen Berlin, ist selbst Musiker. Als Kind guineischer Eltern landete er nach Stationen in der Sowjetunion, Guinea und dem Libanon schließlich in Westdeutschland. In Berlin gibt er unter anderem Rap-Workshops an Schulen und Jugendzentren. Dass Hiphop Teil seiner eigenen Identität ist, macht ihn authentisch.

Im Gegensatz zu Kamano scheinen Betül Torlak, die im Berliner Vorstand das Amt für Revolution im Bildungssystem innehat, und Schatzmeister Boaz Murinzi Murema, Gründer und Vorsitzender des Berliner Vereins Bantu, eher den intersektionalistischen Flügel der Urbanen anzugehören.

Mit Edwin Greve, dem Direktkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im Wahlkreis Neukölln-1, haben sich die Urbanen ein bekanntes Berliner Gesicht mit ins Boot geholt. Greve hat ebenfalls einen Migrationshintergrund. Da er von Kindheit an auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen ist, kennt er die Herausforderungen eines körperlich Behinderten im urbanen Verkehr.

Urbane Probleme erfordern urbane Lösungen

Im wilden Mixtape der Urbanen ragt ein Track noch besonders hervor. Waseem aka Achim Seger, Dipl.-Betriebswirt, Rapper und im Bundesvorstand zuständig für Kunst und Kultur, betreut neben sozialen Projekten laut eigenen Angaben auch den Youtube-Kanal "Speakers Corner", der unter anderem Mitschnitte der Roland-Baader-Treffen enthält, dessen Namensgeber Anhänger der Österreichischen Schule war.

Die Verbindung der Urbanen zu einem Studenten Friedrich Hayeks und entschiedenen Gegner des Sozialismus scheint allerdings die Ausnahme zu sein. Das Parteiprogramm bemühte man sich offenbar, mit Bezug auf die großen gesellschaftspolitischen Themen Rente, Steuern, Verkehr und Digitalisierung möglichst breit aufzustellen. Der intersektionalistische Ansatz scheint jedoch überall durch.

Angenehm treten die Stellen hervor, an denen die Autoren des Parteiprogramms über den Tellerrand sowohl der eigenen als auch der gesellschaftlichen Dogmen schauen. So schlagen die Urbanen beim Thema Rente vor, auch nicht-monetäre Leistungen wie Nachbarschaftszentren als konkreten Lösungsansatz in den Blick zu nehmen. Hier zeigen die Urbanen ein Bewusstsein für Probleme wie Alterseinsamkeit in einer entwurzelten Stadtgesellschaft, die sich nicht mit Geld lösen lassen.

Links und impfkritisch?

Unter dem Punkt "Körper & Seele" plädieren die Urbanen für einen Ansatz, der die Konsumgesellschaft als Ursache von gesundheitlichen Problemen begreift. Hier liege die Verantwortung beim Staat, den körperlich oder seelisch erkrankten Menschen mehr Unterstützung zu zukommen zu lassen. Die Pharmaindustrie wollen die Urbanen regulieren, die privaten Krankenkassen sogar komplett abschaffen.

Bei der Gesundheit zeigt sich, wie wichtig den Urbanen das Thema persönliche Entscheidungsfreiheit ist. So scheuen sie sich nicht, zur Impfung, einem Reizthema seit COVID-19, zu schreiben: "Eine Impfpflicht ist indiskutabel, da wir körperliche Selbstbestimmung fordern." Sie räumen zwar ein, dass Impfungen zur Bekämpfung von Pandemien hilfreich seien. Aufgrund der damit verbundenen Gewinne für die Pharmaindustrie gebe es aber "verständliche Zweifel" an ihrer Notwendigkeit.

Im Sinne der persönlichen Entscheidungsfreiheit ist auch die Forderung der Urbanen konsequent, die Paragraphen über den Schwangerschaftsabbruch 218 und 219a des StGB zu streichen. Dass §219a (Werbeverbot für Abtreibungen) bereits im Juni 2022 gestrichen wurde, weist jedoch darauf hin, dass das Parteiprogramm der Urbanen womöglich nicht auf dem neuesten Stand ist.

Bei einer echten urbanen Partei darf natürlich das Thema Drogen nicht fehlen. Wenig überraschend soll Cannabis entkriminalisiert werden, für Drogen allgemein soll aber ein Werbeverbot gelten. Den militärisch-industriellen Komplex wollen die Urbanen abschaffen.

Eine Partei der Entwurzelten

Ein positives Verhältnis zu Deutschland, dem Land, in dem sie als Partei antreten, lässt sich im Programm der Urbanen nicht feststellen. Ihre Heimat ist, wie nicht anders zu erwarten, die Stadt und ihre Bewohner. Als Personen mit Migrationshintergrund, unter Umständen mit häufigem Wohnortswechsel, nehmen sie die deutsche Leitkultur als etwas Fremdes, Fernes und für ihre Identität Bedrohliches wahr.

Ihre Forderung, das Wahlalter deutlich herabzusetzen, schwankt zwischen politischem Kalkül, junge Wählerschichten anzusprechen, und vermutlich der Reflexion persönlicher Erfahrungen, selbst als Jugendlicher nicht ausreichend gehört worden zu sein. Ihre Heimat ist die Hiphop-Kultur, die auch heute noch, trotz ihrem Erfolgsweg in den Mainstream und ihrer gigantischen Kommerzialisierung, eine Kultur für Außenseiter geblieben ist.

Eine gemeinsame Vorstellung, die dem Mixtape der Urbanen zu Grunde liegt, könnte man vielleicht so beschreiben: Individualismus, postkoloniale Theorien, ordentlich Sozialismus – und Hiphop.

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