Die Agrarmesse "Internationale Grüne Woche" hat nach zweijähriger Corona-Pause wieder in Berlin begonnen. Tausende Besucher kamen am Freitag in die Messehallen, um sich über die Ernährungswirtschaft zu informieren und Spezialitäten zu kosten. Zu den Themen der Branchenschau, bei der sich 1.400 Aussteller aus 60 Ländern präsentieren, gehören unter anderem die hohen Lebensmittelpreise, die auch bei dieser Gelegenheit gern noch einmal dem Kreml zugeschoben werden.
Bundesagrarminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) sagte beim Auftaktrundgang, die Messe sei auch eine Gelegenheit zum Dank dafür, dass Bauern Tag für Tag dafür sorgten, dass der Tisch gedeckt sei. Das sei nicht selbstverständlich, weil es auf der Erde Menschen gebe, "die hungrig ins Bett gehen müssen".
Hungrig ins Bett müssen die Veranstalter jedenfalls nicht. Der Deutsche Bauernverband (DBV) und die Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE) sind seit Langem Profiteure des Modells, das mit einer immens subventionierten und auch für die Natur sehr kostenintensiven Agrarwirtschaft per Exporten ebenfalls zu der angeprangerten Ernährungsunsicherheit beiträgt.
Deutschland verstößt beispielsweise seit fast 30 Jahren als einziger EU-Staat gegen die Nitratvorgaben aus Brüssel, was vor allem auf die intensive Landwirtschaft zurückzuführen ist. Ein Bericht der UNO im Jahr 2021 hat gezeigt, dass 90 Prozent der weltweiten Agrarsubventionen sowohl den Menschen als auch dem Planeten und damit den für die Ernährungssicherheit notwendigen Ressourcen schaden. In der Studie "Eine milliardenschwere Chance – Umwidmung von Agrarsubventionen zur Umgestaltung von Lebensmittelsystemen" wurde auch aufgezeigt, wie dies eben durch weniger Subventionen in schädliche Landwirtschaft möglich wäre.
Doch genau die gegenteiligen Strukturen sollen offenbar verstetigt werden, wenn es nach den Branchenvertretern bei der Grünen Woche geht, hatten sie doch im Vorfeld ihre Erwartungen für "Marktöffnungsverfahren" und mehr Exportförderung in die Öffentlichkeit getragen. Nach Ansicht von DBV-Präsident Joachim Rukwied sei es auch problematisch, dass der Stundenlohn hierzulande gestiegen sei, wodurch ausgerechnet Spargelbauern nicht mit den Preisen anderer europäischer Anbieter mithalten könnten, beklagte er am Freitag im Tagesspiegel.
Das Moment samt Totschlagargument Ernährungssicherheit hat die FDP vor der Eröffnung der Agrarmesse genutzt, um mehr "Technologiefreiheit" zugunsten vermeintlicher "Nachhaltigkeit" zu fordern. FDP-Fraktionsvize Carina Konrad machte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur klar, dass sie mit dieser euphemistischen Nutzung der offenbar beliebig auslegbaren Begriffe meint, dass sich die Bundesregierung in Brüssel für eine Änderung des Gentechnikrechts stark machen müsse. Außerdem müssten Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel so ausgestaltet werden, dass "innovative und sichere Verfahren" schneller auf den Markt kommen könnten. Dabei ist es einigen wohl noch in Erinnerung, dass es gerade bei sogenannten Pflanzenschutzmitteln, die von Kritikern auch als Ackergift bezeichnet werden, gefährliche Einbußen bei der Sicherheit und der Gesundheit gibt, wenn es um den schnellen, groß angelegten Vertrieb geht.
Die Skandale aus der damals unionsgeführten Politik im Hinblick auf von der Bevölkerung abgelehnte Herbizide mögen verblasst sein, ebenso wie die zahlreichen Beispiele dafür, dass sich mangelnde Prüfung von Lebensmitteln sehr wohl als Gefahr für die Konsumenten niederschlagen kann. Auch die Technologieverbundenheit im Rahmen der sogenannten Grünen Revolution, die ebenfalls Erträge stärken sollte, dabei aber Ungleichheiten massiv vertieft und Natur zerstört hat, wird eher als Nischenthema behandelt. Doch dass die notorisch wirtschaftsnahe FDP ‒ Stichwort Porsche, "Liberaler Mittelstand" oder Spitzenreiter bei Parteispenden ‒ so wohl auch im Interesse der Industrie ‒ nicht nur der Agrarindustrie ‒ vorgeht, ist deutlicher als die angeblich verfolgte Sicherheit der Ernährung. Naturschutzverbände kritisieren bereits seit Längerem, dass gerade angesichts der Krise einige den Eindruck vermitteln, mit naturnäherer Landwirtschaft würde man die Ernährungssicherheit gefährden.
Demgegenüber fordert ein breites Bündnis "Gutes Essen für alle – statt Profite für wenige" und hat angekündigt, am Samstag in Berlin zu protestieren. Angemeldet wurden 10.000 Teilnehmer. An der Initiative beteiligen sich unter anderem ökologisch und konventionell wirtschaftende Bauern sowie Natur-, Umwelt- und Tierschutzverbände, die schon seit Jahren anlässlich der "Grünen Woche" in Berlin zusammen mit zahlreichen Bürgern für gesündere Ernährung demonstrieren.
Sie fordern unter anderem, das Höfe- und Insektensterben zu stoppen, die Umweltkrise zu bekämpfen und so gutes Essen für alle sicherzustellen. Vorgestellt wird ein "6-Punkte-Plan für die sozial gerechte Agrarwende und gutes Essen für alle". Gegen die hohen Lebensmittelkosten spricht sich in dem Bündnis beispielsweise die Nationale Armutskonferenz aus. Zu den Forderungen gehören etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer auf "klimagerechte" Lebensmittel und mehr Ackerflächen für den Anbau menschlicher Nahrung statt für Futter ‒ was Rukwied bereits gegenüber der dpa als keine gute Idee dargestellt hat. Mehr als 100 Organisationen fordern von der Bundesregierung unter anderem faire Erzeugerpreise. Die Organisatoren wollen eine Protestnote an Bundesagrarminister Cem Özdemir übergeben.
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(rt de/ dpa)