Bürgerversammlung in Erkelenz: Hängt das Überleben des Planeten an Lützerath?

Am Vorabend der polizeilichen Räumung des Dorfes Lützerath beim Tagebau Garzweiler lud der für den Einsatz zuständige Polizeipräsident Weinspach am Dienstag zu einer Bürgerversammlung in der Stadt Erkelenz ein. Dabei verteidigten Klimaschutz-Aktivisten ihren Widerstand gegen die Räumung mit ihrer Sorge um das Überleben des Planeten.

Die ursprünglichen Einwohner von Lützerath am Rande des rheinischen Braunkohletagebaus Garzweiler haben das Dorf schon längst verlassen und sind weggezogen. Die Umsiedlung des Ortes begann 2006 und wurde im Oktober 2022 endgültig abgeschlossen. Im Ortsgebiet leben seit einiger Zeit circa 80 bis 100 Aktivisten (laut Angaben von Aktivisten), die sich für den Erhalt des Dorfes einsetzen. Aktuell sollen sich auch bis zu tausend Menschen in einem Aktivistencamp innerhalb des Gemeindegebiets von Lützerath aufhalten. Laut einer Entscheidung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen soll der Ort nun menschenleer geräumt werden, um für den Energiekonzern RWE den Weg für den Kohleabbau freizumachen.

Amtsträger verteidigen die Räumung

Der für den Einsatz verantwortliche Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach (Bündnis 90/Die Grünen) lud anlässlich der politisch teilweise umstrittenen Räumung am Dienstagabend zu einer Bürgerversammlung ein. Das Medieninteresse war hoch. So fanden sich am Dienstagabend neben 300 Bürgern auch ungefähr 15 Fernsehteams und etliche Vertreter von Printmedien im Saal der Berufsschule in Erkelenz ein. Neben dem Aachener Polizeipräsidenten wollten dort auch der zuständige Landrat des Kreises Heinsberg, Stephan Pusch (CDU), und der Bürgermeister der Stadt Erkelenz, Stephan Muckel (CDU), Rede und Antwort stehen.

Nachdem er sich gleich zu Beginn seiner Eröffnungsworte zur persönlichen Befürwortung des Klimaschutzes ausgesprochen hatte, stellte der Polizeipräsident Weinspach seine Sicht auf die Rechtslage dar: Demnach wurde die Räumungsverfügung in zwei Eilverfahren gerichtlich bestätigt. Nun wolle die Polizei den Einsatz so deeskalierend wie möglich durchführen. Er machte aber auch klar, dass eine Räumung auf jeden Fall durchgesetzt werde.

Landrat Pusch, Unterzeichner der Räumungsverfügung, solidarisierte sich ebenfalls als erstes mit den Anliegen der Klima-Aktivisten. Die Räumungsentscheidung habe ihm Bauchschmerzen bereitet, da weder die Stadt Erkelenz noch der Kreistag Heinsberg jemals Freunde des Tagebaus gewesen seien. Allerdings könnten Konflikte nur über demokratische Verfahren geklärt werden, und so würde er sich aus Respekt vor dem Rechtsstaat der Entscheidung beugen. Außerdem sei

"die Abbaggerung von Lützerath von Klimaschützern zu einem Armageddon stilisiert worden, als hinge die Zukunft des Planeten von Lützerath ab", so Pusch.

Der Bürgermeister von Erkelenz, Stephan Muckel, gab zu verstehen, dass er die Räumungsverfügung persönlich nicht unterschrieben habe. Auch er setze sich für den Schutz des Klimas ein, und der Rat der Stadt Erkelenz lehne den Tagebau bereits seit den 1980er-Jahren grundsätzlich ab. Als Amtsinhaber habe er aber einen Eid auf Gesetze des Bundes und des Landes geschworen und schließe sich daher der Durchführung der gerichtlich bestätigten Räumungsverfügung an.

Das Hauptanliegen der Versammlung bestehe für ihn im gewaltfreien Ablauf der Räumung, er wolle keine Verletzten in seinem Zuständigkeitsbereich. Zudem hätten die angestammten Einwohner das Dorf bereits alle verlassen. Jetzt gäbe es kein Recht mehr auf eine Demonstration im Ortsgebiet von Lützerath – "der Zweck heiligt nicht die Mittel".

Die Sorgen der Aktivisten um die "Klimaziele"

Nach diesen kurzen Eingangsstatements wurde das Saalmikrofon freigegeben, wo Aktivisten und ortsansässige Bürger vor laufenden Kameras ihre Bedenken und Forderungen äußerten. Dabei traten zunächst die Vorsitzenden und Sprecher von Umweltschutzverbänden auf.

Laut dem nordrhein-westfälischen Geschäftsführer vom BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) sei die ganze Dorfzerstörung völlig unnötig, da man die Kohle unter Lützerath nicht wirklich benötige. Es gäbe im Tagebau zunächst noch ausreichend Kohle abzubauen, ohne Lützerath zu beschädigen. Vor allem betonte er in seiner Rede vor dem Saalmikrofon, dass die Aktivisten bei der Räumung nicht für potenzielle Verletzte verantwortlich seien.

Dem schloss sich Winfried Bernhard als Sprecher von Extinction Rebellion (Rebellion gegen das Aussterben) an. Er warf den Amtsträgern auf dem Podium zudem vor, kein Interesse an der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zur Klimarettung zu haben. So könne man das beschlossene 1,5-Grad-Ziel nicht einhalten: "Wenn wir kein sicheres Klima mehr haben, können wir alle einpacken."

Russland gefährde die Energieversorgung in Deutschland

Eine demokratisch gewählte Regierung könne sich nicht nur einem einzigen Ziel verschreiben, argumentierten die Podiumsvertreter. Man müsse die Interessen unterschiedlicher Bürgergruppen berücksichtigen. Und die Räumung sei schließlich von einer demokratisch gewählten Regierung beschlossen worden. Er teile die Sorge über die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, hob der Polizeipräsident hervor. Aber diese Einhaltung von Lützerath abhängig zu machen, schiene ihm symbolhaft überhöht. Es ginge schließlich auch um die Gewährleistung und Sicherheit der Energieversorgung:

Dabei bestehe "eine drohende Gasmangellage angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine", so Weinspach.

Dem wurde ausnahmsweise nicht widersprochen. Auch in einem weiteren Punkt schienen sich Dorfbesetzer, Bürger aus umliegenden Ortschaften und die für die Räumung zuständigen Amtsinhaber und Beamten einig zu sein: Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sei für die Energieversorgungskrise in Deutschland verantwortlich.

In der weiteren Diskussion appellierten Aktivisten immer intensiver an das Gewissen der Amtsinhaber: Die absolut notwendige Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze sei wissenschaftlich begründet. Wenn man das nicht einhalte, würde der Klimawandel dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zufolge lebensbedrohlich werden. Der Kipppunkt des Klimawandels stehe direkt bevor, und danach sei Leben nur noch im hohen Norden möglich. Ein Aktivist bekannte, dass er aus eigener Erfahrung wisse, dass das Eis an den Polen schmelze und der Meeresspiegel bereits ansteige. Er warf dem Podium vor: "Sie führen uns in die Klimahölle."

Einige Aktivisten, wie die jetzige Anwohnerin und Landtagsabgeordnete Antje Grothus (Bündnis 90/Die Grünen), warfen RWE Unglaubwürdigkeit vor. Schon bei der Besetzung des Hambacher Forsts habe RWE über die Dringlichkeit der Abholzung gelogen. Jetzt sei es wieder nicht sicher, ob die Kohle unter Lützerath wirklich so dringend gebraucht werde. Daher plädieren sie und andere für ein Aussetzen der Räumung und für die Durchführung eines Moratoriums. Dem schloss sich auch ein Vertreter von "Omas und Opas for Future" an. Seiner Meinung nach könne RWE – auch ohne Lützerath anzutasten – noch vier bis fünf Jahre Kohle aus dem Tagebau fördern.

Nur akkreditierte Medienvertreter bei der Räumung zugelassen

Gegen Ende der Versammlung gab es noch konkrete Fragen zum Ablauf der Räumung. Ab Mittwoch gebe es ein Betretungsverbot für die Ortschaft Lützerath. Ab dann würden alle Aktivisten und Baumhäuser im Dorf geräumt werden. Nur zuvor bei der Polizei akkreditierte Pressevertreter würden per Polizeishuttle und in Polizeibegleitung in das abgesperrte Dorf gelassen – aus Gefährdungsgründen würden die akkreditierten Journalisten nur zu festgelegten Zeiten in von der Polizei freigegebene Bereiche gelassen.

Dafür würden sie von der Polizei mit Helmen und Schutzwesten ausgestattet werden. Dieser Service würde rund um die Uhr für akkreditierte Journalisten zur Verfügung stehen – auch nachts. Bei direkten Polizeieinsätzen gebe es in diesen Bereichen keinen Zugang für die Presse. Bis Dienstag hätten sich 550 Medienvertreter bei der Polizei akkreditieren lassen.

Weinspach gehe davon aus, dass auch die Aktivisten gewaltfrei und friedlich demonstrieren wollen und bedankte sich ausdrücklich dafür, dass sich Aktivisten bereits bei den Demonstrationen am vergangenen Sonntag von Steinewerfern distanziert hätten.

Eine Frage hinsichtlich der Kosten für den Polizeieinsatz, für den laut Angaben von Aktivisten Beamte aus 14 Bundesländern erwartet würden, konnte nicht beantwortet werden. Der Polizeieinsatz im Hambacher Forst habe das Bundesland im Jahr 2018 etwa 50 Millionen Euro gekostet, erinnerte sich ein Aktivist.

Sorgen der Anwohner und Quintessenz

Gegen Ende wollten Bürger wissen, wie lange der Polizeieinsatz zur Räumung wohl dauern werde, weil die Polizeieinsätze und Straßensperren zwischen den Dörfern für die Menschen in der Region eine erhebliche Belastung darstellen. Man rechne mit bis zu vier Wochen, antwortete Weinspach. Eine Bürgerin befürchtete auch eine Traumatisierung der Menschen in einem Flüchtlingsheim im Lützerather Nachbardorf, die dorthin aus Kriegsgebieten nach Deutschland geflohen seien.

In gewisser Weise entstand bei der Diskussion der Eindruck, die beteiligten Konfliktparteien redeten aneinander vorbei. Die Podiumsteilnehmer ließen verlautbaren, dass sie moralisch und inhaltlich aufseiten der Klima-Aktivisten stehen, beriefen sich aber immer wieder auf ihre Pflicht zur Umsetzung demokratisch getroffener Entscheidungen. Diese müssten sie unabhängig von ihrer persönlichen Meinung über das Abbaggern der Lützerather Kohle umsetzen. Sie ließen auch keine Zweifel an der Umsetzung der Räumung aufkommen.

Währenddessen forderten die Aktivisten mit Sachargumenten und emotionalem Nachdruck fortlaufend die Einhaltung der "Klimaziele" und appellierten an die persönliche Moral der Amtsinhaber. Einige hofften weiterhin auf eine Aussetzung der Räumung und ein Moratorium. Für manchen fast schon verzweifelten Redner an dem Saalmikro schien die Zukunft des Planeten in gewisser Weise am Erhalt von Lützerath zu hängen. 

Für kommenden Samstag habe die Polizei für die angemeldete Großdemonstration ausdrücklich ein Gelände in der Nähe von Lützerath freigegeben, damit die Klima-Aktivisten ihren Protest gegen die Räumung legal zum Ausdruck bringen könnten, teilte der Polizeipräsident am Schluss noch mit. Es werden Demonstranten aus dem ganzen Bundesgebiet erwartet.

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