Die Einführung eines Energie-Solis würde dem Staat rund 12 bis 13 Milliarden Euro Mehreinnahmen bringen. Das teilte die Vorsitzende des Sachverständigenrats für Wirtschaftsfragen, Monika Schnitzer, in einem Interview mit der Rheinischen Post in der Samstagsausgabe mit. Dabei stellte sie die Positionen des Sachverständigenrats zu aktuellen Wirtschaftsfragen und Prognosen für die nächsten Jahre dar.
Für das Jahr 2023 rechnen die Wirtschaftsweisen mit einer Inflationsrate von 7,4 Prozent – im Vergleich dazu seien es 2022 acht Prozent gewesen. Erst nach 2024 kehre man wieder zu zweiprozentigen Wachstumsraten zurück.
Eine Gasmangellage würde Schnitzer zufolge aufgrund ausreichender Einsparungen kaum zu erwarten sein. Beim Bruttoinlandsprodukt erwarte der Sachverständigenrat einen Rückgang um 0,2 Prozent.
Zur Lösung der gegenwärtigen Energieverteuerung schlägt die Wirtschaftsweise die kurzfristige Einführung eines Energie-Solidaritätsbeitrags vor. Im Gegensatz zur Erhöhung des Spitzensteuersatzes, den Schnitzer ablehnt, würde der Staat mittels eines Energie-Solis ungefähr 12 bis 13 Milliarden jährlich an zusätzlichen Einnahmen generieren. Diesen Soli könnte man kurzfristig noch für das Jahr 2023 einführen:
"Der Energie-Soli kann auch 2023 noch eingeführt werden. In den vielen Krisen der vergangenen Jahre hat die Politik gelernt, viel schneller Gesetze zu machen", so Schnitzer.
Der Energie-Soli würde auch die inflationstreibende zunehmende Verschuldung verringern, obwohl es richtig sei, in der Krisenüberwindung Investitionen per Kredit zu finanzieren.
Ihrer Meinung nach sei es unrealistisch, dass Russland nach den Friedensverhandlungen wieder mehr als zehn Prozent der Lieferung "unseres Gases" gestattet würden: "Mehr [Gaslieferung] wird man vermutlich nicht zulassen, um keine neuen Abhängigkeiten aufzubauen."
Für den nächsten Winter wünscht sich Schnitzer aus Sicherheitsgründen vom Bund die dringende Prüfung einer Laufzeitverlängerung der drei am Netz verbliebenen Kernkraftwerke. Schließlich lobte sie die Regierung für ihr überraschend schnelles Vorankommen beim Bau von LGN-Terminals. Trotzdem habe die Regierung aber auch vieles vernachlässigt:
"Und leider ist viel liegen geblieben – der Klimaschutz, die Digitalisierung und die dringend notwendige Rentenreform."
Für das Rentenalter schlägt der Sachverständigenrat in den kommenden Jahren einen Anstieg auf 69 Jahre vor. Für jedes zusätzliche Lebensjahr sollte die Arbeitszeit um acht Monate verlängert werden. Ihrer Analyse nach sei in Deutschland zu wenig Nachwuchs produziert worden: "Wir haben ein Rentenproblem, weil die Babyboomer-Generation zu wenig Kinder bekommen hat."
Schnitzer wurde auch gefragt, was die Wirtschaftsweisen in Bezug auf die Zuwanderung vorschlagen. Man bräuchte eine gesteuerte Zuwanderung von 1,5 Millionen Menschen pro Jahr, so die Wirtschaftexterin. Wer einen Arbeitsplatz nachweisen kann, sollte kommen dürfen. Diesbezüglich sollte man Berufsabschlüsse von Migranten nicht mehr prüfen:
"Die Prüfung der Gleichwertigkeit von Berufsabschlüssen bei nicht-reglementierten Berufen muss vereinfacht oder ganz abgeschafft werden."
Insgesamt würde die deutsche Industrie ein zentraler Wirtschaftsfaktor bleiben. Allerdings könnten Unternehmen mit hohen Energiekosten perspektivisch in die USA abwandern. Dies beträfe die metallverarbeitende Industrie, die Glas- und Keramikbranchen sowie den Bereich der Grundstoffchemie-Werke.
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