"Stresstest steht noch bevor" – Vorfreude über ausreichendes Gas laut BDI-Chef verfrüht

Während die Politik zur Eröffnung des LNG-Terminals am Wochenende viel Selbstlob fand und von einem "neuen Deutschland -Tempo" sprach, mahnen der Chef der Bundesnetzagentur wie auch der Industrie-Präsident zur Vorsicht.

Soeben erst lobte sich die deutsche Politik selbst lautstark und sprach bei der Eröffnung des weitgehend durch Umgehung verschiedener Auflagen und entgegen den Protesten von Umweltschützern vorangebrachte LNG-Terminals von einem “neuen Deutschland-Tempo”, mit dem man an lästigen Auflagen vorbeiplant und baut.

Alles, um die Energieversorgung unabhängig von dem Pipeline-Gas aus Russland zu machen. Insgesamt wurden im Auftrag der Bundesregierung fünf schwimmende LNG-Terminals gechartert, die zusammen aber immer noch gerade einmal ein Drittel der für die Versorgung Deutschlands benötigten Erdgasmenge aufnehmen können sollen, falls alles gut läuft.

Am Freitagmorgen waren die Speicher laut europäischem Gasspeicherverband GIE zu 89,2 Prozent gefüllt, rund ein Prozentpunkt weniger als am Vortag. Derzeit herrschen weitgehend milde Temperaturen in Deutschland. Und schon verkündeten einige Medien mit der Zitierung des Chefs der Bundesnetzagentur eine besinnliche Weihnachtszeit, zu der es ausreichend Gas geben werde. Doch wie es danach weitergeht, ist noch längst Sicht sicher. So warnte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor übertriebener Euphorie. Die Gefahr einer Gasmangellage sei alles andere als gebannt.

“Für eine Entwarnung gibt es keinen Anlass”, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. “Niemand kann ausschließen, dass wir vor einem harten Winter stehen. Deshalb ist es unerlässlich, dass Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger, aber auch die öffentliche Hand Energie sparen – wann und wo immer möglich.”

Während der Industriepräsident noch im Herbst die Bedeutung von Atomkraft betont hatte, so verweist er jetzt indirekt auf die damit verbundenen Probleme – nämlich darauf, dass Frankreich derzeit auf Energielieferungen aus Deutschland angewiesen ist. Deutschland exportiert Strom nach Frankreich, da dort zahlreiche Atomreaktoren nicht produzieren können. Dafür erhält Deutschland vom Nachbarn Gas.

“Es war immer klar, dass es zwei große Unwägbarkeiten gibt: Das Wetter und wie viel Energie wir an unsere europäischen Nachbarn exportieren müssen, gegenwärtig vor allem nach Frankreich. Der ultimative Stresstest ist nicht die Theorie, sondern die Realität dieses und des kommenden Winters. Wir müssen durch diesen Winter kommen, dann die Speicher wieder füllen und auch den nächsten Winter überstehen. Die Sache ist noch nicht erledigt,” so der BDI-Präsident.

Eine Gasmangellage wäre mehr als nur unangenehm, sagte Russwurm. “Zwangsweise Abschaltungen für Unternehmen wären hochgradig schädlich. Das heißt, Sparanstrengungen aller müssen unbedingt weitergehen.”

Die Industrie habe Gas eingespart, zum einen durch Effizienzanstrengungen und den Ersatz von Gas etwa durch Öl. "Zum anderen gab es erhebliche Produktionsrückgänge." Das spart zwar Gas, ist aber das Letzte, was das Industrieland Deutschland als Perspektive braucht. Für den Winter 2023/2024 müssten die Gasspeicher wieder so voll sein, wie sie es im November dieses Jahres waren. "Da steht der eigentliche Stresstest erst noch bevor. Denn wir müssen Nachschub herbeischaffen aus anderen Quellen als Russland. Alle vorgesehenen LNG-Terminals müssen ans Netz", so Russwurm.

Mit dem ersten neuen Terminal in Wilhelmshaven sei die Gefahr einer Gasmangellage also noch längst nicht gebannt. "Für eine sichere Energieversorgung müssen wir international weitere Partner finden, die bereit sind, uns ausreichend Gas zu liefern. Und schließlich müssen wir die heimische Gasförderung stabilisieren."

Russwurm forderte außerdem mehr Tempo bei der Energiewende. "Die Politik muss vor allem angemessene Randbedingungen für die notwendigen Investitionen schaffen. Bei der Energiewende hakt es in Deutschland nicht am Willen, sondern an der Umsetzung – und an vielfältigen lokalen Befindlichkeiten. Notwendige politische und regulatorische Veränderungen dauern zu lang. Der Ausbau muss das bisherige Tempo bei Weitem übertreffen."

Bundeskanzler Olaf Scholz habe die "sehr erfreulich schnelle" Realisierung des ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven als "neues Deutschland-Tempo" bezeichnet, so Russwurm. "Das brauchen wir in der Tat – auch für den Ausbau von Netzen und erneuerbaren Energien. Das hohe Ambitionsniveau der Bundesregierung allein baut noch kein neues Windrad. Die Dekarbonisierung gelingt nur, wenn ab jetzt alles wie am Schnürchen läuft."

Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, hatte am Freitag zwar geschrieben, dass Deutschland mit genügend Gasreserven in die Weihnachtstage gehe, doch auch er warnte, denn in der vergangenen Woche war mehr Erdgas verbraucht worden als im Vorjahreszeitraum.

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