Bewährungsstrafe: COVID-Impfungen mit Kochsalzlösung waren doch nicht mutwillig verursacht worden

Einer Krankenschwester aus dem Friesland wurde im August 2021 vorgeworfen, vorsätzlich Spritzen nicht mit dem vorgesehenen Impfstoff vorbereitet zu haben. Medien berichteten belastend für die Beschuldigte mehrheitlich von einer bewussten Tat "durch eine Impfgegnerin". Das Gericht entschied nun anders.

Eine Analyse von Bernhard Loyen

Der Vorfall sorgte für internationale Schlagzeilen. Einer Krankenschwester, eingesetzt in einem Impfzentrum im Landkreis Friesland, war im April des Vorjahres beim Anmischen eingeplanter COVID-Impfungen ein Fläschchen mit Impfstoff heruntergefallen und zerbrochen. Um das Missgeschick zu verheimlichen, habe sie daraufhin sechs Spritzen "mit Resten aus anderen Ampullen aufgezogen und mit einer Kochsalzlösung bis zur Wirkungslosigkeit verdünnt", so die Sachlage

Wenige Wochen später offenbarte sich die Frau freiwillig und aus eigener Motivation, aufgrund schlechten Gewissens, gegenüber einer Kollegin, die dann den Vorfall zur Anzeige gegenüber dem Arbeitgeber DRK brachte. Da sich nicht mehr nachvollziehen ließ, welche Bürger Injektionen aus einer der angegebenen sechs vorbereiteten und "belasteten" Spritzen erhielten, mussten beziehungsweise wollten sich mehr als 8.000 Menschen erneut impfen lassen. Medienberichte jener Zeit sprachen auch von bis zu 10.000 Betroffenen. 

Die ermittelnden Behörden (Straftatbestand "eines möglichen Körperverletzungsdelikts") wie auch ein Großteil der berichtenden Medien gingen umgehend von einer rein politisch motivierten Tat aus. Die Krankenschwester soll nach Informationen des NDR Niedersachsen "ihren Impfpass gefälscht haben". Ihr Anwalt wies im August 2021 gegenüber dem NDR den Vorwurf zurück, dass seine Mandantin "eine Impfgegnerin sei". 

Die Angeklagte, mittlerweile mit entzogener Berufszulassung, wurde nun vom Landgericht Oldenburg "wegen vorsätzlicher Körperverletzung in sechs Fällen" zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vorsitzende Richterin Melanie Bitter setzte am Mittwoch die Strafe zur Bewährung aus. In der Begründung heißt es laut einem Artikel des Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND):

"'Der bundesweite und internationale Rummel in den Medien sollte Warnung genug sein.' Die Richterin betonte, dass der einzige Beweis für die Tat das sehr frühe Geständnis der Angeklagten sei." 

Das Gericht habe sich von Beginn an mit der Frage beschäftigen müssen, ob der Vorfall lediglich "ein Missgeschick mit üblen Folgen oder der Kreuzzug einer Impfgegnerin" war, so der RND-Artikel. Laut der Richterin sei abschließend zu bewerten:

"Die Angeklagte habe impfkritische Posts in den sozialen Medien verbreitet, auch wenn sie selbst keine eigenen verfasst habe."

Die mediale Stimmungsmache und Vorverurteilung im Jahr 2021

Ausgehend einer Meldung der Deutschen Presse Agentur (dpa) wurde die Krankenschwester umgehend tituliert und bewertet. So hieß es, die Sachlage fahrlässig falsch darstellend, da die Beschuldigte die "sechs Spritzen mit Kochsalzlösung aufzog, die sie zum Verimpfen an Kollegen weitergab", am 11. August 2021 bei der dpa:

"Impfgegnerin spritzte Kochsalz"

Schweizer Medien titelten inhaltlich ebenfalls grob falsch und stimmungsmachend: "Coronavirus: Spritzte Impfgegnerin 8.000 Menschen Kochsalzlösung?". Die österreichische Seite heute.at ließ ihre Leser wissen: "COVID-Leugnerin spritzte 8.500 Menschen Kochsalz". Selbst die New York Times mutmaßte, dass die Krankenschwester "systematisch Impfstoffe durch Kochsalzlösung ersetzt" haben könnte. Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) kommentierte bereits im April des Vorjahres nach Bekanntwerden des Vorfalls: 

"Ich bin fassungslos und erschüttert über die Handlungen dieser Frau. Es handelt sich um ein schweres Vergehen."

Behrens sprach von einer "abscheulichen Tat". Das Hamburger Magazin Spiegel titelte auf eher vermutetem Bild-Niveau:

"Neue Details zum Impfskandal in Friesland: Krankenschwester Antje T. und ihre 'Hexenküche'"

Laut dem Spiegel-Artikel hätte eine "Zeugin ausgesagt, die Krankenschwester habe wirre Verschwörungsfantasien verbreitet". Im November 2022 muss das Gericht konstatieren, dass "trotz umfangreicher Tests und Zeugenbefragungen das Geständnis der einzige Beweis bleibe". Den Betroffenen seien zudem durch die unwirksamen Impfungen keine Schäden entstanden. Der Spiegel schrieb im August 2021 diesbezüglich, dass die Zeugin, also die Kollegin, "den Skandal aufgedeckt" hätte. Weiter heißt es im aktuellen Artikel des RND dazu:

"Der Vorwurf, die Angeklagte habe bewusst Schädigungen in Kauf genommen, um ihre eigenen Ansichten durchzusetzen, habe sich nicht bestätigt. Trotz ihrer Impfskepsis habe sie keine Aufrufe verfasst, sondern als verlässliche Kollegin in dem Zentrum gearbeitet und dort sogar die Abläufe optimiert."

Die Aktion der Angeklagten habe laut der richterlichen Einschätzung "weite Teile der Bevölkerung verunsichert und die Verlässlichkeit des staatlichen Gesundheitssystems infrage gestellt". Das Gericht ging nun in der Urteilsfindung von "vorsätzlichen Körperver­let­zungen ins sechs Fällen aus", angeklagt waren ursprünglich 15 Fälle. Die restlichen neun Fälle konnten nicht nachgewiesen werden. Der (mediale) Vorwurf eines vermeintlich gefälschten Impfpasses wurde in der Verhandlung nicht thematisiert. Die Richterin kommentierte wörtlich in ihrer Ausführung final:

"Allerdings reagieren Menschen nach Fehlern manchmal 'einfach bescheuert'."

Der aktuelle Artikel des Spiegel zum Urteil lautet, erneut bewusst und beabsichtigt provokativ: "Urteil gegen Krankenschwester nach Impfskandal (sic!): Ein Handy voller Verschwörungstheorien – und ein schlechtes Gewissen". Er handelt zu zwei Dritteln von der rein privaten Gedankenwelt der Angeklagten, einer alleinerziehenden Mutter, in der Corona-Krise. Abschließend heißt es in dem Spiegel-Beitrag:

"Sie hat zurzeit keine Arbeit. 'Die Berichterstattung hat einen massiven Einfluss auf ihr Leben gehabt', sagt ihr Anwalt. Ganz Deutschland habe von dem Fall gelesen, eine Reporterin habe sie verfolgt, im Internet habe es Aufrufe gegeben, ihr aufzulauern und Gewalt gegen sie auszuüben. 'Ich hoffe für sie', sagt (ihr Rechtsanwalt) Klatt, 'dass sie in ein normales Leben zurückfindet'." 

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