Wegen unbezahlter Geldstrafen: Immer mehr Menschen landen hinter Gittern

In Deutschland wandern immer mehr Menschen ins Gefängnis, weil sie Geldstrafen nicht bezahlen können oder wollen. Im Sommer dieses Jahres stieg diese Zahl auf 4.411. Damit verbunden sind mehr als nur hohe Kosten für die öffentlichen Töpfe – doch Reformen sind umstritten.

Sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen müssen Verurteilte absitzen, die eine Geldstrafe nicht bezahlen können oder wollen. Die Anzahl der auf diesem Weg Inhaftierten ist in den letzten Jahren in Deutschland deutlich gestiegen, wie ein Sprecher des Bundesamtes für Justiz dem RedaktionsNetzwerk Deutschland sagte. Demnach saßen 4.411 Betroffene Ende Juni dieses Jahres eine solche Ersatzstrafe hinter Gittern ab. Etwa ein Jahr zuvor waren es nur rund 3.800 Menschen gewesen.

Laut Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bringe eine von ihm geplante Verkürzung der Ersatzfreiheitsstrafe für die Länder Einsparungen in Höhe von voraussichtlich über 60 Millionen Euro im Jahr. Bisher kostet die Praxis die Landeshaushalte nach Schätzung des Bundesjustizministeriums (BMJ) etwa 545.000 Euro pro Tag, bezogen auf ein Jahr knapp 200 Millionen Euro. Laut dem im Sommer vorgelegten Reformentwurf soll ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe künftig nicht mehr einem, sondern zwei sogenannten Tagessätzen entsprechen. Das eingesparte Geld soll wiederum in Justizreformen fließen, unter anderem im Bereich Digitalisierung.

Dagegen sieht der Deutsche Richterbund diese Reformpläne kritisch, wie Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, dem RND sagte. Zentrale Aufgabe der Ersatzfreiheitsstrafe sei es, die Zahlung einer verhängten Geldstrafe sicherzustellen. "Von der drohenden Freiheitsentziehung geht ein erheblicher Anreiz zur Zahlung aus." Und dieser drohe nach Einschätzung von Rebehn zu schwinden, wenn die zu erwartende Zeit im Gefängnis kürzer ausfalle.

Allerdings wird die Praxis der Ersatzfreiheitsstrafe seit Jahren diskutiert. Laut der Soziologin Nicole Bögelein sitzen rund 56.000 Menschen jährlich eine solche Ersatzfreiheitsstrafe ab, wobei es sich um ein Dunkelfeld handelt und genaue Zahlen nicht bekannt sind, wie die Wissenschaftlerin, die an der Universität Köln seit vielen Jahren Fragen rund um die Ersatzfreiheitsstrafe erforscht, dem Deutschlandfunk sagte.

Größtenteils handelt es sich nicht um schwere Delikte, sondern typischerweise sind es zu einem Drittel kleinere Eigentumsdelikte wie Ladendiebstähle und zu einem Viertel Schwarzfahrer im ÖPNV. Zu einem geringeren Anteil handelt es sich um schwerere Straftaten wie Trunkenheit am Steuer oder Körperverletzung.

Insbesondere mittellose Schuldner sind betroffen, da sie sich die Geldstrafen im Gegensatz zu wohlhabenderen Schuldnern nicht leisten können. Gleichzeitig ist die Ersatzfreiheitsstrafe nicht nur deutlich belastender für Verurteilte, sondern laut Experten sogar härter als die normale Freiheitsstrafe. Vor allem ergibt sich ein weiteres Gerechtigkeitsproblem, da die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wie es bei schwereren Delikten möglich ist.

Ein Kritiker der bisherigen, aber auch der vom BMJ vorgesehenen Praxis der Ersatzfreiheitsstrafe ist der Jurist und Kriminologe Professor Bernd-Dieter Meier. Er moniert unter anderem, dass die für die Berechnung der Geldstrafe zugrunde gelegten Nettoeinkünfte zum einen nicht gerecht sind, da mittellose Verurteilte weniger Rücklagen haben und zum anderen häufig inkorrekt und unvollständig sind, was wiederum von sozial Schwächeren eher einfach hingenommen wird, da sie sich schlechter verteidigen können – obwohl sie laut Bundesverfassungsgericht durchaus Recht bekommen könnten. In jedem Fall hat der Freiheitsentzug für Betroffene teils schwerwiegende negative Folgen für die Familie, das soziale und berufliche Umfeld.

Zu guter Letzt ist die bisherige Handhabung nicht nur teuer und an mehreren Stellen nicht ganz fair, sondern hat weitere negative gesamtgesellschaftliche Folgen. So müsse laut Unions-Fraktionsvize Andrea Lindholz pro Woche im Schnitt immer noch ein dringend Tatverdächtiger aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die Gerichte überlastet seien und die Strafverfahren zu lange dauerten.

Aufgrund der immensen Kosten für die Länder, der Gerechtigkeitsfrage und teils bedenklichen Konsequenzen befürworten einige, zumindest Delikte wie Schwarzfahren, die sogenannte Beförderungserschleichung – die auch vorliegt, wenn jemand versehentlich ein wenige Cent günstigeres Ticket gezogen hat – zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Auch verweist unter anderem Meier darauf, dass man, wie bei der normalen Freiheitsstrafe üblich, zunächst den Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung durch Maßnahmen wie gemeinnützige Arbeit oder Hausarrest ausschöpfen könnte.

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