Durch zahlreiche Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) kommt es bei Kleinkindern derzeit vermehrt zu Erkrankungen und Krankenhauseinweisungen. Im RKI-Wochenbericht vom Donnerstagabend heißt es, dass in den kommenden Wochen weiter mit steigenden Fällen zu rechnen sei. Die Situation ist bereits jetzt angespannt, Kinderärzte schlagen Alarm. Florian Hoffmann, Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Oberarzt im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, erklärte gegenüber der dpa, es handle sich um ein "dramatisches epidemisches Geschehen" auf der gesamten Nordhalbkugel. Zur aktuellen Entwicklung in Deutschland sagte er:
"Es ist keine Kurve mehr, sondern die Werte gehen senkrecht nach oben."
Bereits im Spätsommer 2021 habe es eine ungewöhnlich hohe RSV-Welle gegeben. Die aktuelle Lage sei jedoch noch schlimmer, so Hoffmann gegenüber der dpa weiter. Viele Kinder seien schwer krank und müssten beatmet werden.
Prinzipiell kann jeder an RSV erkranken, ernst werden kann die Erkrankung jedoch vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern. Oft handelt es sich um eine einfache Atemwegserkrankung, aber auch schwere Verläufe sind möglich. Das RKI zählt insbesondere Säuglinge und Kinder mit Vorerkrankungen der Lunge sowie Menschen mit einem geschwächten Immunsystem zu den Risikogruppen. Von der gegenwärtigen Welle sind hauptsächlich Kinder im Alter von ein bis zwei Jahren betroffen, die aufgrund der Corona-Maßnahmen noch keinerlei Kontakt mit dem RSV-Erreger hatten. Laut RKI hat die derzeitige RSV-Welle in der Woche ab dem 10. Oktober begonnen. In dem Bericht heißt es:
"Insbesondere bei Kleinkindern führt die weiter ansteigende RSV-Aktivität vermehrt zu Arztkonsultationen und Krankenhauseinweisungen."
Zudem gebe es eine ungewöhnlich frühe und harte Grippewelle. Generell zeige sich, dass immer mehr Patienten mit schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) im Krankenhaus landen. Laut RKI werden durch die ungewöhnlich starke RSV-Zirkulation bei den bis Vierjährigen deutlich mehr SARI-Fälle verzeichnet als in den Jahren vor der Corona-Krise. Auch in den Altersgruppen bis 14 Jahren liegt die Zahl der SARI-Erkrankungen auf hohem Niveau.
In den Krankenhäusern mehrerer Bundesländer, darunter Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, gebe es kaum mehr freie Kinderbetten. Dies liege auch am Personalmangel, sodass nicht alle verfügbaren Betten auch betrieben werden können. In den Notaufnahmen müssen Familien mit kranken Kindern daher teilweise auf einer Pritsche schlafen. Für Deutschland sei dies ein Armutszeugnis, so Hoffmann.
"Wir werden diesen Winter nicht mehr alle versorgen können. Die Kollegen landauf, landab wissen nicht, wohin mit unseren kleinen Patienten."
Zur Situation in der Kinderintensivmedizin will die DIVI kommende Woche in Hamburg neue Zahlen – und damit einhergehende Forderungen und Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Versorgung schwerstkranker Kinder – vorstellen. Strukturen zur Bewältigung der Krise seien oft nicht vorhanden und die Bettenregister aus Zeitgründen oft nicht aktuell. Oft müsse man Notfallmechanismen aktivieren und Pflegepersonal aus der Erwachsenenmedizin abziehen.
Beim RKI heißt es, dass Schätzungen zufolge RSV-Atemwegserkrankungen weltweit mit einer Inzidenz von 48,5 Fällen und 5,6 schweren Fällen pro 1.000 Kinder im ersten Lebensjahr vorkommen. Innerhalb des ersten Lebensjahres hätten normalerweise 50 bis 70 Prozent und bis zum Ende des zweiten Lebensjahres nahezu alle Kinder mindestens eine Infektion mit RSV durchgemacht. Als Folge der Corona-Maßnahmen blieb der Kontakt zu dem Erreger jedoch meist aus.
Mehr zum Thema - Folge der Corona-Maßnahmen: Viel mehr Kinder als üblich mit Atemwegsinfekten