Für viele Verbraucher ist der Einkauf beim Online-Handelskonzern Amazon unglaublich attraktiv. Egal was man bestellt, innerhalb von 48 Stunden wird die bestellte Ware vor die Haustüre geliefert. Und weil die Verbraucher kurz nach Erhalt ihrer letzten Bestellung in der Regel bereits erneut vor dem Bildschirm sitzen, um auf Amazon nach weiteren brauchbaren Konsumgütern Ausschau zu halten, macht der von Jeff Bezos gegründete Online-Shop für nahezu alles auch Supergewinne. Den Preis dafür zahlen die weltweit rund 1,5 Millionen Mitarbeiter des Konzerns.
Denken Sie an die Pandemie – als die örtlichen Geschäfte schlossen und die Mobilität der Menschen durch Abriegelungen eingeschränkt wurde, war es nicht der stationäre Handel, sondern der E-Commerce-Riese Amazon, der aufblühte. Das Unternehmen verdoppelte seine Belegschaft, verdreifachte seine Gewinne und baute seine Rolle in den Volkswirtschaften Westeuropas, der USA und Indiens aus. Denn während den zahlreichen Lockdowns wurde Amazon zu dem Ort, an dem jeder alles kaufte – zum Leidwesen der Beschäftigten, die ohnehin schon unterbezahlt, überarbeitet und von Arbeitgeberseite aus zudem noch aufdringlich überwacht waren.
Doch auch dem gutmütigsten Arbeitnehmer reicht es irgendwann. Und so bereiten sich Amazon-Beschäftige aus über 40 Ländern der Welt bereits seit geraumer Zeit darauf vor, Amazon ausgerechnet an einem der sonst für den Konzern umsatzstärksten Tage unter Druck zu setzten und aus dem Shopping-Event "Black Friday" kurzerhand den "Make Amazon Pay Day" zu machen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Preise für lebenswichtige Güter wie Energie und Lebensmittel angesichts der weiter steigenden Inflation, die in Nordamerika und Europa den höchsten Stand seit 40 Jahren erreicht hat, zuletzt in die Höhe schnellten. Doch obwohl Amazon die Preise für seine Prime-Mitgliedschaften in vielen Ländern erhöht hat, weigert sich das Unternehmen weiterhin, die Löhne entsprechend der Inflation anzuheben. Auch seine harte Haltung gegenüber der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Anerkennung von Gewerkschaften blieb zuletzt unverändert.
Im Vereinigten Königreich bot Amazon den Arbeitnehmern im August beispielsweise eine lächerliche Lohnerhöhung von 35 Pence pro Stunde an – mit anderen Worten: eine massive Reallohnkürzung. In Großbritannien, aber auch in Frankreich lehnten die Beschäftigten die Reallohnkürzung letztlich ab. Amazon selbst hat 2021 einen Gewinn von 33,3 Milliarden Dollar erwirtschaftet, will aber seinen Beschäftigten keinen fairen Anteil zahlen. Am diesjährigen Black Friday, dem 25. November, wollen Amazon-Mitarbeiter in 40 Ländern deshalb gegen die unfairen Gehälter und unsicheren Arbeitsbedingungen streiken.
Auch in Deutschland rief die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Tausende Beschäftigte zum Streik auf. Die Arbeit stilllegen wollen am Freitag aber auch Amazon-Beschäftigte in Frankreich, den USA, Indien, Irland und Südafrika. Die angekündigten Proteste sind Teil der Arbeitnehmerbewegung "Make Amazon Pay", in der sich derzeit vor allem Beschäftigte des Online-Riesen, aber auch rund 80 Gewerkschaften und andere Organisationen engagieren. Gemeinsam wollen sie sich für fairere Löhne und das Recht der Arbeitnehmer einsetzten, Gewerkschaften beizutreten. Außerdem fordern sie, dass Amazon von den Staats- und Regierungschefs "endlich" in die Verantwortung genommen wird, einen gerechten Anteil an Steuern zu zahlen.
"Am diesjährigen Black Friday werden Gewerkschaften, die Zivilgesellschaft und gewählte Vertreter in einem massiven globalen Aktionstag Schulter an Schulter stehen, um Amazons verabscheuungswürdige Multimillionen-Dollar-Kampagnen anzuprangern, mit denen die von den Arbeitnehmern geführten Gewerkschaftsbemühungen zunichtegemacht werden sollen", erklärte Christy Hoffman, Generalsekretärin von UNI Global Union, einer der Organisationen, die die Proteste im Rahmen der Make-Amazon-Pay-Kampagne anführt, US-Medien. "Es ist an der Zeit, dass der Tech-Gigant seine schrecklichen, unsicheren Praktiken sofort einstellt, das Gesetz respektiert und mit den Beschäftigten verhandelt, die ihre Arbeitsplätze verbessern wollen."
Bisher werden Amazon-Beschäftigte streng überwacht, mit unangemessenen Zielvorgaben, die bei Nichterfüllung zu Lohnkürzungen führen. Die Mittagspausen sind zumeist kürzer als 30 Minuten, es gibt oft keine Sitzgelegenheiten für diejenigen, die den ganzen Tag auf den Beinen sind, und in Ländern wie Indien stellt Bezos' Unternehmen seinen Mitarbeitern bis heute keine angemessenen sanitären Anlagen zur Verfügung. In einigen Ländern sammelt Amazon sogar Daten über seine Mitarbeiter. Davon erhofft sich der Konzern, unter den zahlreichen Beschäftigten diejenigen zu identifizieren, die eine "gewerkschaftsfreundliche" Einstellung haben.
In den Vereinigten Staaten hat das Unternehmen beispielsweise nachweislich versucht, Wörter wie "Gewerkschaft", "Toiletten", "Gehaltserhöhung" und "Beschwerde" aus seiner neuen internen Chat-App zu verbannen, nachdem zuvor beunruhigende Berichte über Arbeitnehmer aufgetaucht waren, die aufgrund drückender Fristen in Flaschen hatten urinieren müssen. Als Bezos Amazon 1994 gründete, eröffnete er somit nicht nur ein Online-Geschäft. Er schuf ein räuberisches Geschäftsmodell, das den eigenen Angestellten gar die ganze Lebensenergie abverlangt.
Und Amazon ist schon längst nicht mehr nur "der Marktplatz". Das Unternehmen stellt seine eigenen Produkte her und verkauft sie über eine weit verzweigte globale Lieferkette. Der größte Teil der Gewinne fließt dabei in die Cloud-Services-Sparte Amazon Web Services, mit der der Konzern inzwischen ein Drittel des weltweiten Marktes kontrolliert. Mit Whole Foods hat Amazon zudem einen Fuß in der Lebensmittelbranche. Mit der kürzlichen Übernahme von One Medical ist das Unternehmen nun sogar im Gesundheitssektor vertreten. Auch in der Unterhaltungsbranche ist Amazon zu einem großen Akteur geworden – sei es mit Prime Video oder Twitch, der Plattform für Live-Streaming-Videos.
Arbeitnehmer fordern Gerechtigkeit
Amazon selbst hat in den vergangenen Jahren mehrfach versucht, seinen schlechten Ruf als schlechter Arbeitgeber loszuwerden. Dabei helfen sollten dem Unternehmen Programme wie WorkingWell, die Mitarbeiter unterstützen sollen, auf ihr körperliches und geistiges Wohlbefinden zu achten. Programme, die letztlich wenig bis nichts brachten. Auch deshalb "kommt es am Freitag zum ersten Mal zu einem internationalen Streiktag bei Amazon", wird Monika Di Silvestre, die bei Verdi zuständig für die Gewerkschaftsarbeit bei Amazon ist, in einer Pressemitteilung der Gewerkschaft zitiert. Die Bewegung "Make Amazon Pay" sei sehr wichtig, da man einem weltweit agierenden Großkonzern wie Amazon nicht nur lokal, regional oder national begegnen könne. Um etwas erreichen zu können, so Di Silvestre weiter, brauche es die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. Daher sei es wichtig, den diesjährigen Aktionstag gemeinsam zu begehen:
"In vielen Ländern, auch in einigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, gelten noch immer Gesetze, die Gewerkschaften behindern, in den Streik zu treten. Ohne ein umfassendes Streikrecht ist das Engagement für existenzsichernde Löhne sowie für Tarifverträge und Arbeitnehmerrechte aber nicht mehr als ein kollektives Betteln."
Verdi fordere die Europäische Union daher auf, diese Zustände zu beenden und "eine Demokratisierung von Mitbestimmungsrechten in den betreffenden Mitgliedsstaaten einzufordern", so Di Silvestre. In Deutschland wird es laut Verdi am Freitag Arbeitsniederlegungen in insgesamt zehn Fulfillment-Centern des Online-Riesen geben: in Achim bei Bremen, Bad Hersfeld (zwei Standorte), Graben bei Augsburg, Dortmund, Koblenz, Leipzig, Rheinberg, Werne und Winsen.
Mehr zum Thema - Amazon will offenbar Tausende von Mitarbeitern entlassen