Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) steht wieder einmal in der Kritik: Der Bundespolizei zufolge werden unerlaubte Grenzübertritte nach Deutschland nicht mehr ausreichend erfasst. Die Polizeigewerkschaft und die Unionsfraktion werfen Faeser deshalb vor, nicht über die tatsächliche Lage an den deutschen Grenzen zu informieren und die "Hoheit über die Zahlen" verloren zu haben.
Hintergrund der Kritik ist ein interner Bericht der Bundespolizei zur illegalen Einwanderung, der zur Verärgerung der Beamten nicht mehr veröffentlicht wird. In dem seit dem Jahr 2018 regelmäßig veröffentlichten "Migrationsanalyse Bericht" wurde den Polizeibeamten ein Überblick zu unerlaubten Grenzübertritten gegeben. Seit Oktober wird der Bericht jedoch nicht mehr ins interne Netz der Polizei gestellt.
Dabei nimmt die Zahl der "festgestellten unerlaubten Einreisen nach Deutschland" seit Juni merklich zu – und zwar außerhalb der statistischen und saisonalen Schwankungen, wie die Bundespolizei auf Anfrage der Welt am Sonntag mitteilte. Im September wurden laut der Welt am Sonntag demnach 50 Prozent mehr Einreisen als im August und fast 200 Prozent mehr als im Juni und Juli festgestellt. Insgesamt lag die Zahl der Einreisen im September bei 12.701, registriert wurden vor allem Personen aus Syrien und Afghanistan.
Die Bundespolizei zeigte sich verärgert, dass der Bericht für den September nicht wie üblich veröffentlicht wurde. In diesem wurden neben aktuellen Zahlen und Migrationsrouten auch Lagebilder und hilfreiche Beobachtungen wie besondere Transportmittel offengelegt. Nach Aussage der Polizeibeamten sind diese Informationen wichtig für den Einsatz vor Ort.
Heiko Teggatz, der Chef der Bundespolizeigewerkschaft, wirft Faeser deshalb vor, auf dem derzeitigen Höhepunkt der illegalen Einreisen "die Hoheit über die Zahlen" verloren zu haben. Dass das Ministerium den Polizeibeamten die Berichte nicht mehr zur Verfügung stelle, sei "absurd". Konkret bedeute das Aussetzen der Berichte, dass die Bundesbehörden, die Bundestagsabgeordneten und auch die Einsatzführer der Bundespolizei den Überblick über die Migration verloren haben:
"Man hat den Eindruck, man will kein Problem haben. Auch wenn es da ist, soll es keiner sehen."
Auch aus der Opposition hagelt es Kritik: In Unionskreisen spricht man von einer "migrationspolitischen Irrfahrt" der Ampel. Die Vizevorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Andrea Lindholz, will diesbezüglich nun eine Anfrage an das Kanzleramt stellen.
Bisher zeigte man sich jedoch wenig informativ zu den Gründen: Auf Anfrage erklärte das Bundespolizeipräsidium, die Behörde äußere sich nicht zu internen Arbeitsprozessen. Das Innenministerium gab bekannt, interne Berichte der Bundespolizei richteten sich generell nach den "Erfordernissen und Bedarfen" und dienten allein der internen Kommunikation. Wie Lindholz zudem aus Gesprächen mit Bürgermeistern in betroffenen Regionen erfahren haben will, können Städte und Gemeinden an der Grenze keine Flüchtlinge mehr aufnahmen.
"Was Frau Faeser sagt, stimmt nicht mit den Berichten überein, die wir aus den Grenzregionen bekommen."
Teggatz zufolge befinde man sich "mittendrin in einer Lage wie 2015". Der Unterschied sei, dass damals viele Migranten "in einer riesigen Karawane" gleichzeitig kamen, während sie sich jetzt auf viele kleinere Gruppen verteilen.
Vom Innenministerium wird die Situation bestritten: Zwar sei der Anstieg spürbar, allerdings nicht mit der Situation 2015/2016 vergleichbar. Auch die Bundespolizei erklärte, dass die Zahlen der unerlaubten Einreisen deutlich unter denen vom Herbst 2015 liegen. Im besagten Jahr wurden rund eine Million Asylanträge gestellt. Bei den nur punktuell durchgeführten Grenzkontrollen wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik rund 153.000 unerlaubt eingereiste Personen ausgewiesen. Da das Innenministerium Ukrainer als legale Kriegsflüchtlinge ansieht, sei die Lage nicht mit damals vergleichbar. Allerdings wird von Kritikern darauf hingewiesen, dass durch die Gesamtzahl an Flüchtlingen und Migranten eine ähnliche Belastung wie bereits im Jahr 2015 besteht.
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