Die deutsche Beteiligung am Ukraine-Krieg ist seit Beginn der russischen Militäroperation Ende Februar zu einem der wichtigsten innenpolitischen Themen geworden. Ob Deutschland bereit sei, bei der Unterstützung der Ukraine einen Schritt weiter zu gehen und Panzer aus deutscher Herstellung zu liefern, fragte die Zeitung Die Welt Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Interview.
Er wies darauf hin, dass Deutschland sich bei der Waffenlieferung über ein Tabu hinweggesetzt habe. Die bisher an die Ukraine gelieferten Panzerhaubitzen 2000, Mehrfachraketenwerfer und die Flugabwehrpanzer Gepard lobte er als "ausgesprochen effektiv". Er betonte:
"Gerade diese Waffen haben sich während der Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte als besonders effektiv erwiesen."
Ob Deutschland an die Ukraine künftig auch Panzer liefern werde, sagte er nicht. "Wir arbeiten mit unseren Partnern eng zusammen und verfolgen dabei die Situation sehr genau. Wir werden die Ukraine auch weiterhin unterstützen, solange es nötig ist", so Scholz.
Seit Monaten fordert die Ukraine schwere Kampfpanzer vom Typ "Leopard" aus deutscher Produktion. Sie könnten sich aber für die dortigen Straßen und Brücken als zu schwer erweisen. Die Bundesregierung zögert noch und versucht, die Panzerlieferung vor allem mit den anderen NATO-Staaten abzustimmen. Realistisch ist in der aktuellen Lage die Lieferung der älteren Schützenpanzer vom Typ "Marder".
Dafür spricht der zweitägige Ukraine-Besuch der wichtigen Waffenlobbyistin und außenpolitischen Hardlinerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP. Sie ist am Donnerstagmorgen in Kiew angekommen und will die ukrainischen Stellungen in den zurückeroberten Gebieten im Osten persönlich inspizieren. "Wenn man die Ostukraine zurückerobern will, macht das nach meinem Verständnis Sinn", sagte Strack-Zimmermann dem Spiegel.
"Gerade der Schützenpanzer Marder ist dafür gemacht worden, Stellungen zu bekämpfen. Der wäre ein zusätzliches militärisches Gerät, das in dieser Phase von hoher Relevanz ist."
Die Lieferung von 50 Mardern könnte ihr zufolge noch in diesem Jahr erfolgen. Dafür will sie in Berlin mehr Druck auf das Scholz-Kabinett machen. Sie wird konkret: "Man könnte die Phase bis zum Winter nutzen, um ukrainische Soldaten an den Mardern auszubilden." Das Argument, dass die Bundeswehr selbst auf weitere Panzer nicht verzichten könne, lässt Strack-Zimmermann laut Spiegel nicht gelten. "Ich weiß definitiv, dass die Industrie in der Lage ist, 50 Marder innerhalb eines Jahres zu kompensieren und dem Heer zurückzugeben."
Wiesbaden als Mega-Polygon für die ukrainische Armee
Bisher bilden einzelne EU-Nationen in bilateralen Projekten Ukrainer aus. So trainierte die Bundeswehr in Deutschland Mannschaften für die von Berlin gelieferten Waffensysteme wie die Panzerhaubitze 2000 oder den Flugabwehrpanzer Gepard. Aktuell wird an verschiedenen Standorten weiteres Personal für diese und andere deutsche Systeme geschult.
Deutschland plant bereits eigene Schulungen durch die Bundeswehr. So könnte das Heer laut Spiegel ukrainische Kommandeure in einem Gefechtssimulationszentrum in Taktik schulen. Auch Pioniere, Minenräumer, Sanitäter und andere Spezialisten sollen in Deutschland trainiert werden.
Außerdem plant das Pentagon US-Medienberichten zufolge, ein Trainingszentrum für ukrainische Soldaten in Wiesbaden zu schaffen. Diese sollen dort den Umgang mit westlichen Waffen trainieren.
Schon jetzt findet ein Großteil der Ausbildung ukrainischer Soldaten an US-Waffensystemen in der hessischen Landeshauptstadt oder in ihrer Nähe statt. Die Ausweitung des Ausbildungsprogramms soll die Ausbildung von vielen Tausend ukrainischer Soldaten und Offizieren nun nach Fließbandprinzip ermöglichen. Allein in Wiesbaden sollen sich 300 US-Militärkräfte um die Ausbildung kümmern.
Wie Militärbeobachter aus Russland berichten, habe es die russische Armee fortan mit einer anderen Armee zu tun als noch zu Beginn der militärischen Spezialoperation. Die alte ukrainische Armee sei bereits zerschlagen worden. Die neue Armee werde nahezu komplett von der NATO ausgebildet und bewaffnet. Dabei kämpfe sie mit den Resten der Sowjettechnologie, die aus alten Waffenbeständen - vor allem aus osteuropäischen Staaten - geliefert wurden. Zum Einsatz komme nun zunehmend modernere Ausrüstung aus dem Westen sowie der Türkei.
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