Kanzler Scholz und Bundeswirtschaftsminister Habeck stehen bei den Beschäftigten der Raffinierie PCK in Schwedt im Wort. Beide haben nicht nur den Erhalt der 1.200 Arbeitsplätze, sondern zudem Investitionen in Milliardenhöhe, die den Standort nicht nur erhalten, sondern zukunftsfähig machen sollen, in Aussicht gestellt. Zum Erhalt des Standorts soll künftig Rohöl über den Hafen im polnischen Danzig bezogen werden. Allerdings geht Polen die Treuhandverwaltung von Rosneft durch die Bundesrepublik nicht weit genug. Polen fordert die komplette Verstaatlichung des Betriebs, was die vollständige Enteignung von Rosneft bedeuten würde.
Bisher bezog die Raffinerie russisches Rohöl über die Druschba-Pipeline. Als Antwort auf den russischen Einmarsch in die Ukraine will Deutschland künftig auf den Bezug von russischem Öl verzichten. Die Bundesregierung glaubt, über die Senkung deutscher Zahlungen für Energielieferungen an Russland das Kriegsgeschehen zugunsten der Ukraine beeinflussen zu können. Zwar sind die Lieferungen von Rohöl über eine Pipeline vom Sanktionsregime explizit ausgeschlossen, dennoch will Deutschland auf das über die Druschba-Pipeline gelieferte Öl ab dem kommenden Jahr verzichten. Die Änderung am Sanktionsregime hatte Ungarn durchgesetzt, das als Binnenland auf russisches Pipeline-Öl angewiesen ist.
Um wirtschaftlich rentabel zu sein, benötigt die Raffinerie in Schwedt eine Mindestauslastung von 75 Prozent. Über den Rostocker Hafen abgewickelte Lieferungen gewährleisten jedoch eine Auslastung von maximal 60 Prozent. Weitere Lieferungen erhofft sich Deutschland über den polnischen Hafen in Danzig. Polen nutzt diese Abhängigkeit Deutschlands nun zur Durchsetzung seiner Bedingungen. Die Verhandlungen stocken.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bereits am 16. September 2022 auf einer Veranstaltung vor Beschäftigten versprochen, die 1.200 Arbeitsplätze seien sicher. Diese Sicherheit gibt es jedoch nur unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit. Dazu ist Deutschland auf Polen angewiesen.
Rosneft dagegen wehrt sich bereits gegen die zunächst auf sechs Monate terminierte Treuhandverwaltung. Sie sei eine "Zwangsenteignung" und "eine Verletzung aller grundlegenden Prinzipien der Marktwirtschaft, der zivilisierten Grundlagen einer modernen Gesellschaft, die auf dem Prinzip der Unantastbarkeit von Privateigentum aufbaut", wie es nach Angaben der Nachrichtenagentur dpain einer Mitteilung des Unternehmens heißt. Es ist abzusehen, dass eine vollständige Verstaatlichung den Streit mit Rosneft weiter eskaliert. Die Bundesregierung hat bereits deutlich gemacht, dass die Treuhandverwaltung über die sechs Monate hinaus gehen werde und von Dauer sei.
Insbesondere der Nordosten Deutschlands ist von Lieferungen der Raffinerie in Schwedt abhängig. Bei einem Produktionsausfall drohen der Region und auch der Hauptstadt ein Versorgungsengpass mit Kraftstoffen. Die Raffinerie ist der wichtigste Arbeitgeber in der Region.
Mehr zum Thema - Wenn aus Fabriken Museen werden – Deindustrialisierung eskaliert mit der Energiekrise