Im Streit um weitere Entlastungspakete zur Bekämpfung der Energiepreiskrise haben die Ministerpräsidenten vor dem für Anfang Oktober anberaumten Bund-Länder-Treffen den Druck auf die Ampelkoalition erhöht. Die bisherigen Maßnahmen reichten nicht, meinte Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) gegenüber der Welt. Wichtige Bereiche, die von der Energiekrise betroffen seien, würden noch nicht hinreichend berücksichtigt. "Das gilt für den Bereich der Wirtschaft, aber auch für andere wichtige Bereiche wie beispielsweise Krankenhäuser, Stadtwerke oder ÖPNV."
Weil habe "die klare Erwartung, dass auch der Bund eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne des Artikel 109 Absatz 3 Grundgesetz anerkennt". Das ist jener Grundgesetzartikel, der die Aufnahme von Schulden in Krisenzeiten ermöglicht – auch über die Schuldenbremse hinweg. Eine Maßnahme, die bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bisher allerdings auf Ablehnung stößt. Er wolle vorerst an der Schuldenbremse festhalten, bekräftigte er am Sonntag in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Für den FDP-Politiker stehe fest, "dass wir die notwendige Hilfe auch bei den hohen Gaspreisen verbinden müssen mit dem klaren Bekenntnis zur Schuldenbremse des Grundgesetzes". Beschlossen werden dürften lediglich Maßnahmen, die mit der Schuldenbremse vereinbar seien.
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hält eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse auf Bundesebene angesichts der Krise hingegen für "gut begründbar". Die Auswirkungen der vom Bund geplanten Entlastungsmaßnahmen auf die Haushalte der Länder seien erheblich, so Tschentscher. "Viele werden überfordert, weil zusätzliche Belastungen aus der Flüchtlingsaufnahme oder einer Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket hinzukommen. An diesen Stellen könnten finanzielle Ausgleichsmaßnahmen des Bundes ansetzen."
Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) drängt den Bund vor allem zur Einführung eines Energiepreisdeckels. Dieser müsse jetzt kommen. "Die Menschen brauchen in unsicheren Zeiten schnellstmöglich Sicherheit. Sie müssen wissen, was auf sie zukommt und worauf sie sich einstellen können und müssen", mahnte der SPD-Politiker. "Je länger wir warten, desto teurer wird es am Ende für uns alle. Schon jetzt drohen aufgrund der Kauf- und Investitionszurückhaltung tiefe Einschnitte in unsere Wirtschaft und sind Arbeitsplätze in Gefahr." Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sprach sich in der Welt für einen Energiepreisdeckel aus, und zwar, so Günther weiter, "ohne Bedingungen oder Voraussetzungen".
Ursprünglich waren die Beratungen für den morgigen Mittwoch angesetzt. Angesichts einer Corona-Erkrankung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wurden sie nun aber auf den 4. Oktober verschoben, wie der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), am Dienstag auf Twitter mitteilte. "Der Bundeskanzler hat mich gebeten, die Bund-Länder-Beratungen zum Entlastungspaket zu verschieben, da er aufgrund seiner Isolation nicht persönlich teilnehmen kann." Die Sonder-MPK der Länderchef werde aber wie geplant tagen, so Wüst:
"Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder arbeiten an diesem Mittwoch in ihrer MPK wie geplant an Lösungen, wie unser Land in der Energiekrise gut durch Herbst und Winter kommt."
Ursprünglich wollten Bund und Länder am Mittwoch über das dritte Entlastungspaket beraten, das die Ampelkoalition Anfang September als Ausgleich für rasant steigende Preise vorgestellt hatte. Dazu zählen Einmalzahlungen für Rentner und Studenten und ein Preisdeckel für einen Grundbedarf an Strom. Auch bietet der Bund Geld für ein Folgeangebot des 9-Euro-Tickets an. Allerdings nur dann, wenn die Länder dies mitfinanzieren. Das lehnen die Länder bisher jedoch ab. Eine schnelle Einigung ist somit vorerst nicht zu erwarten. Zu sehr beharren beide Seiten auf ihren Standpunkt. Das gestand auch die Landeschefin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), ein. Sie geht davon aus, dass die Diskussion über das Bund-Länder-Treffen hinaus fortgesetzt werden muss:
"Über die Frage der Aufteilung der Kosten werden wir in der Konferenz der Ministerpräsidenten am 4. Oktober und falls notwendig auf der Herbstkonferenz intensiv beraten. Klar ist, dass diese Aufteilung fair sein muss. Ziel muss sein, dass Bund und Länder sich in diesem Zeitkorridor verständigen, damit es wie von der Bundesregierung geplant ohne Verzögerung zu schneller konkreter Hilfe kommt."
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, sieht den Streit zwischen Bund und Ländern indes kritisch. "Deutschland erlebt eine Vielzahl von Krisen in einem Ausmaß, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht hatten", sagte er im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern. Landsberg fordert: "Die Ebenen Bund, Länder und Kommunen müssen viel enger zusammenarbeiten." Zudem mahnte er an, dass das dritte Entlastungspaket nicht scheitern dürfe:
"Das dritte Entlastungspaket mit einem Gesamtvolumen von 65 Milliarden Euro ist ein wichtiger Baustein, damit wir durch die Krise kommen. Das Paket darf nicht scheitern. Die Menschen in Deutschland warten auf diese wichtigen Signale."
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