Die Kölner Staatsanwaltschaft könnte bei ihren Cum-Ex-Ermittlungen laut einem Bericht des Spiegels auf einen möglichen Hinweis zu einem unter Umständen relevanten Treffen zwischen Hamburgs damaligem Bürgermeister Olaf Scholz und Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher (beide SPD) gestoßen sein. Während des Gesprächs sollen sich die beiden Berufspolitiker einem dem Spiegel vorliegenden vertraulichen Vermerk der Kölner Staatsanwaltschaft von Ende Juni zufolge unter anderem auch über den Steuerfall Warburg ausgetauscht haben, was beide stets bestritten.
Darin verweist die Staatsanwaltschaft auf einen Eintrag in Tschentschers beschlagnahmtem Terminkalender vom 6. September 2017 mit dem Betreff "BGM I HSH und 17.11.2016". BGM I ist das Kürzel für den Ersten Bürgermeister, während mit HSH die damals noch den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gehörende HSH Nordbank gemeint ist. Am 17. November 2016 wiederum, elf Tage nach dem Gespräch zwischen Hamburgs Erstem Bürgermeister Scholz und Tschentscher, ereignete sich dann der eigentliche Skandal der sogenannten Cum-Ex-Affäre. An jenem Tag verzichtete der Hamburger Fiskus zunächst auf eine hohe Steuerrückforderung gegen die Warburg-Bank. Dem Fiskus gingen somit vorerst 47 Millionen Euro verloren, welche die Bank zuvor durch illegale Cum-Ex-Geschäfte erwirtschaftet hatte. Seither steht die Frage im Raum, ob dies mit Billigung oder gar auf Initiative von Scholz geschah.
Erst einige Zeit später bemühte sich die Hamburger Finanzverwaltung nach Erlass eines Gerichtsbeschlusses doch um Eintreibung der noch offenen Geldsumme. In der Sache ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft bereits gegen zwei ehemalige Hamburger SPD-Politiker und eine Finanzbeamtin wegen des Verdachts der Begünstigung von Steuerhinterziehung. Daneben analysiert ein eingesetzter Untersuchungsausschuss seit Jahren die Rolle prominenter SPD-Politiker in dem Skandal, darunter auch die des damaligen Hamburger Bürgermeisters und heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz, was sich allerdings als schwierig erweist. Bei den dortigen Vernehmungen gab der Kanzler bei unangenehmen Fragen nämlich überdurchschnittlich oft an, sich nicht mehr erinnern zu können.
Könnte der von der Staatsanwaltschaft neu entdeckte Kalendereintrag nun dabei helfen, die unzähligen Erinnerungslücken von Scholz und allen anderen Beteiligten zu schließen? Vermutlich nicht. Denn sowohl Scholz als auch sein Amtsnachfolger im Hamburger Rathaus wehren sich auch weiterhin vehement gegen die im Raum stehenden Vorwürfe, sie hätten damals Einfluss auf die Entscheidung genommen. Ein Sprecher von Tschentscher teilte auf Anfrage des Spiegels lediglich mit, dass es sich bei dem Kalendereintrag "um eine Fehlinformation" handeln müsse. Zwar habe es am 6. September 2017 von 11 Uhr bis 12:30 Uhr ein Treffen im Rathaus gegeben, an dem Tschentscher und Scholz teilgenommen hätten. Dort hätten sich die beiden Politiker jedoch nur über die HSH Nordbank unterhalten. Der in dem Kalender vermerkte Betreff habe keinen "Bezug zum Datum 17.11.2016 oder zur Warburg-Bank" enthalten.
Eine Sprecherin der Bundesregierung wich Fragen zu dem Vorgang ebenso aus. Der "zitierte Kalendereintrag" lasse demnach "keinen Bezug zum Zuständigkeitsbereich des Bundeskanzleramts erkennen", erklärte sie. Man könne sich "grundsätzlich nur zu Vorgängen innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bundeskanzleramts äußern". Auch die Hamburger SPD hält weiterhin zu den beiden unter Verdacht stehenden Parteikollegen. Der Spiegel-Bericht sei "fehlerhaft", heißt es in der SPD-Entgegnung. Der Artikel würde sich auf einen nicht-existenten Kalendereintrag vom 6. September 2017 mit dem Titel "BGM I HSH und 17. November 2016" stützen:
"Die betreffenden Kalenderblätter liegen dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Cum-Ex seit dem 25. November 2021 vor (Akte 122). Die dort enthaltenen Angaben machen deutlich, dass ein Schreibfehler in einer Übersichtsliste in den Akten 122 und 210 für die falsche Interpretation der Sachlage verantwortlich sein könnte. Die Senatskanzlei hat diesen Fehler bereits gegenüber dem PUA Cum-Ex angezeigt und korrigiert."
Angesichts der nun im Raum stehenden neuen unangenehmen Vorwürfe griff Milan Pein, SPD-Obmann im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss, derweil sogar die in dem Fall ermittelnde Kölner Staatsanwaltschaft an:
"Es ist bemerkenswert und erstaunlich, dass die Kölner Staatsanwaltschaft einem so offensichtlichen Übertragungsfehler nicht nur 'potentielle Beweiserheblichkeit' attestiert, sondern auch einen falschen Zusammenhang herstellt und diesen zu einem Hauptpunkt ihrer Verdachtsmomente erhebt."
Des einen Leid, des anderen Freud. So sieht die Hamburger CDU ihren grundsätzlichen Verdacht durch die neuerliche Berichterstattung hingegen erhärtet. CDU-Fraktionschef Dennis Thering sagte dazu am Freitag:
"Scholz und Tschentscher haben bei ihren letzten Befragungen im PUA Cum-Ex-Steuergeldaffäre klar gesagt, dass sie alle Tatsachen auf den Tisch gelegt haben. Wenn jetzt doch wieder neue Tatsachen ans Licht kommen, lässt das nur eine Konsequenz zu: Scholz und Tschentscher haben die Hamburgerinnen und Hamburger mutmaßlich belogen."
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