Wegen der anhaltenden Energiekrise ist das deutsche Stromnetz derzeit einem unfreiwilligen Stresstest ausgesetzt. Denn die massenhaften Anschaffungen von Heizlüftern, die den exorbitanten Gaspreisen und fragwürdigen Empfehlungen der Bundesregierung geschuldet sind, könnten einen mitunter schwerwiegenden Bumerang-Effekt auf die Energiesicherheit in Deutschland haben. Um längerfristigen Stromausfällen infolge von Netzüberlastungen vorzubeugen, bereiten sich der Berliner Senat und die landeseigene Berlin Energie und Netzholding laut einem Bericht des Tagesspiegels deshalb bereits darauf vor, Teilnetze in Berlin zeitweise abzustellen.
Demnach erörterten Staatssekretär Torsten Akmann und Energiestaatssekretär Tino Schopf (beide SPD) mit Vertretern der Berlin Energie Netzholding Ende August die Auswirkungen einer möglichen Gasmangellage auf das deutsche Stromnetz. "Für alle Szenarien werden derzeit Pläne erstellt, um für den Fall der Fälle vorbereitet zu sein. Und diese Szenarien sind sehr konkret", erklärte Schopf dem Tagesspiegel. Eines dieser möglichen Szenarien sei der Blackout. Wie die Zeitung weiter berichtet, gehe die Berliner Netzholding von der Annahme aus, dass die Haushalte bei der drohenden Gasmangellage im Winter verstärkt mit Heizlüftern und anderen elektrischen Geräten – wie etwa Radiatoren oder Backöfen – heizen werden.
Nach Berechnungen der Netzholding sähe sich Berlin dann mit einem verdreifachten Stromverbrauch konfrontiert, der eine Überlastung der Teilnetze und der mehr als 3.500 Verteil- und Trafostationen zur Folge hätte. Um flächendeckende Stromausfälle und Schäden an den Trafostationen zu verhindern, müsste der Strom in Berlin nach Angaben der Netzholding zeitweise abgestellt werden. Ansonsten würden die Trafostationen durch eine Überbelastung der Netze beschädigt, was einen tagelangen Ausfall der Stromversorgung zur Folge hätte. Für die Reparatur der Anlagen benötigten die Stromversorger mehrere Tage. Zudem mangele es derzeit an den benötigten Ersatzteilen, gestand Schopf gegenüber dem Tagesspiegel ein:
"Da, wo es nötig ist, werden bereits Bauteile der Strom-Infrastruktur ausgetauscht oder Ersatzteile bestellt."
Zuvor hatte bereits der Deutsche Städte- und Gemeindebund vor möglichen Stromausfällen gewarnt. "Eine Überlastung des Stromnetzes, etwa wenn die 650.000 in diesem Jahr verkauften Heizlüfter ans Netz gehen, sollte die Gasversorgung ausfallen, sind realistische Szenarien", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Welt am Sonntag. "Die Gefahr eines Blackouts ist gegeben."
Abschaltungen würden zuvor angekündigt
Unangekündigte Abschaltungen solle es aber nicht geben, erklärten die Vertreter der Netzholding. Die Stromsperren würden für einzelne Stadtteile und Kieze zuvor präzise nach Straßenzügen und Postleitzahlen angekündigt werden. Betroffenen stünde dann über mehrere Stunden hinweg kein Strom zur Verfügung. Auf dieses Weise hofft die für berlineigene Versorgungsnetze zuständige Netzholding, einen noch länger andauernden Ausfall zu verhindern:
"Wir schreiben die Lehrbücher gerade neu. Wir sind in der Vorsorge und haben noch ein bisschen Zeit."
Sogenannte Stromsperren gelten zwar als drastische Eingriffe in das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf Zugang zur Grundversorgung. In etwaigen Notlagen sind sie aber erlaubt, und gesetzlich sogar vorgeschrieben. Die Experten prüfen dem Bericht zufolge aktuell, welche Wohngebiete genau vom Strom abgetrennt werden können. Apotheken, Geldautomaten oder andere wichtige Infrastruktur werden von den Stromsperren aber nicht betroffen sein.
"Um die Stromnetzinfrastruktur zu schützen, würden Stromnetzbetreiber mithilfe von rollierenden Abschaltungen – das heißt regional begrenzt – die Gesamtstabilität der Netze sicherstellen und Schädigungen an der Stromnetzinfrastruktur vorbeugen", erläuterte eine Sprecherin der Berliner Innenverwaltung auf Anfrage des Tagesspiegels. Mit der Maßnahme wolle Berlin "die Erhaltung der Funktionstüchtigkeit und Systemstabilität der Elektrizitätsversorgung" sicherstellen. Einen kompletten Blackout stuft die Innenverwaltung indes weiterhin als unwahrscheinlich ein:
"Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines über mehrere Tage oder Wochen anhaltenden, flächendeckenden Stromausfalls ist als sehr gering einzustufen. Das Niveau der Strom-Versorgungssicherheit in Berlin ist sehr hoch."
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) soll die Lage nach Informationen des Tagesspiegels am Mittwoch bereits mit Wirtschafts- und Energiesenator Stephan Schwarz besprochen haben. An dem Treffen im Roten Rathaus hätten demnach auch die Berliner Energieunternehmen und Netzbetreiber teilgenommen. Dort habe man sich auf eine "intensivere Zusammenarbeit und auch eine abgestimmte Kommunikation und Information der Bevölkerung" geeinigt.
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