Kommunale Energieversorger in Bayern haben am Donnerstag gewarnt, dass wegen der hohen Preise für Gas und Strom womöglich bald jeder zehnte Kunde seine Rechnungen nicht mehr zahlen könne. Das sieht der Geschäftsführer des Bayrischen Energie- und Wasserverbands, Detlef Fischer, als Risiko für die Energieversorger.
In der vergangenen Woche hatte der Bund eine Rettungsaktion für den zweiten großen Versorger, den Unternehmensverbund VNG, angekündigt, was jedoch wegen der hohen Gewinne des Mutterkonzerns ENBW auf Kritik stieß.
Auf der am Donnerstag beginnenden zweitägigen Agrarministerkonferenz von Bund und Ländern warnte indes der Deutsche Bauernverband vor einem Einbruch der landwirtschaftlichen Erträge infolge von Gasengpässen. Sollten Düngemittel nur noch eingeschränkt verfügbar sein oder wegfallen, würden die Erträge sofort um 30 bis 40 Prozent einbrechen, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied:
"Um stabile Ernten zu gewährleisten, ist die Verfügbarkeit von Düngemitteln essenziell."
Gas ist notwendig zur Erzeugung von Stickstoffdünger. "Wir brauchen eine Priorisierung beim Gas für den gesamten Landwirtschafts- und Ernährungssektor – und auch für die Düngemittelhersteller", sagte Rukwied der Deutschen Presse-Agentur. Die gesamte Ernährungswirtschaft sei abhängig von Gas, etwa Zuckerfabriken oder Molkereien.
"Ohne Gas keine Milch, keine Butter, kein Joghurt."
Der Vorsitzende der Agrarministerkonferenz, Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Sven Schulze (CDU), hatte zuletzt einen Energiepreisdeckel für die Ernährungswirtschaft gefordert. Die hohen Preise schränkten die Wettbewerbsfähigkeit ein und sorgten dafür, dass die Preise bis in den Lebensmitteleinzelhandel stark stiegen, sagte Schulze. Er rechnet mit einem erhöhten Druck auf den Bund.
Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Agrarminister von Bund und Ländern in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. Neben dem übergeordneten Thema zu den Auswirkungen und Folgen des Ukraine-Kriegs wollen die Minister etwa über den Umbau der Nutztierhaltung beraten.
Am Mittwoch kündigte die deutsche Chemie- und Pharmabranche an, dass die Herstellung in diesem Sektor wegen der rasant gestiegenen Energiepreise dieses Jahr um 5,5 Prozent schrumpfen wird. Die Produktion der Chemie allein betrachtet dürfte gar um 8,5 Prozent zurückgehen, teilte der Verband der Chemischen Industrie mit.
Vor dem Hintergrund der Energiekrise waren zuletzt vermehrt Warnungen vor einem großflächigen Stromausfall im kommenden Winter laut geworden. Zwar hält die Bundesnetzagentur laut BR-Anfrage ein solches Szenario für "sehr unwahrscheinlich", allerdings seien kürzere, regionale Stromausfälle in der derzeitigen Situation zu befürchten, wenn auch nicht wahrscheinlich.
"Auch stundenweise krisenhafte Situationen im Stromsystem sind nach Einschätzung der Bundesnetzagentur im Winter 22/23 sehr unwahrscheinlich, diese können aber nie vollständig ausgeschlossen werden."
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) hatte Anfang September auf der Grundlage des Stresstests, einer Untersuchung zur Stabilität der Stromversorgung, vorgeschlagen, zwei süddeutsche Atomkraftwerke entgegen der Planung über das Jahresende hinaus noch bis Mitte April für den Fall von Engpässen einsatzbereit zu halten.
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte am Wochenende vor flächendeckenden Stromausfällen und der Überlastung des Stromnetzes in Deutschland.
"Die Gefahr eines Blackouts ist gegeben",
sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Welt am Sonntag. Die Vorbereitung auf echte Krisensituationen müsse verbessert werden, auch wenn die Bundesnetzagentur diese eher verneint (siehe oben). Bei ihrem Stromnetz-Stresstest ging es um ein Extrem-Szenario: Wegen Gasmangels fällt ein Viertel bis die Hälfte der Gaskraftwerke in Süddeutschland aus, anhaltendes Niedrigwasser bremst den Nachschub für die Kohlekraftwerke, die französischen Atomkraftwerke sind weiter außer Betrieb und zudem werden viele Heizlüfter gleichzeitig genutzt.
Landsberg warnte konkret vor der Gefahr einer "Überlastung des Stromnetzes – etwa wenn die 650.000 in diesem Jahr verkauften Heizlüfter ans Netz gehen, sollte die Gasversorgung ausfallen". Auch feindliche Hackerangriffe seien ein realistisches Szenario. "Wir können flächendeckende Stromausfälle nicht ausschließen", sagte er. Und für diesen Fall sei Deutschland ungenügend gerüstet.
Er forderte die Bürger auf, die Empfehlungen des Bundes zum Katastrophenschutz ernst zu nehmen und Wasser sowie Lebensmittel im Haus zu haben. Bei einem großflächigen Stromausfall "läuft kein Wasser, man kann nicht tanken, nach zwei Tagen kann man sein Handy nicht mehr laden", erklärte er. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, warnte vor massenhaftem Gebrauch von Heizlüftern. Sie zu nutzen sei selbst bei den hohen Gaspreisen teurer als Heizen mit Gas, sagte er dem Tagesspiegel. Außerdem könne es Stromnetze lokal an ihre Grenzen bringen, wenn viele Menschen gleichzeitig Heizlüfter betrieben.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dagegen versprach in Bezug auf die verbreiteten Sorgen um die Energiekrise: "Wir kommen da durch." Die Menschen in Deutschland würden spüren, dass sie in einer ernsten Zeit lebten. "Wir haben uns aber vorbereitet", versicherte der Kanzler in seiner wöchentlichen Videobotschaft und griff auf sein schon im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine genutztes Repertoire zurück, indem er auf Solidarität pochte.
"Wir werden uns als Land unterhaken, weil wir ein solidarisches Land sind."
In Berlin haben am Donnerstag die Beratungen des Bundeskanzlers mit Vertretern von Gewerkschaften und Wirtschaft zur aktuellen Energiekrise begonnen.
Eine repräsentative Erhebung des Civey-Instituts zeigte in dieser Woche, dass 53 Prozent der Deutschen sich bezüglich eines Stromausfalls sorgen, während die Miniserie "Alles finster" darstellt, dass Panik und Chaos ausbrechen, wenn es zu einem Blackout kommt.
Hinsichtlich der umstrittenen Gasumlage, mit der Gasimporteure gestützt werden sollen, will sich Wirtschaftsminister Habeck scheinbar noch Zeit verschaffen: Die ersten Abschlagszahlungen sollen wohl auf Ende Oktober verschoben werden, hieß es am Donnerstag.
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