Deutschland habe in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in seiner Politik aufgrund der Angst vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen "Einschüchterungen" versagt, behauptete der scheidende Botschafter der Ukraine, Andrei Melnyk, am Dienstagabend in der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger, wo er als Gast geladen war.
Der wegen seiner zahlreichen umstrittenen Äußerungen – auch gegen Bundeskanzler Olaf Scholz – immer wieder in die Schlagzeilen geratene Diplomat sinnierte darüber, dass der russische Staatschef genau wisse, wie man mit der deutschen Seele spielt. "Putin kennt die deutsche Seele und kann leider gut damit spielen", sagte er und fügte hinzu, dass Putin im Dialog mit Berlin auf "Einschüchterung" setze.
Der Botschafter meinte zudem, dass er einen Einsatz von taktischen Nuklearwaffen durch Moskau im Rahmen der russischen Militäroperation in der Ukraine eher gering einschätze, da der Preis für ein solches Handeln sehr hoch sein würde. Russland liefe zudem damit Gefahr, sich auch von China und Indien zu isolieren.
Melnyk äußerte sich zu seinem Abgang als Botschafter in einem ungewöhnlich selbstkritischen Ton. "Man muss für seine Fehler geradestehen", sagte er und fügte an, dass egal, wie kritisch man gegenüber der Regierung stehe, Deutschland der wichtigste Verbündete der Ukraine in Europa sei.
"Wenn es um die EU und die NATO geht, müssen wir die Deutschen für uns gewinnen. Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er das besser macht als ich."
Die Äußerungen Melnyks folgen auf eine Schelte des ukrainischen Außenministers Dmitri Kuleba in Richtung Deutschland, weil seiner Ansicht nach Berlin kein "einziges rationales Argument" dafür vorgebracht habe, warum es die Ukraine nicht mit Kampfpanzern beliefern könne. Kuleba beschuldigte die Bundesregierung, sie habe "nur abstrakte Befürchtungen und Ausreden" anzubieten.
Melnyk wurde Anfang Juli nach einer Reihe von Kontroversen vom ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij entlassen. Zu seinen schlagzeilenträchtigen Äußerungen gehörte die Bezeichnung des deutschen Bundeskanzlers als "beleidigte Leberwurst" und seine Verteidigung von Stepan Bandera, einem umstrittenen ukrainischen nationalistischen Helden, der während des Zweiten Weltkrieges mit den Nazis kollaborierte.
Melnyk bestand in seinem Gespräch mit dem Journalisten Tilo Jung darauf, dass Bandera nicht in den Massenmord an Juden und Polen während des Krieges verwickelt gewesen sei. Nach empörten Reaktionen aus Polen und Israel musste das Außenministerium der Ukraine erklären, dass die Äußerungen des Botschafters nicht die offizielle Position Kiews widerspiegelten.
Dass er sich mehrfach im Ton vergriffen hat, bezeichnete Melnyk in der Sendung als "Hilferufe". "Wenn jemand am Ertrinken ist, kann er nicht höflich bleiben, da muss man laut schreien und lauter werden als sonst. Ich hoffe, dass die Deutschen Nachsicht mit mir haben werden, wenn ich weg bin."
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