Die Stadtwerke in Deutschland rechnen angesichts der hohen Belastungen durch die Energiekrise und Inflation mit einer stark steigenden Zahl von Zahlungsausfällen seitens der Endverbraucher und Insolvenzen in den eigenen Reihen. "Die Zahlungsausfälle waren bislang deutlich unter ein Prozent des Umsatzes aus gelieferten Mengen, das ist verkraftbar", sagte Ingbert Liebing, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), der Nachrichtenagentur Reuters:
"Aber wenn wir auf fünf bis zehn Prozent kämen oder gar 15 oder 20 drohen, dann kann das für die Stadtwerke bedrohlich werden."
Der Verband kommunaler Unternehmen vertritt nach eigenen Angaben die Interessen von über 1.500 in Deutschland ansässigen Stadtwerken. "Wir merken schon, dass die Lage angespannter wird. Noch vor wenigen Monaten war es so, dass wir die Risiken am Horizont erkannt haben und gesagt haben‚ darauf müssen wir uns vorbereiten", erklärte Liebing. "Aber jetzt stellen wir fest, dass bestimmte Probleme, Liquiditätsprobleme, akuter werden." Da die Stadtwerke in der Summe systemrelevant seien, bestehe das "oberste Ziel" des VKU laut Liebing derzeit deshalb darin, die drohende Insolvenzwelle zu verhindern.
Aber auch die "zweite Reihe", die Stadtwerke und Regionalversorger, schlagen Alarm. "Wenn für den Gaseinkauf jetzt das Zehnfache, das Zwölffache von dem bezahlt werden muss, wie es in der Vergangenheit üblich gewesen ist, dann stellt das die Stadtwerke, die erst einmal einkaufen müssen, bevor sie verkaufen können, vor gewaltige finanzielle Herausforderungen", erklärte Liebing. Hinzu kämen die Forderungen im außerbörslichen Handel (OTC), wo die meisten Stadtwerke aktiv seien. Dort würden inzwischen höhere Kautionen zur Absicherung gefordert.
Wenn die Stadtwerke ihre gesamte Liquidität und ihren gesamten Kreditrahmen für den Handel bräuchten, bleibe zudem kein Spielraum mehr für Investitionen in die Energiewende, so Liebing. Die Bundesregierung habe zwar ein Hilfsprogramm aufgelegt. Jedoch würden die 100 Milliarden Euro der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) nur jenen helfen, die an der Börse handeln. Deshalb müsse das Hilfspaket nun nachgebessert werden, forderte Liebing. "Wir brauchen eine Verständigung von Bund und Ländern, was die Liquiditätsprobleme der Stadtwerke und den Aufbau eines Rettungsschirms betrifft."
Sorgen bereiten den Stadtwerken derzeit vor allem die hohen Preise für Gas am Energiemarkt. In den vergangenen Monaten haben die europäischen Sanktionen gegen Russland die Preise dort durch die Decke gehen lassen – mit fatalen Folgen für die hiesige Wirtschaft. So mussten große Gasimporteure wie Uniper oder die Leipziger VNG zuletzt mit Milliardensummen gestützt werden, da es den beiden Konzernen an finanziellen Mitteln fehlte, ihre Verbindlichkeiten aus den Einkäufen am teuren Spotmarkt zu bedienen.
Kunden von Stadtwerken bräuchten teils psychologische Betreuung
Neben den Energieversorgern leiden in erster Linie jedoch vor allem deren Kunden an den stark gestiegenen Energiekosten. Viele Kunden könnten die hohen Kostensteigerungen einfach nicht mehr bezahlen, erklärte Liebing. "Manche werden aus Frust aggressiv, andere sind in Tränen aufgelöst und brauchen psychologische Betreuung." Angesichts dessen würden die Mitarbeiter der jeweiligen Kundencenter bereits im Umgang mit solchen Situationen geschult und suchten in jedem Einzelfall nach Auswegen, berichten Branchenvertreter. Die zumeist gefürchtete Sperrung von Strom- und Gasanschlüssen sei jedoch das letzte Mittel und nur selten nötig.
Das Ende der Fahnenstange ist vorerst nicht in Sicht. Auch im kommenden Jahr wird mit Preiserhöhungen zu rechnen sein, da die Stadtwerke langfristig Gas beschaffen. Zur Versorgung werde laut Liebing derzeit zwar noch Gas eingesetzt, das vor einem oder zwei Jahren zu günstigeren Konditionen eingekauft wurde. Doch schon jetzt haben viele Versorger ihre Tarife deutlich angehoben. Den Kunden die enormen Preissteigerungen zu vermitteln, gestalte sich für die Energieversorger zunehmend schwierig, erklärte die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, gegenüber Reuters. Betroffene Kunden machten ihrem Ärger sowie großen Sorgen über die Preisentwicklung demnach oft in den Kundencentern Luft. Für die Beschäftigten der Energieversorger sei dies eine große Belastung.
Vor knapp zwei Wochen war der Gaspreis wegen des einstweiligen Lieferstopps von russischem Gas über die Ostseepipeline Nord Stream 1 an den Märkten erneut stark gestiegen. Eine erneute Inbetriebnahme verknüpft Russland mit der Aufhebung westlicher Sanktionen. Zuvor wurden über die Pipeline lediglich rund 20 Prozent der maximal möglichen Menge an Gas nach Europa befördert.
Mehr zum Thema - Ex-Außenministerin Kneissl: Russland-Sanktionen waren nicht durchdacht