Von Susan Bonath
Nach 18 Jahren will die Bundesregierung das Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich Hartz IV, etwas grundlegender reformieren. Wenn auch die Erhöhung (um 53 auf 502 Euro für Alleinstehende, und geringer ausfallend für Ehepaare und Kinder) der dann in "Bürgergeld" umbenannten Leistungen die massiven Preisanstiege nicht ausgleichen dürfte: Einige Erleichterungen, vor allem für kurzzeitig Betroffene, sind zwar durchaus dabei.
Doch wie erwartet, springen die Wirtschaftslobby-Verbände dagegen im sprichwörtlichen Dreieck. Die Bild bastelte in gewohnter Manier aus den Aussagen des Handwerksverbands-Präsidenten Hans-Peter Wollseifer eine eigene Spaltungskampagne gegen Betroffene. Wer arbeite, sei "künftig der Dumme", titelte das Blatt, und suggerierte damit: Niedriglöhner hätten am Ende gar weniger als Leistungsbezieher.
Doch das ist schon alleine deshalb Unfug, weil jeder, dessen Einkommen das neue Bürgergeld plus gewisse Freibeträge unterschreitet, aufstockende Leistungen beantragen kann. Durch die Freibeträge, die mit dem Einkommen steigen – derzeit sind die ersten 100 Euro, 20 Prozent von weiteren 900 Euro und zehn Prozent vom Verdienst darüber anrechnungsfrei – hätten Betroffene auf jeden Fall mehr Geld zur Verfügung als Menschen ohne oder mit geringerem Verdienst. Der wahre Skandal ist mithin, dass Millionen Menschen für so geringe Löhne schuften müssen, dass sie kaum über die Runden kommen.
Fake News von Bild und Habeck
Mehr noch: Die Bild wartet mit einer faustdicken Lüge auf, die auch in den sozialen Medien für Unmut sorgt. So schrieb das Springer-Blatt wörtlich mit Blick auf einen fiktiven Niedriglöhner (Schreibweise wie im Original):
"Doch weil er davon – anders als Bürgergeld-Bezieher – Miete und Heizkosten tragen muss, lohnt sich das Aufstehen für ihn NICHT mehr."
Damit suggeriert die Boulevard-Zeitung, Hartz-IV- bzw. Bürgergeld-Bezieher bekämen sämtliche Heizkosten erstattet. Das mutmaßliche Ziel von dieser Seite ist seit Jahrzehnten zur Genüge bekannt: Aufreger produzieren, um Leser zu binden – die typische Bild-PR-Kampagne eben. Nur stimmt an dieser Behauptung genauso wenig wie an der vorangegangenen: Nichts.
Doch das Gerücht hält sich hartnäckig. Sogar Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen hatte Ende vergangenen Jahres selbiges in die Welt kolportiert – wenngleich auch nicht so deutlich, wie das Springer-Blatt. Er sagte laut Münchner Merkur damals bezüglich der Forderung von Sozialverbänden an die Jobcenter, höhere Heizkosten zu übernehmen:
"Vollständige Übernahme lädt immer dazu ein, dass man dann die Heizung aufdreht und das Fenster aufmacht. Es sollte schon einen Anreiz geben, sorgsam mit Energie umzugehen."
Was hängen blieb: Hartz-IV-Bezieher müssten sich keine Gedanken ums Heizen machen, da ihnen alles erstattet würde. Doch das stimmt schlicht nicht, und ist auch nicht geplant. Denn die Kommunen deckeln die Miete und die Heizkosten streng. Die Obergrenzen dafür sind generell so niedrig, dass jeder, der Hartz IV bekommt, Erfahrung mit dem Sparen in einer viel zu kalten, oft schlecht isolierten Wohnung haben dürfte.
Viel zu niedrige Obergrenzen
So wird im zugrunde liegenden Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) mit unklaren Rechtsbegriffen jongliert, auch bei den sogenannten Kosten der Unterkunft (KdU): In Paragraf 22 heißt es dazu:
"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."
Was angemessen ist, legen allerdings die Kommunen in sogenannten KdU-Richtlinien ganz individuell fest – in aller Regel getragen vom Spargedanken, wegen klammer Haushaltskassen. Sozialverbände klagen seit der Einführung von Hartz IV 2005, dass darin verfügte Obergrenzen bundesweit zu niedrig sind.
So mussten laut einer Anfrage der Linksfraktion im vergangenen Jahr etwa 400.000 Hartz-IV-Haushalte einen Teil ihrer Miete – darunter auch Heizkosten – aus ihrem Regelsatz abstottern, wie unter anderem die Berliner Morgenpost berichtete. Durchschnittlich bekamen sie pro Monat 86 Euro weniger zugebilligt, als sie real zahlten.
Der Staat sparte damit letztes Jahr fast eine halbe Milliarde Euro ein. Die Einsparsumme wird mit den Heizkosten nun weiter steigen. Zumindest bisher ist von nennenswerten Anhebungen der Obergrenzen seit Beginn der rasanten Preisanstiege nichts bekannt geworden. Das verdeutlicht das Beispiel der Sachsen-Metropole und Universitätsstadt Leipzig.
Der Gnade von Sachbearbeitern ausgeliefert
Der Leipziger Richtlinie zufolge bekommen alleinstehende Hartz-IV-Bezieher dort derzeit höchstens knapp 365 Euro Warmmiete zugebilligt – darunter gerade einmal 50,72 Euro für Heizung und Warmwasser. Familien mit zwei Personen dürfen monatlich für Wärme nicht einmal 68 Euro, mit drei Personen keine 85 Euro ausgeben. Alles, was darüber liegt – auch Nachforderungen – bekommen Betroffene in aller Regel nicht erstattet.
Jetzt dürfen sich die Leipziger Bedürftigen tatsächlich auf etwas höhere Obergrenzen freuen, denn die Stadt verkündete – offensichtlich eine Ausnahme unter den Kommunen – kürzlich deren Anhebung. Doch ein Blick auf die Zahlen dürfte die Freude der Betroffenen dämpfen: Alleinstehende können demnach ab Januar genau 5,12 Euro mehr pro Monat fürs Heizen und warm Duschen ausgeben, insgesamt 55,84 Euro. Für Haushalte mit mehreren Personen steigt die Obergrenze nicht viel stärker. Die Verwaltung spricht nunmehr von einer "Nichtprüfungsgrenze".
Zwar räumt die Stadt ein, die Kalkulation fuße "auf Werten aus der Vergangenheit", die die aktuelle Entwicklung auf dem Energiemarkt nicht berücksichtigten. Somit würden Sozialämter und Jobcenter auch Kosten über diesen Werten übernehmen. Jedoch bleibt dies eine Einzelfall-, vor allen Dingen eine Kann-Entscheidung. Übernehmen müssen sie lediglich die Summen in der Tabelle. Mit anderen Worten: Leistungsbezieher sind der Gnade des jeweiligen Sachbearbeiters ausgeliefert.
Spaltungskampagne im Sinne der Herrschenden
Vergessen wird zudem, dass Heizkosten nicht die einzigen Aus- und Abgaben sind, die in die Höhe schnellen. Auch Strom wird derzeit spürbar teurer, bei Lebensmitteln und vielen Gütern für den täglichen Bedarf sieht es nicht anders aus. All dies muss aber – auch entgegen so mancher anders lautender Gerüchte – aus dem Regelsatz bezahlt werden. Derzeit sind für einen Alleinstehenden darin rund 38 Euro für "Energie und Wohninstandhaltung" eingepreist.
Mit anderen Worten: Die geplante Hartz-IV-Erhöhung soll sämtliche Preisexplosionen auffangen. Laut Statistischem Bundesamt stiegen die Verbraucherpreise seit 2015 um fast 19 Prozent. Allein im August dieses Jahres errechneten die Statistiker eine Inflationsrate von 7,9 Prozent. Hauptursachen seien Preisanstiege bei Energie und Lebensmitteln, also in der Grundversorgung – und ein Ende ist nicht abzusehen.
Und noch einen Punkt vergisst die Bild bei ihrem Versuch, Geringverdiener gegen Hartz-IV-Bezieher aufzuwiegeln: Niedrige Sozialleistungen sind ein wichtiges Instrument, die Löhne unten zu halten. Und zugleich eine Drohkulisse, nach dem Motto: Wenn ihr euch der Ausbeutung verweigert, geht's euch noch schlechter. Die Springer-Spaltungskampagne dient daher letztlich nur einer Gruppe: den Herrschenden.
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