Eine Analyse von Kaspar Sachse
Montag, Augustusplatz, Leipzig. Mehrere tausend Menschen protestierten gegen die antirussischen Sanktionen der Bundesregierung, dabei kam es auch zu Rangeleien zwischen "links" und "rechts". Im deutschen Mainstream ging es vor allem darum, die Zahlen kleinzuhalten, die Anliegen zu diskreditieren und die Teilnehmer in extreme politische Richtungen zu stellen.
"Laues Lüftchen" bei der FAZ
Über lediglich "150 Leute, die sich hier hinter der rechtsextremen Kleinstpartei "Freie Sachsen" versammelt haben" berichtet die FAZ in Bezug auf deren Demozug am Montag in Leipzig, "zuvor auf der Kundgebung waren es gut doppelt so viele" – auf ihren Telegramkanal spricht die junge Bewegung dagegen von "5000 Patrioten", welche "dem Aufruf des sächsischen Bürgerprotestes [folgten], ein Querfront-Angebot an die Teilnehmer der Linken-Versammlung zu richten." Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Und fast schon glücklich wirkt der FAZ-Autor, der seinen Artikel mit "Laues Lüftchen statt 'Heißer Herbst'" überschrieben hat, wenn er abgesehen von ein paar Anti-NATO-Plakaten konstatieren kann:
"Anders als bei der Demo der Rechtsextremen, die unumwunden die NATO beschuldigen, Russland den Krieg in der Ukraine "aufgezwungen" zu haben, benennen die Linken Russland klar als Aggressor."
Dazu passt dann auch die Attacke der "Antifa" auf einen Reporter des Portals Infrarot – die nicht nur der FAZ verborgen blieb.
"Lauwarmer" Spiegel
Der Spiegel betitelt die Leipziger Proteste mit "'Heißer Herbst', eher lauwarm". Gleich im ersten Satz wird die – noch kurz vor der Demo ausgeladene – Sahra Wagenknecht diskreditiert, denn da "wo die Rechtsextremisten stehen" erschallt der Ruf: "Sahra, Sahra, Sahra!" Dazu fällt einem nur Rainer Mausfeld ein: "Kampf gegen Rechts heißt Kampf gegen Links".
Für das Hamburger Blatt sind die "Freien Sachsen", die sich unter anderem für mehr Volksabstimmungen und Bürgernähe in der Politik stark machen, schlichtweg "Demokratiefeinde" wenn sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Innenministerin Nancy Faeser oder den mit enormen GEZ-Gebühren gesponserten Jan Böhmermann in Sträflingskleidung abbilden – dabei ist doch gerade letzerem die Grenze zwischen Satire und Beleidigung völlig egal. Doch immerhin werden die Teilnehmerzahlen beim Spiegel realistischer eingeschätzt, wenn auch durch "besten" Haltungsjournalismus "richtig" eingeordnet:
"An die großen Demonstrationen der letzten Jahre konnten beide Seiten nicht anknüpfen, schätzungsweise 4000 Linke waren auf der Straße – und damit etwa doppelt so viele wie aufseiten der Rechtsextremen."
Interessant sind dann noch folgenden Aussagen, welche überdeutlich die politische Gesinnung der Autoren aufzeigen:
"Hinzu kam, dass [Sören] Pellmann [MdB und Anmelder der Linken-Demo] bei seinen eigenen Kollegen unter »Querfrontverdacht« steht, er gilt als enger Unterstützer der Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, deren Lager in der Vergangenheit tatsächlich mehrfach mit extrem Rechten protestiert hatte."
Beweise für diese Aussagen werden keine gebracht, dafür konstatiert man mit Blick auf das spätabendliche Treiben der "Antifa" gegen "rechts":
"Die Vorbereitung war erfolgreich: Am Ende bleibt die Sitzblockade bestehen und die »Freien Sachsen« drehen um, laufen frustriert wieder zurück zum Ausgangsplatz. Sie versuchen nicht mal wie sonst gern, die Polizeireihen zu durchbrechen, obwohl diese nicht sonderlich stark sind. Bis auf ein paar kleine Scharmützel in der Innenstadt passiert nichts weiter zwischen den Gruppen."
Kinderquizshow bei der BZ
Ähnlich plakativ geht diesmal auch die Berliner Zeitung vor, sie titelt: "Heißer Herbst in Leipzig: Kein stummer Schrei nach Sahra Wagenknecht". Auch sie zeigt dem Leser bereits im Teaser die "richtige" Haltung auf:
"Tausende versammeln sich auf dem Augustusplatz, um gegen steigende Energiepreise zu demonstrieren. Die Umarmung von Rechts nimmt die Linke natürlich nicht an."
"Natürlich"?! Schließlich ist die Angst der Linken viel größer, auch nur geringste politische Schnittmengen mit "rechts", d. h. allem, was nicht auf Regierungslinie ist, zu haben als ihre eigentliche Klientel – die sozial Schwachen und die Arbeiterschaft – zu verlieren, was der Autor der BZ auch im weiteren Textverlauf beweist. Dabei bezog er sich auf eine "inzwischen abgesetzte Quizshow für Kinder" und den dortigen Ausruf: "Eins, zwei oder drei – ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht.". Die Auswahl der Möglichkeiten in Leipzig gibt dann auch gleich den politischen Kompass vor:
1) Bei der Kundgebung der rechtsextremen Kleinstpartei "Freie Sachsen" vor dem Gewandhaus, wo dieses Transparent alle Quizteilnehmer begrüßte: "Das deutsche Volk steht nicht hinter unserer korrupten Regierung"
2) nur ein Hamburger Absperrgitter weiter, wo die Straßenbahn Richtung Stötteritz oder Miltlitz fährt und Polizisten sich zur Sicherheit aller in einer noch durchlässigen Kette aufgestellt hatten; wo vielleicht so etwas wie die Mitte der Gesellschaft an diesem Abend stand oder einfach nur die Unentschlossenen ihren Zuschauerplatz suchten
3) vor der Oper bei der Partei die Linke, die ja ebenfalls und nochmal durch ein Gitter getrennt zu einer Kundgebung geladen hatte und wo diese Botschaft prangte: "Es gibt keine Solidarität von Rechts".
Dass die "Mitte der Gesellschaft" (2) freilich seit Jahren von einer "korrupten Regierung" (1) entdemokratisiert wird, scheint dem Autor schlichtweg entgangen zu sein, da hilft dann auch die abgelehnte "Solidarität von Rechts" (3) nicht mehr viel, doch wie heißt es so schön im deutschen Haltungsjournalismus:
"Erst kommt die Moral und dann das Fressen!"
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