Im Interview mit der Bild äußert sich Außenministerin Annalena Baerbock enthusiastisch zu den aktuellen deutschen Waffenlieferungen, sie meint:
"Wir liefern schwere Waffen. Und ich verstehe, dass sich die Ukrainer mehr und schnellere Lieferungen wünschen. Aber funktionierende, hochmoderne Systeme, die gerade vor allem gebraucht werden, stehen nicht massenhaft transportfähig in unseren Beständen. Und zugleich haben wir unseren Bündnispartnern, zum Beispiel im Baltikum, versprochen, dass wir jeden Zipfel des NATO-Gebiets mitverteidigen würden. Für diesen Fall muss die Bundeswehr handlungsfähig sein. Daher liefern wir mit anderen zusammen, was gerade geht, und haben vor allem zusätzliche Rüstungsproduktion in Auftrag gegeben."
Dabei spielen deutsche Waffenhersteller eine entscheidende Rolle, um die "westlichen Werte" zu verteidigen:
"(...) Darum produziert ja jetzt die Rüstungsindustrie direkt für die Ukraine. Natürlich würde ich mir wünschen, dass der Krieg schnellstmöglich vorbei ist, aber wir müssen leider davon ausgehen, dass die Ukraine auch im nächsten Sommer noch neue schwere Waffen von ihren Freunden braucht. Für mich ist klar: Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Friedensordnung und wir unterstützen sie finanziell und militärisch – und zwar solange es nötig ist. Punkt."
Eine mögliche "Kriegsmüdigkeit" der Deutschen sieht Baerbock nicht, sie vernimmt "weiterhin unglaublich viel Unterstützung für die Ukraine". Gleichzeitig meint sie, dass die "soziale Spaltung Europas" zur "Kriegsführung" des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehöre – die hohen Energiepreise würden dazu beitragen. Mit Blick auf die jahrzehntelangen Energielieferungen aus Russland fordert sie jedoch ein striktes Umdenken und betont:
"Als Erstes müssen wir mit dem Selbstbetrug aufräumen, wir hätten jemals billiges Gas aus Russland erhalten. Wir haben vielleicht nicht mit viel Geld bezahlt, aber mit unserer Sicherheit und Unabhängigkeit. Und die Ukrainer haben das tausendfach mit ihrem Leben bezahlt. Die Rechnung kam spät, aber umso dramatischer."
Auf die Frage: "Wenn Putin Nord Stream 1 ganz dichtmachen würde, sollten wir dann Nord Stream 2 öffnen – so wie es Bundestagsvizepräsident Kubicki fordert?", erwidert die 41-Jährige:
"Ich frage mich manchmal, ob einige nicht verstanden haben, dass das kein Spiel mit Regeln ist und kein plötzlicher Lieferengpass. Die Gaspipelines aus Russland sind schon lange keine normalen Leitungen mehr, sondern Waffen in einem hybriden Krieg. Wenn Putin nicht durch Nord Stream 1 liefert, warum sollte er durch Nord Stream 2 liefern? Durch Nord Stream 1 fließt doch nicht zu wenig Gas, weil die Leitung kaputt wäre, sondern weil Putin es nicht will."
Mit Blick auf die Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke Ende des Jahres ist Baerbock"nicht überzeugt, dass Atomkraftwerke unser Gasproblem lösen werden". Dass die hohen Energiekosten zu sozialen Protesten führen können, sieht Baerbock zwar auch, doch bringt sie deren Initiatoren – linke und rechte Parteien – in die Nähe zu Moskau, und das sollten die Menschen auch erkennen. Sie resümiert:
"Ich glaube, dass die Menschen in unserem Land sehr genau durchschauen, wer da versucht, politisches Kapital aus dem Krieg und den hohen Energiepreisen zu schlagen. Politiker und Parteien, die sich so für Putins Spiel einspannen lassen, sollten sich erinnern, was für ein Glück es ist, dass wir in einem demokratischen Land leben, in dem freie Meinungsäußerung und auch Proteste möglich sind."
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