"Pattex-Proteste" geraten in Fokus der Justiz – allein in Berlin mehr als 65 Strafverfahren

Die Radikalität der selbsternannten Klimaschützer, welche sich "Letzte Generation" nennen, generiert – wie wohl erwünscht – einige Aufmerksamkeit. Allerdings mehrt sich Kritik an ihrer anmaßenden Haltung. Auch von der Justiz erhalten sie nun einschlägige Aufmerksamkeit.

Nicht in Massen wie bei Fridays for Future, aber dafür umso radikaler begannen einige junge Menschen, die sich "Letzte Generation" nennen, im vergangenen Jahr mit einem Hungerprotest, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Bekannt wurden sie vor allem durch ihre Klebeaktionen auf Straßen oder in Museen und anderswo. So haben sie bundesweit bis zum Juli bereits hunderte Male Straßen blockiert, wie eine Umfrage der Welt am Sonntag bei Polizeibehörden der Bundesländer ergab. Berlin meldete demnach 149 Blockaden, Hessen 34, Baden-Württemberg 17, Bayern 8, Sachsen 5, Brandenburg 4, Nordrhein-Westfalen und Bremen je 3. Hamburg meldete sogar 213 "Aktionen" der Gruppe, worunter allerdings auch weniger klebrige Versammlungen fallen.

Wie viele Tuben Sekundenkleber seitens der Aktivisten oder Öl und Lösungsmittel seitens der Polizei verbraucht wurden, ist derzeit nicht bekannt. Auch nicht die Folgen für alle jene, die so im Verkehr aufgehalten wurden. Häufig nehmen die Aktionen, sich mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn zu kleben, nicht die geringste Rücksicht darauf, dass im somit bewusst inszenierten Chaos womöglich gerade jemand einen dringenden Arzttermin oder noch Wichtigeres verpasst. Sie sehen auch nicht die Widersprüchlichkeit ihrer Argumente, mit denen sie angeblich auf die Wissenschaft verweisen.

Zwar mangelt es nicht an Szenarien für die Zukunft unserer Erde, welche die zahlreichen sich bereits real abspielenden Katastrophen noch weit übertreffen. Solche zeigten unlängst Forscher des Cambridge Centre for the Study of Existential Risk, falls sich nämlich die Atmosphäre um noch ein Grad mehr als bisher befürchtet aufheizen würde. Laut Chi Xu von der Nanjing University könnten demnach bis 2070 extrem hohe Temperaturen eintreten, in deren Folgen zwei Atommächte und sieben Containment-Labore mit hochgefährlichen Krankheitserregern betroffen sein. Sie verweisen außerdem auf drohende Hungersnöte, Kriege und Infektionskrankheiten, deren Erreger beispielsweise durch sich weiter ausbreitende tropische Arten von Mücken, Zecken und anderen Wirtstieren übertragen werden könnten.

Was auch immer von solchen Katastrophenszenarien und den Möglichkeiten zur Vermeidung zu halten ist – es gibt keinerlei Konsens darüber, dass alternativlos "der Individualverkehr" zu stoppen sei, um einen Klimawandel aufzuhalten. Auch nicht "die Kunst" oder "Fußballspiele" – unlängst hatten sich Aktivisten auch an Torpfosten geklebt.

Hauptanliegen scheint die erregte Aufmerksamkeit zu sein. Und die erntet die Gruppierung nun zunehmend vonseiten der Justiz. Allein in Berlin wurden 310 Männer und Frauen vorläufig in Gewahrsam genommen und nun 67 Strafverfahren gegen Beteiligte eingeleitet.

Nach Angaben des Gerichts Berlin-Tiergarten, das laut rbb in 66 Fällen bereits Strafen für Straßenblockierer ausgesprochen hat, wurden diese Strafbefehle ohne mündliche Verhandlung erlassen. In 24 Verfahren kommt es aber sogar zum Prozess, weil die Betroffenen mittlerweile Einspruch eingelegt haben. Die Staatsanwaltschaft hatte jeweils beantragt, Geldstrafen auszusprechen – überwiegend wegen Nötigung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.

Auch Frankfurt hat Anzeige erstattet, nachdem die Aktivisten sich am Mittwoch in dem Kunstmuseum an ein Gemälde klebten, das nach ihrer Interpretation symbolisch für den zerstörerischen Kurs der aktuell praktizierten Politik stehe. Am Dienstag war es der Rahmen von Raffaels "Sixtinischer Madonna" in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, der offenbar doch irgendwie ursächlich mit dem Klimanotstand zusammenhängen soll. Kurzzeitig hing er jedenfalls mit jeweils einer Hand von zwei Aktivisten zusammen. Auch in dem Fall traf es nicht die Verursacher sondern Kunstinteressierte, die wegen der zeitweisen Schließung des Museums umkehren mussten. Auch dort laufen nun die Ermittlungen.

Zwar erhält laut einem Bericht von Spiegel Online die Gruppierung auch von unerwarteter Seite teils Zuspruch, jedoch gibt es auch Kritik von anderen, die ebenfalls für mehr Klima- und Umweltschutz eintreten. Und in Zeitungen häufen sich die Kommentare, in denen vor allem die Selbstgerechtigkeit der Beteiligten kritisiert wird.

So schrieb die Nürnberger Zeitung in der vergangenen Woche:

"Dass man mit solchen Aktionen, wie gestern in Nürnberg, Menschen im übertragenen Sinne in Geiselhaft nimmt, wird billigend in Kauf genommen, schließlich wird das eigene Handeln als übergeordnet wichtig wahrgenommen."

Im Juli hieß es in der Zeitung Rheinpfalz mit Verweis auf hierzulande zahlreiche legale Formen des Protestes:

"Doch der Protest kippt in Selbstjustiz, wenn rechtswidrige Mittel angewendet werden. Wenn die 'Letzte Generation' die Bürger von ihren Anliegen überzeugen will, verspielt sie mit solchen Nötigungen jede Chance auf Verständigung."

Mit Ausblick auf die von der Gruppe angekündigte Sommerpause hieß es dort:
"Vielleicht nutzen ja einige die Sommerpause, um über ihre anmaßende Haltung nachzudenken."

Das erklärte Ziel der Aktivisten ist es jedoch, durch Mittel des zivilen Ungehorsams Maßnahmen der deutschen und der österreichischen Bundesregierung gegen die Klimakrise zu erzwingen. Dagegen forderte der CDU-Generalsekretär Mario Czaja bereits im Juli in der Welt am Sonntag ein vorbeugendes Durchgreifen gegen die Demonstranten. "Genau wie Hooligans sollten auch Blockierer schon vor angekündigten Aktionen konsequent und so lange wie möglich präventiv in Gewahrsam genommen werden."

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