Eine Analyse von Bernhard Loyen
Am 16. August präsentierte Ferda Ataman, die frisch gekürte Beauftragte der Bundesregierung für Antidiskriminierung, den Jahresbericht ihrer betreuten Behörde. Diese war nach Angaben des zuständigen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Jahr 2020 mit 31 Stellen besetzt. Das steuergeldfinanzierte Budget der Antidiskriminierungsstelle des Bundes belief sich im genannten Jahr auf beeindruckende 4.749.000 Euro.
Laut den nun veröffentlichten Zahlen befänden sich in Deutschland die "Diskriminierungsfälle weiter auf hohem Niveau", so die Darlegungen auf der Webseite der Bundesregierung. Bei weiterhin stabilen 83,24 Millionen Einwohner wurden den 31 Mitarbeitern demnach insgesamt 5.617 Fälle gemeldet. Diese Zahl spiegelt aber laut der Wahrnehmung der Bundesregierung und Frau Atamans nicht die Realität im Land wider, entspricht also nicht der Wahrheit. Die Antidiskriminierungsbeauftragte verwies bei der Vorstellung des Berichts in Berlin "auf repräsentative Erhebungen, wonach 16 Prozent der Befragten in den vergangenen fünf Jahren Diskriminierung erlebt hätten", so der Spiegel in einem Artikel, um darzulegen:
"Ataman sprach von hochgerechnet 13 Millionen betroffenen Menschen."
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet "Benachteiligung und Belästigung aus verschiedenen Gründen". Dabei wird unterschieden nach den sechs "Diskriminierungsmerkmalen". Die offizielle, nicht "hochgerechnete" Statistik zeigt für das Jahr 2021 nun folgende Erhebungen, bei der prozentualen Verteilung der 5.617 akzeptierten Fälle:
- Ethnische Herkunft oder rassistische Gründe (2021: 37 Prozent)
- Geschlecht (2021: 20 Prozent)
- Religion oder Weltanschauung (2021: 6 Prozent Religion, 3 Prozent Weltanschauung)
- Behinderung (2021: 32 Prozent)
- Alter (2021: 10 Prozent)
- Sexuelle Identität (2021: 4 Prozent)
Hunderttausende, wenn nicht Millionen Bürger in diesem Land, erlebten nachweislich in den zurückliegenden zwei Jahren individuelle persönliche Einschränkungen im Alltagsleben. Radikale Einschnitte in der Biografie, die je nach Wahrnehmung auch als eindeutige Diskriminierungen verstanden und auch akzeptiert werden sollten. Diese Einschränkungen beziehen sich auf die von der Politik ausgehenden Verordnungen der 2G- und 3G-Regelungen und Maßnahmen. Hinzu kommt die gesellschaftliche Ausgrenzung ausgehend vom Impfstatus. Konnte hier nur das theoretische Diskriminierungsmerkmal "Weltanschauung" als einzige vorgegebene Definitionsalternative greifen?
"In welchen Situationen kommt es zu Diskriminierung?", wird auf der Webseite der Bundesregierung Frau Ataman stellvertretend gefragt. Die Darlegungen lauten unter anderem:
"Situationen, denen Menschen in ihrem Alltag begegnen, bilden das zentrale Umfeld für Diskriminierungserfahrungen. Hierunter fallen beispielsweise Benachteiligungen bei der Wohnungssuche, beim täglichen Einkauf, bei Versicherungs- und Bankgeschäften oder beim Besuch eines Restaurants.
Diskriminierungserfahrung im Arbeitsleben machen 28 Prozent aller Anfragen aus. Darüber hinaus treten auch immer mehr Fälle in anderen Lebensbereichen auf, die nicht oder nur teilweise vom AGG geschützt sind ..."
Auch im "Bildungsbereich, in den sozialen Medien oder im öffentlichen Raum wurden regelmäßig Benachteiligungen, diskriminierende Beleidigungen bis hin zu Gewalt erlebt und geschildert", so Ataman weiter in ihrer Antwort. Entsprechen diese Darlegungen den Erfahrungsmomenten betroffener Bürger hinsichtlich der 2G- und 3G-Regelungen oder bezüglich ihres Impfstatus – Stichwort: "Einrichtungsbezogene Impfpflicht"? Dazu heißt es in einem ersten Hinweis auf Seite 44 des AGG-Jahresberichts:
"Als zweite Entwicklung ist 2021 der Anteil von AGG-Beratungsfällen im Zusammenhang mit der Coronakrise absolut und relativ zurückgegangen: Während hier 2020 vor allem Fragen zum Mund-Nasen-Schutz im Vordergrund standen, die aufgrund ihres Bezugs zum Merkmal Behinderung als AGG-Fälle zu zählen sind, kamen im Berichtszeitraum vor allem Anfragen im Zusammenhang mit Impf- und Testungsregelungen hinzu, die keinen Bezug zu einem im AGG geschützten Diskriminierungsgrund aufweisen."
Impf- und Testregelungen, ein gesellschaftlicher Ausschluss durch 2G- und 3G-Regelungen, stellen also in der Wahrnehmung der Bundesregierung und der von Frau Ataman "keinen Bezug zu einem im AGG geschützten Diskriminierungsgrund" her? Beeindruckend, wenn nicht sogar schockierend, wirdrelativiert, denn laut der Veröffentlichung …
"... bleibt die Bewertung der AGG-Anfragen mit Corona-Bezug schwierig, da es immer vom Einzelfall abhängt, ob im rechtlichen Sinne eine Diskriminierung vorliegt."
Auf Seite 48 wird aufgeklärt: "Über 900 Mal" hätten sich Menschen im Berichtsjahr an die Beratung der Antidiskriminierungsstelle gewandt, "weil sie sich durch 2G- und 3G-Regelungen diskriminiert gefühlt haben". Insbesondere sei der "zivilrechtliche Bereich" betroffen gewesen, da "Menschen der Zugang zu Geschäften, Sportanlagen oder zum Theater verwehrt blieb". Und nun? Es folgt die unmittelbare Ergänzung:
"Der Impfstatus als solcher ist jedoch keine nach dem AGG geschützte Eigenschaft."
Die Begründung für diese beeindruckende Wahrnehmung lautet auf der gleichen Seite:
"Im Zusammenhang mit 2G- und 3G-Regelungen greift der Diskriminierungsschutz des AGG nur dann, wenn eine Impfung aus zwingenden medizinischen Gründen nicht möglich ist und dies im Zusammenhang mit einem der sechs AGG-Merkmale steht."
Der Impfstatus X, natürlich auch der ungeimpfte Bürger, ist also schriftlich verbrieft keine "Eigenschaft", für die der individuelle Bürger nachweislich in diesem Land diskriminiert wurde und wird. Ein Testergebnis X bedingt nicht das Momentum einer millionenfach belegten Gefahr der gesellschaftlichen Ausgrenzung und damit einer nachweislichen Diskriminierung? Auf Seite 49 werden die doch zum Teil überraschenden, wie auch irritierenden "zwingenden medizinischen Gründe", also Ausnahmewahrnehmungen, genannt:
"Kinder (Merkmal: Alter), für die es noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt, in Bezug auf Menschen mit Erfahrungen mit Vorerkrankungen (Behinderung und chronische Krankheiten), für die eine Impfung aufgrund entweder vorhandener oder fehlender Daten zu den Auswirkungen einer Impfung zu risikoreich ist und – aus denselben Gründen – in Bezug auf eine Schwangerschaft (Geschlecht)."
Also, nur wenn ein Impfstoff noch "nicht zugelassen" ist, gibt es Hoffnung auf eine Anerkennung als Diskriminierung, demgegenüber gilt die Argumentation, also die bewusste Entscheidung der Eltern, gegen eine Kinderimpfung nicht? Greift die "Akzeptanz" einer Diskriminierung bezüglich des Ausschlusses aus der Gesellschaft nur bei "Menschen mit Vorerkrankungen, Behinderung und chronischen Krankheiten", wenn "eine Impfung aufgrund entweder vorhandener oder fehlender Daten zu den Auswirkungen nicht möglich ist und dies im Zusammenhang mit einem der sechs AGG-Merkmale" steht?
Es bestünde "grundsätzlich" die Chance auf "Ausnahmen", wenn "diese aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sind und beispielsweise der Schutz von Beschäftigten oder anderen Kund*innen vorrangig ist" (Seite 49). Auf Seite 50 wird erneut konkret definiert, wie die Situation der rund zwanzig Millionen ungeimpften Menschen in Deutschland seitens der Beauftragten der Bundesregierung für Antidiskriminierung gesehen wird:
"Eindeutig kein Diskriminierungsschutz nach dem AGG besteht hingegen, wenn sich Menschen aus persönlichen Gründen gegen die Impfung entscheiden."
Viele Menschen würden "in der Tat" diese Entscheidung zwar "mit politischen oder ideologischen Überzeugungen" begründen, was "allenfalls dem AGG-Merkmal Weltanschauung zugeordnet werden könnte", jedoch, so die eindeutig wertende und rein politisch motivierte Einschränkung inklusive Fallbeispiel:
"Der Schutz der Weltanschauung durch das AGG beschränkt sich allerdings ausdrücklich auf das Arbeitsleben. Überdies hat die Rechtsprechung klargestellt, dass sich dieser Schutzgrund ausschließlich auf ganzheitliche Einstellungen erstreckt, die das gesamte Weltbild einer Person prägen – Ansichten oder Überzeugungen zu einzelnen gesellschaftlichen Themen gehören nicht dazu."
Genau diese vordefinierte Arroganz der Macht könnte ein wesentlicher Grund dafür sein, warum sich im Jahr 2021 nur noch knapp 1000 Bürger im guten Glauben an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewandt haben. Das Wissen, in seiner individuell wahrgenommenen Diskriminierung entweder nicht ernst genommen zu werden, oder über die politische Vordefinition aus dem Raster zu fallen, könnte ein Problem sein.
Der vermeintlich benötigte wichtige Hinweis im Jahresbericht "in Bezug auf eine Schwangerschaft (Geschlecht)" oder in Bezug auf eine wahrgenommene "Tagessexualität" des/der/des Betroffenen am Beratungstisch der Behörde zeigt, mit welchen großen Schritten und in beeindruckendem Tempo sich die Bundespolitik, die politisch Verantwortlichen und ihre Helfershelfer in diesem Land mental und inhaltlich von einem Großteil der Bevölkerung abgewendet haben und reale Sorgen und Nöte der Menschen bewusst negieren.
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