Bisherige Klagen gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Corona-Impfungen sind bekanntermaßen gescheitert. Der Schutz sogenannter "vulnerabler Gruppen" wiege verfassungsrechtlich schwerer als die Beeinträchtigung der Grundrechte für Beschäftigte im Pflege- und Gesundheitsbereich, so die Argumentation aus Karlsruhe.
Auch die weitere Entwicklung der Pandemie sei kein Grund, von der Beurteilung abzuweichen, da sich "die Zusammensetzung der Risikogruppen und ihre grundsätzlich höhere Gefährdung aber nicht verändert habe". Die Nachweispflicht gilt zwar noch bis zum 31. Dezember, doch die Bundesregierung prüft bereits, ob sie diese Pflicht verlängert. Doch nun wagt der Berliner Anwalt Justus Hoffmann einen neuen Vorstoß zur Klage gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht, bei dem er die bisherige Argumentation des Bundesverfassungsgerichts mit einbeziehen will.
Seine Kanzlei in Berlin-Tempelhof vertritt Mandanten, die in Branchen arbeiten, in welchen sie eine Corona-Impfung nachweisen müssen. Darunter befinden sich Pflegekräfte, Ärzte, Therapeuten, Feuerwehrleute und Sanitäter, aber auch Hausmeister und Mitarbeiter der Verwaltung im Gesundheitswesen. Per Unterschriftenliste haben sich zudem 1.200 Unterstützer zu der Beschwerde bekannt, die in etwa sechs Wochen in Karlsruhe eingereicht werden soll.
In einem Interview mit der Berliner Zeitung erläutert Hoffmann seine Argumentation: Diese stellt auf den Artikel 1 des Grundgesetzes ab. Laut diesem sei bekanntlich die Würde des Menschen unantastbar. Das Bundesverfassungsgericht habe immerhin "anerkannt, dass Impfungen gegen Corona schwere, eventuell tödliche Nebenwirkungen haben können". Die Richter erklärten jedoch auch, dass hierbei der Schutz vulnerabler Personen mögliche Impfschäden überwiege. Dies jedoch komme einem Bruch in der Geschichte des Grundgesetzes gleich, so die neue Argumentation:
"Bisher herrschte der Tenor vor, dass Artikel 1 es kategorisch verbietet, Leben gegen Leben abzuwägen."
Das am häufigsten zitierte Urteil in diesem Kontext ist jenes zum Luftsicherheitsgesetz aus dem Jahr 2007. Beim dazugehörigen drastischen Gedankenexperiment geht es darum, dass eine Passagiermaschine gekapert wird und auf ein voll besetztes Fußballstadion zusteuert. Die Bundeswehr schickt Abfangjäger in den Himmel. Die Frage lautet nun: Darf die Bundeswehr das Flugzeug abschießen? Damals lautete die Antwort aus Karlsruhe ganz klar: Nein. In diesem Fall würde die Staatsgewalt sonst aktiv bestimmen, welche Menschen sterben müssen, ob also die Flugzeugpassagiere oder die Stadionbesucher sterben müssen.
Hoffmann erklärte, dass das Kartenhaus schnell in sich zusammenfällt, wenn man sich anschaut, wie sich die einrichtungsbezogene Impfnachweispflicht mit der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz verträgt.
"Der Staat darf nicht zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben unterscheiden. Er darf Menschen, die nichts verbrochen haben, nicht wie Verbrecher behandeln. Wie etwa einen Geiselnehmer, den er erschießen darf, um das Leben der Geisel zu retten."
Ein anderer Teil der Argumentation betrifft die Frage, ob und wann Eingriffe in die Grundrechte angemessen sind und wer eigentlich darüber entscheiden darf. So kam der Abschlussbericht der Evaluierungskommission zu den Corona-Maßnahmen zu dem Schluss, dass der Staat Maßnahmen ergriffen hätte, ohne zu wissen, inwiefern sie wirken oder nicht. Denn die dafür erforderlichen Daten seien nicht erhoben worden. "Wenn wir nicht beurteilen können, ob Lockdown, Maskenpflicht oder Abstandsgebote wirken, ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, noch schwerwiegender in Grundrechte einzugreifen. Etwa durch eine einrichtungsbezogene Impfnachweispflicht, die Menschen daran hindern kann, ihren Beruf auszuüben", so die Argumentation Hoffmanns.
Hoffmann erklärte, dass er kein vehementer Impfgegner sei. Anders als ihm vorgeworfen wird, liege ihm der Rechtsstaat am Herzen. Für ihn sei es jedoch ein Problem, dass das Solidarprinzip in der Corona-Krise "pervertiert" werde, denn was erlaubt und verboten sei, hänge davon ab, ob man für die Solidargemeinschaft zur Belastung werde.
Im Bericht der Berliner Zeitung wird jedoch auch erklärt, man müsse beachten, dass Hoffmann Mitglied im umstrittenen "Corona-Ausschuss" ist oder zumindest war. Diesem Ausschuss wird vorgeworfen, angebliche Falschinformationen über COVID-19 und Corona-Impfungen zu verbreiten.
Hoffmann erklärte unterdessen, dass die Beschwerde jedoch "über eine psychologische Ebene initialisiert wurde". Einer seiner Mandanten berichtet, dass sich die Betroffenen vielfach "ausgeschlossen, abgelehnt, nicht ernst genommen und zum Objekt degradiert" fühlen. Dabei komme es auch zu "Angststörungen, Depressionen, Somatisierungsstörungen, selten auch zu posttraumatischen Belastungsstörungen und damit verbundenen Arbeitsunfähigkeitszeiten". Es sei daher fraglich, was ein Gesetz nütze, das krank mache.
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