Özdemir will Umweltauflagen für Bauern nicht senken – trotz drohender Lebensmittelknappheit

Bundesagrarminister Cem Özdemir hat die Pläne der EU-Kommission, die derzeit geltenden strengen Umweltauflagen für Landwirte angesichts der drohenden Getreidekrise vorübergehend auszusetzen, stark kritisiert. Die deutschen Bauern warnte er indes vor "ähnlich radikalen" Bauernprotesten wie in den Niederlanden. Dazu gäbe es keinen Grund.

Die EU-Kommission will vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Getreidekriese vorübergehend die derzeit geltenden Umweltauflagen für Landwirte lockern, um die Getreideproduktion zu steigern. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) sind die Pläne allerdings ein Dorn im Auge. Er könne Umweltauflagen nur dann lockern, wenn er an anderer Stelle verschärfe, sagte Özdemir der Neuen Osnabrücker Zeitung

Mit der geplanten Lockerung entziehe sich die Kommission lediglich dem wachsenden Missmut der Landwirte und verlagere die Verantwortung auf die Mitgliedsstaaten, kritisierte der Grünen-Politiker mit Blick auf die wachsende Protestbewegung der Bauern. "Anstatt selber die Verantwortung für eine nachhaltige Agrarpolitik zu übernehmen, schiebt die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten vors Loch." Die Umweltauflagen könne er nur dann lockern, so Özdemir weiter, wenn er an anderer Stelle verschärfe. Das müsse er nun genau prüfen.

Den vielfach geforderten Komplettverzicht auf die geplante Stilllegung von vier Prozent Ackerfläche sieht der Landwirtschaftsminister deshalb weiterhin skeptisch. Es gebe "deutlich größere Hebel, die Brüssel aber leider nicht gezogen hat", bemängelte Özdemir. Allein in Deutschland würden rund 14 Prozent der verfügbaren Ackerflächen für den Anbau von Pflanzen genutzt, die später in der Biosprit-Produktion verwendet würden. "Es gibt gerade keinen guten Grund für Getreide im Tank. Das muss runtergefahren werden", forderte er.

Daneben könne eine maßvolle Reduzierung der Tierbestände in Deutschland dazu führen, dass "wir nicht mehr auf 60 Prozent der Anbaufläche für Getreide Futtermittel anbauen" müssten. Global gesehen könne ein möglicher Ausfall der Ukraine als Getreidelieferant allein dadurch mehrfach kompensiert werden. Auch dazu erwarte er Vorschläge von der EU-Kommission, so der Minister. 

Hintergrund ist ein Strategieplan der EU-Kommission zur Erhaltung der Tier- und Pflanzenwelt. Dieser sieht mit der sogenannten Fruchtfolgeregel unter anderem vor, dass Landwirte ab 2023 vier Prozent ihrer Ackerfläche stilllegen müssen. Bereits im März hatte die EU-Kommission die Fruchtfolgeregel für das Jahr 2022 angesichts des durch den Ukraine-Krieg verursachten Mangels an russischem und ukrainischem Getreide "vorübergehend" ausgesetzt. Die Ausnahme ermöglicht es Landwirten, auf eigentlich brachliegenden Flächen "Kulturpflanzen zu Ernährungszwecken" anzubauen. 

Bei den europäischen Landwirten sorgen die nun vorläufig ausgesetzte Regelung und andere Vorschriften im Rahmen des sogenannten "Green Deal" der EU dennoch weiterhin für großen Unmut. In den Niederlanden brachten von der EU forcierte Änderungen in der Stickstoffpolitik das Fass für viele Landwirte kürzlich endgültig zum Überlaufen. Landesweit soll der Stickstoffaustoß nach dem Plan der Regierung bis 2030 um durchschnittlich 50 Prozent reduziert werden, bei Naturgebieten sogar um mehr als 70 Prozent. Die Auflagen können nach Berechnungen der Regierung das Aus für etwa 30 Prozent der Tierzüchter bedeuten. Landwirte blockierten aus Protest dagegen etwa mit Treckern mehrere Autobahnen, sodass es zu mehreren Hundert Kilometern Stau kam.

Özdemir: Es gibt keinen Grund zu demonstrieren

Auch den deutschen Landwirten geben die Stickstoffpläne der Niederlande einen Vorgeschmack darauf, was ihnen künftig zusätzlich an existenzbedrohenden Vorschriften und Auflagen droht. Die wachsende Wut der deutschen Landwirte könne Özdemir jedoch nicht nachvollziehen. Stattdessen warnte der Umweltminister die Bauern mit Blick auf die ausufernde Protestbewegung in den Niederlanden vor ähnlichen Aktionen in Deutschland. Es gäbe keinen Grund für ähnlich radikale Bauernproteste wie in den Niederlanden, mahnte der Grünen-Politiker. Die Ausgangslagen in beiden Ländern seien nicht vergleichbar. Die niederländischen Betriebe sollten ihre Emissionen um bis zu 95 Prozent reduzieren, während es in Deutschland hingegen lediglich um moderatere Einschränkungen beim Düngen gehe.

"Es ist ja nicht so, dass es ein Düngeverbot geben wird. Die Bauern können ja weiter düngen, aber so, dass wir insgesamt von der zu hohen Nitratbelastung runterkommen", erklärte Özdemir weiter. In Deutschland hatte der Bundesrat Anfang Juli strengere Grenzwerte für die Ausbringungen von Dünger beschlossen und gleichzeitig die von der Regelung erfassten Flächen ausgeweitet. Die Landwirte hatten daraufhin kritisiert, dass die Ausweisung der betroffenen Gebiete auf einem zu grobmaschigen Netz beruhe. Özdemir entgegnete, er müsse nun lediglich Dinge umsetzen, die in der Vergangenheit versäumt worden seien. "Dazu gehört auch: die Länder zum Ausbau eines dichteren Messnetzes bringen."

Bauern wollen dennoch protestieren 

Die ausufernde EU-Agar- und Umweltpolitik bedroht zunehmend die Existenz der Landwirte – auch in Deutschland. Unter dem Vorwand des Umweltschutzes werden den Bauern nicht mehr einzuhaltende Vorschriften auferlegt, die nicht nur dazu führen, dass die Erzeugung von Lebensmitteln unwirtschaftlich wird, sondern teils auch gar nicht mehr möglich ist. So führen die überbordenden Vorschriften nicht nur immer häufiger zu Verzweiflung bei den Landwirten, sondern auch zu einem wachsenden Widerstand innerhalb der Berufsgruppe.

Özdemirs Warnung dürfte die Landwirte allerdings kalt lassen. Denn angesichts des auch hierzulande drohenden Verlusts ihrer Existenzgrundlage rufen die deutschen Bauernverbände auch weiterhin dazu auf, die Protestaktion ihrer niederländischen Kollegen zu unterstützen. Unter anderem warnten die Vorstandsmitglieder von Land schafft Verbindung (LSV) Bayern, Rainer Seidl und Claus Hochrein, in einer Pressemitteilung, dass die EU-Auflagen "früher oder später" auch in Deutschland zu einer vergleichbaren Lage führen wie der, in der sich derzeit die Landwirte in den Niederlanden befinden.

"Angesichts dieser Aussichten müssten eigentlich nicht nur abertausende Schlepper hupend in Berlin und Brüssel stehen, sondern auch hunderttausende Bürgerinnen und Bürger, um für ihre sichere Ernährung zu kämpfen."

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