Weiterer grober Fehler bei NSU-Aufarbeitung: LKA Bayern hat tausende Datensätze verloren

Im Rahmen der andauernden Ermittlungen zur NSU-Mordserie gilt eigentlich ein Löschmoratorium für Daten - doch das LKA Bayern hat nun festgestellt, dass es im letzten Herbst Datensätze zu 29.000 Personen verloren hat. Ein weiteres "Versehen” in der Aufklärung zur Terrorzelle NSU.

Elf Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund” (NSU) beschäftigt sich im bayerischen Landtag seit Mai ein zweiter Untersuchungsausschuss mit der rassistischen NSU-Mordserie und deren Hintergründen.

Die Neonazi-Terrorzelle NSU - Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt - war über Jahre mordend durch Deutschland gezogen. Ihre Opfer waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Mundlos und Böhnhardt verübten zudem zwei Bombenanschläge mit Dutzenden Verletzten. Die beiden töteten sich 2011, um ihrer drohenden Festnahme zu entgehen.

Gerichtlich aufgearbeitet wurde die Mord- und Anschlagsserie mehr als fünf Jahre lang vor dem Münchner Oberlandesgericht. Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, wurde am Ende des Mammutverfahrens im Juli 2018 als Mittäterin zu lebenslanger Haft verurteilt.

Trotz zahlreicher Untersuchungsausschüsse sind nach wie vor zahlreiche Fragen offen, insbesondere auch zu möglichen weiteren Hintermännern und Unterstützern der NSU-Terroristen. Erklärtes Ziel ist des Untersuchungsausschusses in Bayern ist es unter anderem, mögliche Verbindungen des NSU zur bayerischen Neonazi-Szene aufzuklären. Außerdem sollen offene Fragen aufgearbeitet werden, die Fehler bei den Ermittlungen gegen die Mitglieder der Terrorzelle betreffen. An dieser Stelle scheint aktuell allerdings eher ein neuer Punkt hinzugekommen zu sein:

Bei der sechsten Sitzung des Ausschusses am Donnerstag hat der Präsident des bayerischen Landeskriminalamts, Harald Pickert, als Zeuge zunächst eine Entschuldigung vorgetragen, weil ein misslicher Umstand vorliege - nämlich seien Datensätze zu rund 29.000 Personen irgendwie gelöscht worden, bei einem Software-Update im vergangenen Oktober.

Davon steht mindestens eine der Personen im Fokus der Untersuchungen, wie der BR berichtet. Leider sei die Nachricht über den Fehler im LKA intern damals nicht weitergegeben worden. Aufgefallen sei es erst jetzt durch eine Daten-Anfrage des Untersuchungsausschusses. Laut Pickert sei dieser unbeabsichtigte Verlust aber nur halb so dramatisch:

"Ich gehe davon aus, dass die für Ihre Arbeit relevanten Informationen noch vorhanden sind."

Dabei gibt es wegen der anhaltenden NSU-Ermittlungen ein Löschmoratorium. Daten im Zusammenhang mit Ermittlungen dürfen also nicht gelöscht werden. Der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bayerischen Landtag, verwies auf den Missstand, dass trotz eines bestehenden Löschmoratoriums 565.000 Datensätze zu 29.000 Personen gelöscht worden sind.

Da es bei dem Ausschuss um die Frage nach Mittätern geht und mindestens eine der Personen hier im Fokus stand, könnten relevante Hinweise auf weitere Unterstützer der Terrorzelle somit verloren sein. Für den Juristen ist dies ein "krasser Fall von Schlamperei und Chaos im LKA".

Auch wenn Daten möglicherweise rekonstruierbar seien, ist laut Schuberl aufgrund der bisherigen Umstände bei den Ermittlungen, inklusiver früherer mysteriöser Datenlöschungen, ein gutes Maß an Skepsis angebracht.

"In dem Komplex gab es bereits zu viele Zufälle. Da gebietet es, misstrauisch zu sein."

Beispielsweise hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz Akten zum Einsatz eines V-Manns in Thüringen gelöscht.

Matthias Fischbach von der FDP zeigte sich ebenfalls empört über die erneute Panne bei dem "hochsensiblen Thema". Fischbach sagte:

"Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss sollte eigentlich gerade das Ziel verfolgen, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen ... Dass die nun dargestellte Löschung kurz nach Bekanntwerden der Planung dieses Untersuchungsausschusses erfolgte, ist deshalb besonders heikel."

Auch der sicherheitspolitische Sprecher der AfD im Landtag, Richard Graupner, sieht in dem Vorfall einen weiteren "Skandal in einer langen Reihe von Unzulänglichkeiten und Ungereimtheiten". Die Aufklärung des NSU-Komplexes werde so im Untersuchungsausschuss weiter erschwert. Graupner kommentierte:

"Das Vertrauen der Bürger in die Sicherheitsbehörden wird durch derartige Vorfälle erschüttert. Angesichts diverser Fälle von Daten- und Aktenvernichtungen glauben viele Beobachter kaum noch an Zufall."

Vertreter der CSU hingegen sehen den erneuten Datenverlust offenbar vergleichsweise entspannt, da laut Pickert wahrscheinlich - aber "nicht einhundertprozentig" - alles, was gelöscht wurde, wohl wieder rekonstruierbar sei. CSU und Freie Wähler lobten gar die Transparenz des Landeskriminalamts und den Umgang mit dem Versehen.

Josef Schmid (CSU) sieht das Ganze als "noch weniger schlimm" als in einem ersten nichtöffentlichen Bericht des LKA-Präsidenten, während Norbert Dünkel (CSU) sogar die Genauigkeit der Opposition als das Problem darstellte: "Wir sind ja hier nicht der Häkchen-Ausschuss." Man solle wieder zur inhaltlichen Arbeit zurückkehren.

Im Jahr 2018 endete nach 437 Verhandlungstagen der Strafprozess zum NSU-Komplex. Während der zehnjährigen Aufarbeitung zum Terrornetzwerk wurde bekannt, dass Geheimdienste und Polizei in ganz Deutschland hunderte Akten geschreddert hatten, teils erwiesenermaßen mit dem Ziel, Vorgänge rund um den NSU zu vertuschen.

Zum Thema hat es bereits mehrere Untersuchungsausschüsse auf Bund- und Länderebene gegeben, die sich auch mit Ermittlungspannen und -fehlern der Behörden beschäftigten. Im bayerischen Landtag befasst sich schon zum zweiten Mal ein Ausschuss mit dem NSU-Komplex. Der erste Untersuchungsausschuss hatte seine Arbeit 2013 beendet. Im Bund und anderen Bundesländern gab es bereits 13 Untersuchungsausschüsse. Ein 14. bearbeitet das Thema derzeit in Mecklenburg-Vorpommern. Der zweite Ausschuss in Bayern hat nur begrenzt Zeit: Er muss bis zur Landtagswahl im Herbst 2023 abgeschlossen sein.

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