Bereits seit geraumer Zeit beklagten Eltern und Lehrer, dass Unterrichtsausfälle und Schulschließungen in der Corona-Krise zu deutlichen Leistungsdefiziten führten. Nun wurde dies auch durch das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) schwarz auf weiß bestätigt. Im Auftrag der Kultusministerkonferenz hatte das Institut eine große Stichprobe von 26.844 Viertklässler zwischen April und August 2021 auf ihre Leistungen in Deutsch und Mathematik getestet.
Durch den IQB-Bildungstrend lassen sich durch standardisierte Verfahren Rückschlüsse zu den Vergleichsjahren 2011 und 2016 ziehen. Die Ergebnisse sind desaströs: Der Anteil der Kinder, die die angestrebten Bildungsstandards verfehlen, ist sprunghaft angestiegen. Unterschiede aufgrund der sozialen Herkunft und zuwanderungsbezogene Probleme haben sich zudem verstärkt.
Wie in den Jahren 2011 und 2016 mussten die Schüler in den Fächern Deutsch und Mathematik Kompetenztest zu den Bildungsstandards absolvieren. Im Fach Deutsch wurden die Kategorien Lesen, Zuhören und Orthografie getestet und im Fach Mathematik fünf Kompetenzbereiche. Im Testzeitraum, der unmittelbar nach dem zweiten Lockdown lag, zeigten sich in "allen untersuchten Fächern und Kompetenzbereichen ungünstige Trends".
"Im Vergleich zum Jahr 2016 entsprechen die Kompetenzrückgänge etwa einem Drittel eines Schuljahres im Lesen, einem halben Schuljahr im Zuhören sowie jeweils einem Viertel eines Schuljahres in der Orthografie und im Fach Mathematik."
Zudem verfehlte ein signifikant höherer Anteil an Schülern die Mindeststandards. In Mathematik, Lesen und Zuhören erreichte jedes fünfte Kind nicht die Mindeststandards, in Orthografie sogar fast jedes dritte. Betrachte man die Veränderungen seit 2011, falle der Negativ-Trend sogar noch stärker aus.
"Die ungünstigen Veränderungen in den erreichten Kompetenzen sind deutlich und sicherlich nicht unwesentlich darauf zurückzuführen, dass diese Kohorte von Kindern von den pandemiebedingten Einschränkungen betroffen war", sagte Petra Stanat, wissenschaftliche Leiterin des IQB.
Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe sprach von einer "Ohrfeige für alle, die sich so lebhaft für Schulschließungen in Deutschland eingesetzt haben".
Die Autoren der Studie wiesen aber auch darauf hin, dass es bereits zwischen 2011 und 2016 einen Negativ-Trend gab. Als mögliche Ursachen für den generellen Trend werden Veränderungen in der Zusammensetzung der Schülerschaft, neue schulische Vorgaben und organisatorische Veränderungen in den Schulen genannt. Die Studie bestätigt damit, dass der schulische Erfolg stark vom Elternhaus abhängt: Der Zusammenhang zwischen Kompetenzen und dem "sozioökonomischen Status" der Familie habe in allen Bereichen signifikant zugenommen. Besonders zurückgefallen sind demnach auch Kinder mit Migrationshintergrund, vor allem aus der ersten Einwanderergeneration. Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen, Chancengleichheit herzustellen, in der Pandemie offenbar vollkommen gescheitert.
Besorgniserregend sind die Ergebnisse auch, da in der Grundschule die Grundlage für den weiteren Bildungserfolg gelegt wird. Stanat sagte diesbezüglich:
"Fast 20 Prozent Kinder, die nicht gut lesen können, das ist ein Problem und das wird auch schwierig, das aufzuholen."
In den weiterführenden Schulen bedürfe es daher "großer Kraftanstrengungen". Um die Lernrückstände aufzuholen, bräuchten die Schüler nun langfristig angelegte Maßnahmen. Die Länder hätten den Bund daher aufgefordert, das Bundesprogramm "Aufholen nach Corona" mit weiteren 500 Millionen Euro zunächst bis Ende des Schuljahres 2023/24 zu verlängern.
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