Eine Analyse von Susan Bonath
Die Bundesregierung erwägt, die Corona-Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen im nächsten Jahr fortzusetzen. Wie sie der CDU/CSU-Fraktion mitteilte, sieht sie "derzeit keinen Anlass", diese aufzuheben. Die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen forderten zudem einen neuen Anlauf für eine allgemeine Impfpflicht ab 60.
Für so weitreichende Grundrechtseinschnitte, für deren Nichteinhaltung etwa Pflegekräfte in Düsseldorf mit Bußgeldern von 1.000 Euro belangt werden, bräuchten die Regierenden jedoch gewichtige Argumente. Dazu gehören beispielsweise eindeutige und vor allem aktuelle Daten, die die Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen belegen.
Das Problem dabei ist, dass die Politik seit Monaten über gar keine aktuellen Daten mehr zur Impfwirksamkeit verfügt, weil das zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) diese zuletzt schlicht nicht mehr publizierte. Auch der Bundesregierung habe es seit April keine neuen Daten mehr übermittelt, räumte RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher gegenüber der Autorin nun ein.
Mit anderen Worten: Die Bundesregierung beharrt auf grundrechtseinschränkenden Eingriffen in die körperliche Selbstbestimmung von Beschäftigten im Gesundheitswesen und denkt über weitere Einschnitte nach, ohne im Besitz aktueller Daten zu sein, die eine Dringlichkeit der Maßnahmen plausibel begründen könnten. Unter gleichen Voraussetzungen fordern einige Landesregierungen einen erneuten Anlauf für ein Gesetz für eine Impfpflicht für alle über 60-Jährigen. Offensichtlich erfolgen die Corona-Maßnahmen abgekoppelt von jeglicher Evidenz.
Datenblindflug und Geheimniskrämerei
Bevor die Fragen der Autorin und die Antworten am Ende des Beitrags wörtlich wiedergegeben werden, noch einige Erläuterungen dazu.
An der Datenlage zur Corona-Politik in Deutschland gibt es seit langem massive Kritik. Erst kürzlich forderte zum Beispiel die Bundesärztekammer ein "Ende des Datenblindflugs", wie die Tagesschau berichtete. Zweieinhalb Jahre dauere dies nun schon an, rügte deren Präsident Klaus Reinhardt.
Offenbar liegt das nicht nur an rückständiger Technologie, wie es die Kritiker vermuten, sondern auch am Willen der Protagonisten. So verbannte etwa das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), zuständig für die Überwachung der Sicherheit von Impfstoffen, seit Jahresbeginn brisante Zahlen über gemeldete schwere Nebenwirkungen aus seinem Corona-Sicherheitsbericht. Erst auf wiederholtes Nachhaken der Autorin rückte das PEI sie heraus. Dabei hätte das Bundesinstitut die Daten einfach gleich in seinen Bericht schreiben können, zumal dieser genau dafür gedacht ist.
Auch Ignoranz könnte eine Rolle spielen. Es gibt viele Hinweise darauf, dass das passive Meldesystem des PEI wahrscheinlich dazu führt, dass Impfkomplikationen massiv untererfasst werden. Nicht nur zahlreiche Leitmedien, darunter der Spiegel berichteten inzwischen über gravierende "unerklärliche" Komplikationen (Bezahlschranke) nach der Corona-Impfung. Betroffene beklagen in Berichten stets dasselbe: Ärzte helfen und melden nicht, die Politik schaut weg.
Ein neues Papier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), das fast 2,5 Millionen abgerechnete Impfnebenwirkungen allein für das Jahr 2021 auflistete, hätte nun die Riege der Impfpflicht-Befürworter aufhorchen lassen müssen. Doch in den Leitmedien ist darüber kein Wort zu finden und die Politik schweigt.
Keine Zahlen zur Wirksamkeit seit April
Nun ließ zudem das Robert-Koch-Institut (RKI), das wie das PEI dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unterstellt ist, die zwar mangelhaften, aber bisher einzigen Daten zur Wirksamkeit der COVID-19-Vakzine aus seinen Wochenberichten verschwinden. Zuvor hatten diese Daten immer stärker darauf hingedeutet, dass die Wirkung der Impfung schon nach kurzer Zeit augenscheinlich gegen Null tendiert, sich möglicherweise sogar ins Negative verkehrt.
So finden sich dort seit Ende April keinerlei Zahlen mehr zum Impfstatus symptomatisch erkrankter, hospitalisierter und verstorbener Corona-Patienten nach den Kriterien des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Laut der letzten Veröffentlichung am 28. April hatte sich von Ende März bis Ende April der Anteil der "vollständig Geimpften" unter den Erkrankten jenem in der Gesamtbevölkerung mehr und mehr angeglichen.
Bei den Erkrankten in der für Berufstätige relevantesten Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen beispielsweise hatte das RKI damals 82 Prozent zwei- oder dreifach Geimpfte erfasst. Das entsprach in etwa ihrem damaligen Anteil in der Gesamtbevölkerung. Bei den schwer kranken Corona-Patienten in Kliniken lag der Anteil der "vollständig Geimpften" im April mit rund 67 Prozent nur geringfügig unter ihrem Anteil in der Bevölkerung. An die Stelle dieser Daten trat nunmehr folgender Textbaustein:
"Seit dem 05.05.2022 werden im COVID-19-Wochenbericht des RKI keine regelmäßigen Informationen zur Wirksamkeit der COVID-19-Impfung mehr berichtet. Ebenso werden die zugrundeliegenden Tabellen (...) nicht mehr wöchentlich aktualisiert. Stattdessen ist vorgesehen, dass das RKI in regelmäßigen Abständen separate Auswertungen zum Themenkomplex COVID-19-Impfung/Impfeffektivität veröffentlicht, die eine detailliertere Betrachtung einzelner Aspekte erlauben als im Rahmen des Wochenberichts möglich."
Auch Daten zu geimpften Intensivpatienten fehlen
Seither sucht man vergeblich nach den angekündigten "separaten Auswertungen". Doch zunächst veröffentlichte das RKI weiterhin die Daten des DIVI-Intensivregisters zum Impfstatus des Großteils der Corona-Intensivpatienten. Doch auch diese ließen mehr und mehr am Narrativ vom Schutz der Impfstoffe vor einem schweren Verlauf zweifeln. Die letzte Angabe dazu findet man im Bericht vom 9. Juni auf Seite 19. Dort heißt es wörtlich:
"Für den Zeitraum vom 09.05.2022 bis 05.06.2022 (KW 19 - KW 22/2022) wurde der Impfstatus von 1.545 COVID-19-Aufnahmen gemeldet, das entspricht etwa 66,5 % der für diesen Zeitraum übermittelten Fälle (2.324). 15,5 % (240 Fälle) aller COVID-19-Neuaufnahmen mit bekanntem Impfstatus waren ungeimpft. Rund 7,8 % (120 Fälle) wiesen einen unvollständigen Immunschutz auf (Genesen ohne Impfung oder Teil-Immunisierung). 76,7 % (1.185 Fälle) hatten einen vollständigen Impfschutz (Grundimmunisierung oder Booster), der Anteil mit Boosterimpfung lag dabei bei ca. 51,8 % (800 Fälle)."
Das heißt: Der Anteil der Ungeimpften war unter Corona-Intensivpatienten mit 15,5 Prozent sogar geringer als in der Bevölkerung mit rund 23 Prozent zu diesem Zeitpunkt. Sind Ungeimpfte gar weniger gefährdet als Geimpfte und nicht umgekehrt, wie es immer behauptet wird? Nun meint das RKI, diese Daten hätten wegen fehlender Altersangaben keine Aussagekraft. Man könne keine Schlüsse daraus ziehen.
Hier wäre eine Gegenfrage fällig: Warum wird das Alter der Patienten dann nicht erfasst und publiziert? Wenn Kliniken den Impfstatus melden können, wäre es wohl problemlos möglich, Altersangaben beizufügen. Zweite Frage: Warum hat das RKI die angeblich einzig verwertbaren Angaben nach IfSG – die allerdings nur etwa fünf bis sechs Prozent aller Fälle beleuchteten – bereits seit Ende April verbannt?
Auch an die Stelle der DIVI-Daten trat inzwischen ein weiterer Textbaustein, der im Wochenbericht vom 23. Juni auf Seite 18 zu finden ist:
"Im Zuge einer Umstellung der Impfabfrage im Intensivregister kann der Impfstatus der COVID-19- Patientinnen und -Patienten auf Intensivstation zeitweilig nicht bereitgestellt werden. Sobald wieder genügend Daten für eine stabile Auswertung erfasst sind, werden die Zahlen der neuen Abfrage wie gewohnt an dieser Stelle berichtet."
Es kommen mehr Fragen dazu: Wie lange soll dieser Zeitraum dauern? Und: Warum kann das RKI Daten zum Impfstatus wochenlang nicht präsentieren, aber seit zweieinhalb Jahren ein Dashboard mit Fallmeldungen problemlos füllen? Selbst bei eingeräumtem Datenmangel an Feiertagen verschwand das Dashbord nicht, wie nun die DIVI-Zahlen, von der Bildfläche.
Eins zumindest machte RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher in ihren Antworten auf die Fragen der Autorin überdeutlich: Außer der Reihe gibt es keine Daten, auch nicht für Journalisten. Und: Die Bundesregierung hat die begehrten Daten auch nicht. Sie tappt also im Dunkeln, und die bestehende Pflege-Impfpflicht beruht offenbar mehr auf Glauben als auf Fakten.
"Genaues Datum steht noch nicht fest": Die Antworten des RKI
Sehr geehrte Frau Glasmacher,
vor einiger Zeit antworteten Sie mir, die aus den Wochenberichten entfernten IfSG-Wirksamkeitsdaten zu den COVID-19-Impfstoffen würden demnächst gesondert veröffentlicht. Leider konnte ich bisher nichts finden. Die letzte Veröffentlichung erfolgte am 28. April, also vor bereits fast zwei Monaten. Seit dem vorletzten Wochenbericht finden sich darin auch keine DIVI-Daten mehr zum Impfstatus der Corona-Intensivpatienten, was angeblich einer Umstellung der Impfabfrage geschuldet ist.
Kurzum: Es gibt seit zwei Monaten keine neuen Daten mehr zur Wirksamkeit der Impfungen und seit zwei Wochen keine Daten zum Impfstatus der Corona-Intensivpatienten, – obwohl es sich um Daten handelt, die politisch und öffentlich von größter Bedeutsamkeit sind. Immerhin gilt noch die einrichtungsbezogene Impfpflicht, weiterhin diskutiert die Politik schon wieder über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Dafür scheint es allerdings keine Grundlage mehr zu geben, da es keine Daten zur Wirksamkeit gibt.
Daher stelle ich Ihnen folgende Fragen/fordere Folgendes an:
1. Bitte übermitteln Sie mir die ausstehenden Daten zur Wirksamkeit der COVID-19-Impfstoffe hinsichtlich des Impfstatus symptomatischer Fälle, hospitalisierter Fälle, ITS-Fällen und Todesfällen nach IfSG ab dem 28. April bis zum aktuellen Datum.
2. Falls Sie mir die unter Punkt 1 genannten Dokumente nicht übermitteln können oder wollen, begründen Sie mir dies bitte und nennen mir ein Datum, an dem das RKI diese Daten wo veröffentlicht.
RKI: "Ein umfassender Bericht zur Impfeffektivität (inkl. neuer Daten der Inzidenzen Geimpft/Ungeimpft) soll demnächst erscheinen, ein genaues Datum steht noch nicht fest. Geplant ist auch, dass anschließend weitere Berichte in größeren Intervallen erfolgen."
3. Bitte übermitteln Sie mir die ausstehenden DIVI-Daten zum Impfstatus der COVID-19-Intensivpatienten ab dem 6. Juni 2022.
4. Falls Sie mir die unter Punkt 3 genannten Daten nicht übermitteln können oder wollen, begründen Sie mir dies bitte und nenne mir ein Datum, an dem das RKI diese Daten wo veröffentlicht.
RKI: "Siehe Hinweistext aus dem aktellen Wochenbericht auf Seite 18."
"Im Zuge einer Umstellung der Impfabfrage im Intensivregister kann der Impfstatus der COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf Intensivstation zeitweilig nicht bereitgestellt werden. Sobald wieder genügend Daten für eine stabile Auswertung erfasst sind, werden die Zahlen der neuen Abfrage wie gewohnt an dieser Stelle berichtet."
Wie im Hinweistext erläutert ist eine stabile Datengrundlage erforderlich, bevor die Daten der neuen Abfrage veröffentlicht werden. Wir planen daher voraussichtlich am 07.07.22 die im Intensivregister erfassten Impfdaten im Wochenbericht wieder bereitstellen zu können.
Es gilt jedoch weiterhin zu beachten, dass die Intensivregister-Daten nicht geeignet sind, um die Wirksamkeit der Impfung einzuschätzen. Es muss die generelle Altersverteilung von Intensivpatientinnen und -patienten sowie die Entwicklung der allgemeinen Impfquote der Bevölkerung berücksichtigt werden."
5. Hat das RKI der Bundesregierung und den Bundestagsabgeordneten, ggf. den Landesregierungen und -parlamenten, eine aktuelle Wirksamkeitsanalyse für die COVID-19-Impfstoffe vorgelegt? Wenn ja: Bitte übermitteln Sie mir die letzte Wirksamkeitsanalyse, die der Politik vorliegen kann, um darauf basierend Entscheidungen treffen zu können.
RKI: "Nein."
6.Warum hat das RKI die Daten aus der Öffentlichkeit zugänglichen Berichten entfernt?
7.Welche konkreten Wirksamkeitsprüfungen für die COVID-19-Impfstoffe führt das RKI fortlaufend durch?
RKI: "Siehe 1/2/3/4"
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