Häuser, Brücken sowie Autos und gar ganze Ortschaften – die Jahrhundertflut im Ahrtal mit 134 Toten vor fast einem Jahr hatte nahezu alles weggerissen, was ihr im Weg stand. Rund 9.000 Gebäude waren bei der Tragödie zerstört oder beschädigt worden. 17.000 Menschen verloren ihr Zuhause. Schnelle und unbürokratische Hilfen hatte die Bundesregierung den Geschädigten zu jener Zeit versprochen, einen Hilfsfonds von insgesamt 28 Milliarden Euro eingerichtet. Doch bis heute hapert es an der Auszahlung. Viele der Flutopfer stehen deshalb vor den Trümmern ihrer Existenz – in den Medien hört man darüber kaum was.
Es läuft schleppend mit der Auszahlung der versprochenen Hilfsgelder für die Flutgeschädigten im Ahrtal. Knapp ein Jahr nach der Jahrhundertflut klagen viele der Betroffenen darüber, die vermeintlich unkomplizierten sowie schnellen Hilfszahlungen aus dem Milliardenfonds der Bundesregierung nicht oder nur teilweise erhalten zu haben. "Wenn ich das unkompliziert und einfach verspreche, dann muss ich es auch unkompliziert und einfach machen. Aber das, was hier abgeht, das ist eine Farce, das ist eine Unverschämtheit", ärgerte sich Flutopfer Alexandra Baltes im Mai in der ARD-Sendung Report Mainz.
Auch Familie Neis wurde von der Flut hart getroffen. Privatwohnung sowie Familienbetrieb der vierköpfigen Familie wurden bei der Katastrophe zerstört – ein Schaden in Höhe von einer Million Euro. "Durch die Flut ist ja alles weg. Du hast keinen Anker, du hast keinen Bezugspunkt mehr. Ich fühl' mich total furchtbar, wie so ein Blättchen im Wind", erklärte die Mutter zweier Kinder der ARD. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Familie die ihr zustehende finanzielle Hilfe beantragt. Ausgezahlt worden sei diese bisher aber nicht. "Ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin enttäuscht von unseren Politikern. Wirklich, wirklich enttäuscht. Denn da, wo sie wirklich hätten glänzen können, haben sie es verpasst", so Frau Neis weiter. "Ich hab' die Schnauze voll."
Nahezu alle Interviewten berichteten in der ARD-Sendung dasselbe: Bis heute hätten sie kein Geld erhalten – obwohl sie schon im letzten Jahr den Antrag gestellt hätten. Andere hätten lediglich 20 Prozent der ursprünglich versprochenen Hilfsleistungen ausbezahlt bekommen. Behördliches Versagen, das auch Cornelia Weigand (parteilos), Landrätin des damals besonders von der Flutkatastrophe betroffenen Landkreis Ahrweiler, ärgert.
Sie habe der rheinland-pfälzischen Landesregierung vergeblich vorgeschlagen, dass Betroffenen mit einem Antrag bei Gebäudeschäden gleich 40 statt nur 20 Prozent der Hilfssumme bei Bewilligung überwiesen werde, erklärte die Landrätin vergangene Woche der dpa. "Nordrhein-Westfalen macht das schon seit Januar so." Bei der rheinland-pfälzischen Landesregierung stoße sie mit ihrem Vorschlag hingegen jedoch auf Granit. "Viele Flutopfer im Kreis Ahrweiler stehen immer noch vor verwüsteten Häusern und müssen in dem komplexen Antragsverfahren ohnehin lange auf Hilfszahlungen warten", so die Landrätin. Nötige Gutachter seien oft ausgebucht – und später auch Handwerker.
Auf eine Anfrage der Regionalzeitung General-Anzeiger entgegnete das Finanzministerium in Mainz lediglich, dass die Quote der Erstauszahlung von 20 Prozent mit dem Rechnungshof abgestimmt sei. Diese sei "im Regelfall ausreichend, um die Sanierung anzugehen und gegebenenfalls auch Gutachten in Auftrag zu geben. Sie verhindert im Übrigen eine zu hohe Liquidität, für die gegebenenfalls Negativzinsen bei den Kreditinstituten zu entrichten wären." Die erste Teilzahlung könne zwar auch gleich nach der Bewilligung fließen, allerdings nur unter Verzicht auf die vierwöchige Einspruchsfrist.
Das Geld komme nur sehr langsam an, erklärte Iris Münn-Buschow, Mitglied der Bürgerinitiative "Ahrtal – Wir stehen auf", dem Nachrichtenmagazin T-Online. "Die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz, die in Rheinland-Pfalz für die Bewilligung der Aufbauhilfen zuständig ist, ist damit völlig überfordert. Da denkt man sich, wieso war es bei Corona möglich, dass dann Feuerwehr und Bundeswehr Gesundheitsämter personell unterstützt haben. Feuerwehr kann hier sicher nicht helfen, aber weitere Verstärkung muss doch möglich sein, damit es schneller geht."
Auch die privaten Spenden würden bis heute zurückgehalten, so die erboste Anwohnerin weiter. "Die Spenden liegen zum großen Teil bei den Hilfsorganisationen. Nach den ersten Soforthilfen können sie beim Wiederaufbau erst dann helfen, wenn Betroffene Hilfsgelder vom Staat bekommen haben." Für die Betroffenen schließt sich somit ein fataler Teufelskreis: Das Geld ist zwar da, bei den Flutgeschädigten kommt es aufgrund von Behördenversagen sowie anderer bürokratischer Hürden allerdings nicht an.
Dass die zuständigen Behörden mit der Bewältigung der Katastrophe offenbar maßlos überfordert sind, zeigt sich jedoch nicht nur in deren miserablem Krisenmanagement. Auch die Tatsache, dass der rheinland-pfälzische Landtag erst vor wenigen Wochen einen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe einsetzte, belegt das Desinteresse sämtlicher Politiker am Schicksal der Ahrtaler.
Immerhin verschaffte sich die zuständige Enquete-Kommission des Landtags bei ihrem ersten Besuch im besonders betroffenen Ahrtal am Dienstag einen Überblick über die schleppenden Wiederaufbauarbeiten in dem Gebiet. Die elf Abgeordneten aller sechs im Landtag vertretenen Fraktionen sollen anhand der dort gesammelten Impressionen Handlungsempfehlungen für den Katastrophenschutz und Konzepte zur Anpassung an den Klimawandel entwickeln.
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