Obwohl sich viele Bürger bereits in mehreren Bereichen einschränken, hat auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Verbraucher erneut zum Energiesparen aufgefordert. Wenn man die Heiztemperatur in der gesamten EU nur um zwei Grad senke und die Zieltemperatur von Klimaanlagen um zwei Grad erhöhe, könne man die gesamten Lieferungen der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 einsparen.
"Darin liegt also eine Menge Potenzial", erklärte von der Leyen am Freitag nach einem EU-Gipfel in Brüssel. Wenngleich sie selbst erst Ende letzten Jahres in der Kritik stand, weil sie offenbar kein Problem damit hat, ihren Privatjet auf Steuerzahler- und Umweltkosten auch für sehr kurze Strecken zu nutzen.
Zudem bekräftigte von der Leyen, dass auch die Bezugsquellen von Energieträgern diversifiziert und in Erneuerbare investiert werden müsse.
Nicht erst seit Beginn des Ukraine-Krieges Ende Februar wurde davon gesprochen, dass die Versorgung Europas mit Gas aus Russland gefährdet sei. Zumal gleichzeitig Druck auf Länder wie Deutschland ausgeübt wurde, den Gas-Import zu kappen. Mittlerweile habe Russland die Lieferungen an zwölf EU-Staaten gedrosselt oder komplett gestoppt, sagte von der Leyen.
Auch die Lieferungen nach Deutschland sind drastisch gekürzt worden, nachdem der Betrieb von Nord Stream wegen der Sanktionen nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Wirtschaftsminister Robert Habeck rief deshalb in dieser Woche die Alarmstufe im Notfallplan Gas aus. Auch er warb dafür, Energie zu sparen.
Von der Leyen hat indes noch einen Ratschlag parat:
"Das Beste ist immer: auf das Beste hoffen, auf das Schlimmste vorbereitet sein. Und genau das tun wir jetzt."
Diese Form von Optimismus war bereits das Rezept der hochrangigen Politikerin, als sie Mitte Februar entgegen aller Warnungen von verschiedenen Experten vorhersagte, dass die Gasversorgung ja auch angesichts der Jahreszeit ohne Nord Stream 2 so gut wie gesichert sei.
Man habe bereits zu Beginn des Jahres mit Plänen für ein solches Szenario begonnen. Von der Leyen forderte die Staaten auf, nicht nur nationale Maßnahmen zu ergreifen, die allein den heimischen Markt im Blick haben, sondern abgestimmt in der EU zu handeln. Bisher gibt es diesbezüglich jedoch noch einige Hindernisse, wie der EU-Gipfel am Freitag gezeigt hat. Ihre Behörde habe alle nationalen Notfallpläne überprüft, um sicherzustellen, dass alle auf weitere Liefereinschränkungen vorbereitet sind, so von der Leyen. Zugleich arbeite man mit der Industrie und den 27 EU-Staaten an einem europäischen Plan, der im Notfall die Gas-Nachfrage reduzieren soll.
Zwar hatten sich die EU-Staaten bereits im März darauf verständigt, ihre Kaufkraft zu bündeln und gemeinsam Gas einzukaufen. Doch Länder wie Italien oder Belgien wollen deutlich radikalere Maßnahmen und drängen etwa auf einen Preisdeckel auf EU-Ebene, sodass Verbraucher entlastet würden. Ende Mai beauftragte der EU-Gipfel die EU-Kommission, weitere Möglichkeiten zur Eindämmung steigender Energiepreise zu prüfen – inklusive einer befristeten Preisobergrenze. Staaten wie Tschechien lehnen einen solchen Schritt jedoch ab, weil dies ein Eingriff in den Markt wäre. Der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš sagte am Freitag, Maßnahmen wie der gemeinsame Einkauf seien "wahrscheinlich eine mittel- bis langfristige Lösung".
Am wichtigsten sei Unterstützung für diejenigen, die am meisten unter der hohen Inflation litten. Die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson warnte hingegen davor, Geld in die Taschen der Bevölkerung zurückzuleiten. "Das würde die Inflation nur verstärken", behauptete die Politikerin von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens. Der Gas-Engpass in Europa und steigende Energiepreise werden auch Thema beim G7-Gipfel sein, bei dem Scholz ab Sonntag im bayerischen Elmau Gastgeber sein wird.
CSU-Chef Markus Söder, dessen Partei und auch Bundesland in der jüngeren Vergangenheit wegen einer Vielzahl von Skandalen in der öffentlichen Kritik stand, schien angesichts der akuten Notlage eine Gelegenheit zu erkennen, sich wie einst gewohnt als "Macher" zu positionieren. Er kritisierte die aktuelle Bundesregierung dabei jedoch für Fehler, die auch auf die Unionspartei zurückzuführen sind.
"Es droht eine existenzielle Gas-Notlage", warnte Söder am Donnerstag beim Besuch eines Gasspeichers im Münchner Umland. Die Ausrufung der Alarmstufe Gas wegen der deutlich verringerten Lieferungen aus Russland komme "hoffentlich nicht zu spät" und zeige auch, dass die ganzen Bemühungen, russische Gaslieferungen zu ersetzen, nicht funktioniert hätten. "Es ist ein Zeichen dafür, dass die Lage viel ernster ist, als gedacht", so der bayerische Ministerpräsident. Neben Erneuerbaren, bei denen sich Bayern künftig kooperativer zeigen wolle, würde nun auch Atomenergie als Quelle benötigt.
Der Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Klimaschutz und Energie, Klaus Ernst, ging jedoch einen Gedankenschritt weiter und forderte Berlin und Brüssel auf, die Sanktionspolitik zu revidieren:
"Wir unterstützen Sanktionen gegen Oligarchen. Aber wir brauchen diplomatische Anstrengungen, diesen Krieg zu beenden, und müssen der Ukraine mit humanitärer Hilfe zur Seite stehen."
Laut Ernst könne es nicht angehen, "dass die Bundesregierung monatelang an der Sanktionsschraube im Energiesektor dreht und sich nun wundert, dass Russland seinerseits seine Lieferungen wohl drosselt."
Habeck könne nicht sagen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, damit Haushalte und Betriebe in den kommenden Monaten nicht von der Preislast erdrückt werden. Unter Experten bestehe ein breiter Konsens, dass ein kompletter Verzicht auf russisches Erdgas in diesem Jahr kaum möglich ist, ohne dass es zu gravierenden Versorgungsengpässen kommt. Das hatte auch Habecks eigenes Ministerium Ende April noch eingestanden, hieß es in der Mitteilung der Partei Die Linke.
"Die Bundesregierung sollte anerkennen, dass ein kurzfristiger Verzicht auf russische Energie die russische Armee nicht bremst und der eigenen Bevölkerung und Unternehmen massiv schadet", so der Ex-Parteivize. "Wir brauchen keine Sanktionspolitik, die nur Symbolcharakter hat und die eigenen Beschäftigten, Rentner und Familien zu Leidtragenden macht."
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