Im Vorfeld des für den 25. Juni angesetzten Parteitags der Linken in Erfurt hat sich die ehemalige Bundestags-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht für einen "Neuanfang" der Partei eingesetzt. Die Linke scheiterte bei der vergangenen Bundestagswahl im Jahr 2021 an der Fünf-Prozent-Hürde, schaffte den Einzug in den Bundestag jedoch knapp dank dreier gewonnener Direktmandate. Zudem hat die Partei mit internen Streitigkeiten zu kämpfen, unter anderem im Hinblick auf ihre Zielgruppen, aber auch auf ihre Position zum Ukraine-Konflikt.
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur IPPEN.MEDIA, das am Mittwoch in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht wurde, kritisiert Wagenknecht die gegenwärtige Konzentration der Linken "auf kleine Zirkel von Politaktivisten und auf die grünliberalen akademischen Großstadtmilieus". In einer solchen Form werde die Partei, wie an den Wahlergebnissen abzulesen sei, nicht gebraucht. Stattdessen müsse sie sich neu profilieren:
"Die Linke muss an den Alltag der normalen Menschen anknüpfen. Sie muss ihre Sprache sprechen. Und sie muss vor allem ihre sozialen Nöte in den Mittelpunkt stellen."
Die Zielgruppe der Partei seien "Menschen mit niedrigen Einkommen, mit kleinen Renten, Menschen, die aus ärmeren Verhältnissen kommen und oft nie die Chance hatten, tolle akademische Abschlüsse zu erlangen." Der Linken sei es in jüngster Vergangenheit nicht mehr gelungen, diese Bevölkerungsgruppe zu erreichen, die Partei müsse sich aber darum bemühen. Der kommende Parteitag biete hierzu möglicherweise die "letzte Chance", so Wagenknecht. Als konkrete Schritte schlug sie eine Deckelung der steigenden Lebensmittel-, Energie- und Spritpreise sowie die Ablehnung der Russland-Sanktionen vor. Letztere seien "völlig verrückt" und würden das Leben der Menschen "unbezahlbar" machen. Außerdem solle die Linke in die "Tradition der Entspannungspolitik Willy Brandts" zurückkehren.
Den russischen Militäreinsatz in der Ukraine bezeichnete Wagenknecht als einen völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Krieg und wies die Unterstellung zurück, sie würde diesen relativieren: "Der Krieg in der Ukraine ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen." Gleichzeitig sei aber wichtig, die Auseinandersetzung historisch richtig einzuordnen:
"Wir tun nur nicht so, als sei das der erste verbrecherische Krieg auf dieser Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieses Zeitenwende-Gerede machen wir nicht mit."
Laut Wagenknecht dürfe die Linke in der Einschätzung des Konflikts "nicht hinter dem Papst zurückbleiben":
"Der Krieg in der Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen, aber er wäre vermeidbar gewesen. Und ich finde, diese Mitverantwortung des Westens, vor allem der USA, muss eine Linke klar benennen. Die darf sie nicht ausklammern."
Die Krise in der Ukraine sei nur durch Kompromissbereitschaft zu beenden, so Wagenknecht weiter. Wichtige Schritte hierzu seien die Berücksichtigung der langjährigen russischen Warnungen über die NATO-Osterweiterung und der Verzicht der Ukraine auf ihre Beitrittspläne zur Allianz sowie auf unrealistische Kriegsziele, wie etwa die vom Präsidenten Wladimir Selenskij geforderte Rückeroberung der Krim. Der Konflikt könnte zunächst eingefroren werden, um dann auf dem Verhandlungsweg nach langfristigeren Lösungen zu suchen.
Die Diskussion über einen EU-Beitritt der Ukraine sei indessen laut Wagenknecht "völlig sinnlos". Das Land leide unter massiver Korruption, habe "Probleme im Umgang mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit". Am dringendsten geboten sei aber momentan die Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen.
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