Wegweisendes Urteil: Drohbescheide an ungeimpfte Beschäftigte in medizinischen Berufen rechtswidrig

Das schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht gab der Klage einer Zahnarzthelferin Recht, die sich nicht gegen COVID-19 impfen lassen will. Das zuständige Gesundheitsamt drohte der Frau mit einem Bußgeld, sollte sie aufgrund der seit 15. März geltenden Regelungen den eingeforderten Impf- oder Genesenennachweis nicht vorlegen.

Der Gerichtsbeschluss des schleswig-holsteinischen Verwaltungsgerichts zu der Klage einer Zahnarzthelferin aus Flensburg kann als wegweisendes Urteil für künftige Verfahren gewertet werden. Sie hatte sich gegen den Ende April zugesandten Bescheid mit der Aufforderung ihres zuständigen Gesundheitsamtes gewehrt, einen "Impf- oder Genesenennachweis bzw. ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen, dass sie aus medizinischen Gründen nicht gegen Corona geimpft werden darf".

Dem Magazin Focus liegt der noch unveröffentlichte Gerichtsbeschluss (Az.: 1 B 28/22) mit dem Eingangsdatum 13. Juni vor. Der Zahnarzthelferin drohte im Rahmen der schriftlichen Aufforderung, bei Nichtbefolgung mit "einem Bußgeld von bis zu 2500 Euro" bestraft zu werden. "Weiterhin sei beabsichtigt, der Frau das Betreten sowie die berufliche Tätigkeit in der Zahnarztpraxis zu untersagen", lauten Details aus dem Focus-Artikel. In dem Schreiben ordnete das Gesundheitsamt die "sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes", also die Umsetzung des schriftlichen Drohbescheids an. Dies hätte bedeutet, dass "ein Widerspruch und eine Klage gegen den Bescheid keine 'aufschiebende Wirkung' hätte".

Das schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht gab nun der Klägerin Recht. Die Begründung der Sachlage ist eindeutig. So heißt es im Urteil:

"Die in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Anordnung zur Vorlage eines Impfnachweises ... ist offensichtlich rechtswidrig. Die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes setzt neben der inhaltlichen Rechtmäßigkeit insbesondere voraus, dass die Behörde in der Handlungsform eines Verwaltungsakts vorgehen darf."

Mit dem Urteil werde die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs "wiederhergestellt", so die Begründung. Das Gericht – in dem Fall die 1. Kammer – verwies dabei auf eine "umfassende Interessenabwägung". Diese habe bei Betrachtung ergeben, dass das "private Aufschubinteresse" der Zahnarzthelferin höher einzustufen sei als das "öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes", heißt es im weiteren Inhalt des Urteils.

Der Urteilsspruch wird vermutlich erhebliche Auswirkungen auf tausende Berufstätige in ähnlicher Situation in Bezug auf die seit dem 15. März geltende "einrichtungsbezogene Impfpflicht" in Deutschland haben. In einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2022 kam es infolge mehrerer Privatklagen zu einer "erfolglosen Verfassungsbeschwerde gegen die Pflicht zum Nachweis einer Impfung gegen COVID-19". So lautete seinerzeit die Information des Bundesverfassungsgerichts zur Sachlage in diesem Urteil:

"Nach § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG müssen Personen, die in bestimmten Einrichtungen oder Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege tätig sind, seit Ablauf des 15. März 2022 der jeweiligen Einrichtungs- oder Unternehmensleitung einen Nachweis darüber vorlegen, vollständig gegen COVID-19 geimpft oder davon genesen zu sein."

Des Weiteren heißt es in der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts, dass Personen, die erst ab dem 16. März 2022 in den in § 20a IfSG genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig werden sollen, "vor Beginn ihrer Tätigkeit einen entsprechenden Nachweis vorzulegen" hätten. Andernfalls dürfen sie dort weder beschäftigt sein noch tätig werden. Als Konsequenz wurde zudem bestätigt, dass "verschiedene Einzelregelungen des § 20a IfSG bußgeldbewehrt" sind.

Friederike Lange, Sprecherin des schleswig-holsteinischen Verwaltungsgerichts, stuft den aktuellen Erfolg der Klägerin als weitreichend ein. Dem Focus gegenüber erläuterte die Sprecherin Mitte dieser Woche:

"Der Beschluss betrifft eine Frage der Auslegung des Bundesrechts und ist insoweit auch bundesweit von Bedeutung."

Dies resultiere aus der neuen Situation, dass der Beschluss zwar "grundsätzlich nur für den Einzelfall" gelten würde, aber sich zukünftige Kläger sehr wohl gegenüber den ausführenden Gesundheitsämtern "auf die Rechtsprechung berufen könnten". Die bislang ergangenen Bescheide der Gesundheitsämter sind nach Auffassung der Kammer "rechtswidrig und damit anfechtbar", betonte die Sprecherin gegenüber dem Focus. Die lokalen Gesundheitsämter sind die verantwortliche und ausführende Institution bei der Umsetzung der Maßnahmen im Rahmen der geltenden "einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht" über eine Impfung des entsprechenden Personals.

Zum konkreten Fall erläuterte die Sprecherin des Verwaltungsgerichts abschließend, dass nichtsdestotrotz "die ungeimpfte Zahnarzthelferin mit Sanktionen rechnen müsse":

"Die Behörden können zwar eine solche Vorlage nun nicht mehr durch Verwaltungsakt anordnen. Ihnen verbleibt jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, gegenüber den Betroffenen ein Betretens- oder Tätigkeitsverbot auszusprechen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen."

Nur diejenigen Angestellten in entsprechend betroffenen Berufszweigen, die nach schriftlicher Aufforderung juristischen Widerspruch einlegen würden, hätten eine theoretische Chance, "um den sofortigen Vollzug des Bescheids" zu verhindern. Zudem müsse die "aufschiebende Wirkung des Widerspruchs" ebenfalls gerichtlich bestätigt werden.

Das beklagte Gesundheitsamt kann noch seinerseits innerhalb von zwei Wochen Beschwerde gegen den Beschluss beim Oberverwaltungsgericht einreichen.

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