"Alles steht" – Hafenarbeiter verlangen höheren Lohn für höhere Belastungen

Erstmals seit Jahrzehnten haben Hafenarbeiter an Deutschlands großen Seehäfen die Arbeit niedergelegt. Während die Lage wegen gestörter Lieferketten bereits angespannt ist, hat dies zu besonderer Arbeitsbelastung geführt. Verdi verweist zudem auf die hohe Inflation.

Hamburg, Emden, Bremen, Bremerhaven und Wilhelmshaven – an den großen deutschen Seehäfen haben Hafenarbeiter die Abfertigung von Schiffen mit einem Warnstreik in der Spätschicht am Donnerstag weitgehend zum Erliegen gebracht.

Die Beschäftigten wollen mit den Arbeitsniederlegungen am Donnerstag den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen, in der dritten Tarifrunde an diesem Freitag in Hamburg ein neues Lohnangebot vorzulegen. Das bisherige ist aus Sicht der Gewerkschaft Verdi unzureichend und werde der Lage nicht gerecht. Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) bezeichnete den Warnstreik als verantwortungslos und inakzeptabel, die ohnehin schon angespannte Lage an den Terminals wird so noch einmal verschärft.

Wegen der infolge der COVID-19-Pandemie ins Chaos geratenen Containerschifffahrt warten Dutzende Schiffe in der Deutschen Bucht auf ihre Abfertigung. Allein für die drei Terminals des Hamburger Hafenlogistikers HHLA lägen zehn Schiffe vor Helgoland auf Reede, sagte Firmensprecher Hans-Jörg Heims der Deutschen Presse-Agentur.

Insgesamt stauen sich nach Berechnung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft in der Nordsee derzeit Schiffe mit knapp zwei Prozent der globalen Frachtkapazität. Sie können in Deutschland, den Niederlanden oder Belgien weder be- noch entladen werden. Ein Ende ist nicht in Sicht: Nachdem am größten Containerhafen der Welt in Shanghai der monatelange Lockdown aufgehoben wurde, rollt nun eine Welle an Containerfrachtern auf Europa zu. Dabei gibt es in den Häfen bereits jetzt kaum Container-Stellplätze, weil Boxen, die sonst binnen kurzer Zeit weitertransportiert werden, nun zwischengelagert werden müssen.

Gestörte Lieferketten mit teils wochenlangen Verspätungen der Containerriesen haben auch unmittelbare Folgen für die Hafenarbeiter. Nach Einschätzung vom Verdi haben die Beschäftigten in der Pandemie extreme Flexibilität an den Tag gelegt und viel Mehrarbeit geleistet.

Das von den Arbeitgebern bislang vorgelegte Angebot ist laut Verdi-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth völlig unzureichend. "Als Teil der kritischen Infrastruktur haben die Beschäftigten in den letzten Jahren durchgehend gearbeitet, sind an Belastungsgrenzen gegangen und haben als Keyworker der Lieferketten mit ihrer Hände Arbeit den Laden am Laufen gehalten. Sie haben Anerkennung und ihren gerechten Anteil verdient."

Entsprechend hält die Gewerkschaft ihre Forderungen für die Hafenarbeiter in den 58 tarifgebundenen Betrieben in Niedersachsen, Bremen und Hamburg für gerechtfertigt. Verdi verlangt für die rund 12.000 Beschäftigten unter anderem einen tatsächlichen Inflationsausgleich sowie eine Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro. Zudem fordert Verdi die Erhöhung der jährlichen Zulage für Beschäftigte der Vollcontainerbetriebe um 1.200 Euro sowie eine Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten.

Bei Löhnen von aktuell knapp unter 15 Euro bis gut 28 Euro pro Stunde wäre das eine Gehaltssteigerung um bis zu 14 Prozent. Die Arbeitgeberseite bietet bislang zwei Erhöhungsschritte in diesem und im nächsten Jahr von 3,2 und 2,8 Prozent und Einmalzahlungen von insgesamt 600 Euro an. Für ZDS-Verhandlungsführerin Ulrike Riedel ist der Warnstreik inakzeptabel. Die Arbeitgeberseite habe ein Angebot vorgelegt, das die Verluste der Beschäftigten bei den Reallöhnen auffange. Dieses Angebot steht laut Riedel im Einklang mit vielen anderen Verdi-Tarifabschlüssen.

Die Hafenarbeiter sehen das offenkundig anders, und die Gewerkschaft verweist neben der hohen Belastungssituation auf kontinuierlich steigende Preise bei einer aktuellen Inflation von knapp acht Prozent. In Hamburg, Deutschlands größtem Hafen, beteiligten sich nach Verdi-Angaben mehr als 1.000 Beschäftigte an dem mehrstündigen Warnstreik. Allein bei den drei HHLA-Terminals machten demnach fast 1.000 Beschäftigte bei den Arbeitsniederlegungen mit. Beim Konkurrenten Eurogate zählte die Gewerkschaft rund 400 Teilnehmer. "Alles steht", hieß es dort mit Blick auf die Abfertigung von Containerschiffen.

Im zweitgrößten deutschen Hafen Bremerhaven machten nach Gewerkschaftsangaben etwa 1.000 Beschäftigte mit. An der Stromkaje wurden diesen Angaben nach in der Spätschicht keine Containerschiffe mehr be- oder entladen. "Die Brücken stehen alle still", sagte Tobias Uelschen von Verdi. Auch die Autoverladung war betroffen. In Bremen und in Wilhelmshaven legten Beschäftigte die Arbeit ebenfalls nieder. Gleiches galt für Emden, wo insbesondere die Autoverladung und die Abfertigung anderer Seeschiffe betroffen waren. Die Tarifverhandlungen werden am Freitagvormittag in Hamburg fortgesetzt.

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(rt/dpa)